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Neokonservative wollen "Vierten Weltkrieg" wieder ankurbeln
Richard Perles "Leitfaden zum Sieg"
Mit dem Buch "Wie man den Krieg gegen den Terror gewinnt" hat sich zum Jahresanfang der Chefideologe der amerikanischen Neokonservativen, Richard Perle, zurückgemeldet. Sein Ko-Autor ist der ehemalige Redenschreiber von Präsident Bush, David Frum, der den Begriff "Achse des Bösen" erfand. Niemand glaubt, dass der außenpolitisch unerfahrene Frum bei diesem Buch wesentlich mehr als Formulierungshilfe geleistet hat. Beide Verfasser sind Mitarbeiter des American Enterprise Institute, eines zentralen "Think Tanks" der Neokonservativen, das beste Kontakte zur Regierung unterhält.
Viele Jahre lang hatte Perle als graue Eminenz im Hintergrund die Strippen der Kriegshetze gezogen. Seit den Terrorangriffen vom 11. September 2001 war er zunehmend auch öffentlich aufgetreten. Der Krieg gegen den Irak, auf den er und das neokonservative Netzwerk seit Jahren hingearbeitet hatten, war sein größter Triumph. Doch dann erwischte es ihn eiskalt: Mit seiner maßlosen Gier, politischen Einfluss auch in astronomisch hohe Beraterhonorare und Schmiergelder umzusetzen, stellte er sich selbst ein Bein. Wegen allzu obszöner Verquickung von Politik und Geschäft musste Perle Ende März vorigen Jahres seinen Rücktritt vom Vorsitz des einflussreichen Pentagon-Beratergremiums Defense Policy Board bekannt geben. Seine Stimme verschwand fast vollständig aus der Öffentlichkeit.
Jetzt ist der "Fürst der Finsternis", wie er sich seit seiner Mitarbeit in der Reagan-Regierung vor über 20 Jahren gern nennen lässt, mit einem Paukenschlag auf die politische Bühne zurückgekehrt. Seit das Buch zum Jahreswechsel auf den Markt kam, reißen sich die Medien wieder um Richard Perle. Er weiß als erfahrener PR-Mann, dass man solche Aufmerksamkeit nicht durch abgewogene, differenzierte, sachlich fundierte Argumente erringt. In provozierend aggressiver, primitiv schwarz-weiß-malender, bewusst beleidigender Tonart beschuldigt er 99 Prozent der amerikanischen Politiker und Meinungsmacher der Feigheit, der Blindheit und des Defätismus.
Perle nimmt nur wenige Politiker von diesem vernichtenden Urteil aus: Den Präsidenten, Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, zwei oder drei weitere Spitzenfunktionäre des Pentagon, und von den Politikern der Demokratischen Partei nur Joe Lieberman. Tatsächlich ist der Senator in Allen Fragen, die den Nahen Osten betreffen, von einem Neokonservativen kaum zu unterscheiden.
Zentren des Defätismus sind für Perle das Außenministerium unter Colin Powell, der Geheimdienst CIA, die Bundespolizei FBI, der allergrößte Teil der Regierungs- und Verwaltungsbürokratie, die Medien und die Demokratische Partei.
Mehr als zwei Jahre nach dem Schock des 11. September 2003 haben die Politik- und Medien-Eliten der USA die Lust am "Krieg gegen den Terror" verloren, behauptet Richard Perle. "Der Wille zum Sieg ebbt ab", heißt es im Buch. Aus Perles Sicht gibt es für diese These tatsächlich viele Indizien.
Innenpolitisch ist die Tendenz zum allgegenwärtigen Überwachungsstaat und zur Aushebelung rechtsstaatlicher Standards zunehmender Kritik ausgesetzt. Einige ursprünglich als nur vorübergehend bezeichnete Notstandsmaßnahmen des nach dem 11. September erlassenen Patriot Act laufen im nächsten Jahr aus. Ihre Verlängerung wird von Bush befürwortet, ist aber umstritten.
In der Außenpolitik zeigt sich ein Trend zu Verhandlungen mit Staaten wie Iran, Syrien und Libyen, denen vor einigen Monaten noch mit militärischer Intervention gedroht worden war. Dass die leichte Entspannung der Beziehungen ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass diese Staaten sich zu weitgehenden Zugeständnissen bereit zeigen, stimmt Perle überhaupt nicht versöhnlich. Es macht ihn eher noch aggressiver, weil er befürchtet, dass die Zeit gegen seine Kriegshetze und für die Diplomatie des von ihm gehassten State Department arbeitet.
Perle verurteilt auch, dass die US-Regierung im Irak mit der UNO und mit ehemaligen Kritikern des Krieges wie Frankreich, Deutschland und Russland zusammenarbeiten will, um die Lasten nicht allein tragen zu müssen. Die laufenden Kosten der Irak-Besetzung - vier Milliarden Dollar monatlich - werden von breiten Teilen der amerikanischen Gesellschaft, nicht zuletzt von vielen Vertretern des "Großen Geldes", mit Besorgnis betrachtet. Hinzu kommt Afghanistan, das den USA jeden Monat Kosten von einer Milliarde Dollar verursacht. Der Militäretat ebenso wie die Staatsverschuldung steigen unaufhaltsam im Rekordtempo. Die Armee steht vor einer Überstrapazierung ihrer personellen Kräfte. Die Neigung, zusätzlich mehrere neue kostspielige Kriegsfronten zu eröffnen, wie von den Neokonservativen gefordert, ist auf einem Tiefpunkt angekommen. Außerdem ist im November Präsidentenwahl; da kommt eine Diskussion über neue außenpolitische und militärische Lasten und Risiken für George W. Bush sehr ungelegen. Sogar Pentagon-Chef Donald Rumsfeld, der sich vor einem Jahr aufführte, als hätte er zusätzlich auch noch das Außenministerium übernommen, hält sich seit Monaten mit Äußerungen zurück.
"Vierter Weltkrieg" gegen die islamischen Länder
Die Formel vom "Krieg gegen den Terror" kann nicht verdecken, dass der Hass von Richard Perle sich in erster Linie gegen die islamischen Länder und die moslemischen Bevölkerungsgruppen in den USA und Europa richtet. Er steht in dieser Hinsicht ganz in der Tradition neokonservativer Trendsetter wie Eliot Cohen und Norman Podhoretz, die bald nach dem 11. September 2001 den Begriff des "Vierten Weltkriegs" gegen den "militanten Islam" prägten. In Analogie zum Zweiten Weltkrieg gehen die Neokonservativen davon aus, dass die islamischen Länder zunächst militärisch unterworfen und besetzt werden müssen, um dann eine kontrollierte "Demokratisierung" durchführen zu können.
"Der militante Islam will unsere Zivilisation stürzen und die Nationen des Westens in moslemische Gesellschaften umwandeln. Er will der ganzen Welt seine Religion und sein Gesetz aufzwingen", formuliert Richard Perle in seinem Buch. Damit werde er sogar zu einer Gefahr für die Existenz der USA. Die Wurzel der Wut der Moslems auf die westliche Zivilisation liege im Islam selbst. Der militante Islam finde breite Unterstützung unter den Moslems der gesamten Welt.
Man könnte fragen, warum dann als erstes ausgerechnet derjenige Politiker gestürzt werden musste, der vom militanten Islam so weit wie überhaupt nur denkbar entfernt war und der sogar dessen wichtigster Gegenspieler im arabischen Raum war, nämlich Saddam Hussein. Aber in Wirklichkeit geht es Richard Perle gar nicht speziell um die militante oder fundamentalistische Form des Islam, sondern um alles, was in den arabischen Ländern aus Sicht der Neokonservativen zu bekämpfen und, im wörtlichsten Sinn des Wortes, zu vernichten ist: "Religiöse .Extremisten und laizistische Militante, Sunniten und Schiiten, Kommunisten und Faschisten - im Nahen Osten verschmelzen diese Kategorien miteinander. Sie alle strömen aus dem selben enormen Reservoir an leicht entflammbarer Leidenschaft."
Dieses Feindbild soll nach dem Willen der Neokonservativen zum Banner eines neuen weltweiten Kreuzzug-Zeitalters werden. Der vierte Weltkrieg werde erheblich länger dauern als der erste und der zweite, nämlich mehrere Jahrzehnte, verkündete der frühere CIA-Chef James Woolsey, auch er eine prominente Figur im Netzwerk der Neocons, schon vor einem Jahr in einer Vortragsreihe an US-amerikanischen Universitäten. Der "Krieg gegen den Terrorismus" sei "die größte Aufgabe unserer Generation", schreibt Perle.
Es handelt sich um den klassischen Fall einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Die Neokonservativen fordern vehement eine Strategie, die die Zahl der Feinde und die Stärke ihres Widerstands maximal vermehrt, um damit permanent eine immer weiter gehende Eskalation zu rechtfertigen.
Auch vor der härtesten historischen Analogie schreckt Richard Perle nicht zurück: "Es gibt für die Amerikaner keinen Mittelweg: Es geht um Sieg oder Holocaust". Das sprengt völlig den Rahmen des irgendwie noch sachlich Begründbaren und Vertretbaren, knüpft stattdessen an die klassische Philosophie des Wilden Westens und der Indianerkriege an: Es kann nur einer überleben.
Perles Programm
Im Existenzkampf um "Sieg oder Holocaust" soll sein Buch ein "Leitfaden zum Sieg" sein, schreibt Perle. Hier seine wichtigsten Forderungen an die amerikanische Außen- und Militärpolitik:
- Perle lehnt Verhandlungen mit Teheran, wie sie inzwischen unter Beteiligung der EU begonnen haben, strikt ab. Er behauptet, zur Herbeiführung eines Umsturzes im Iran sei kein amerikanischer Truppeneinsatz notwendig; es reiche aus, die "Oppositionsbewegung" zu unterstützen. Wen er damit eigentlich meint, lässt er zumeist offen. Die parlamentarische Opposition der sogenannten Reformisten jedenfalls nicht, denn die wirft er vollständig mit den Hardlinern in einen Topf und behauptet, sie hätten keinen Rückhalt im Volk. Bleibt als "Opposition" vor Perles Gnaden nur der 43jährige Sohn des 1979 gestürzten Diktators, Reza Pahlavi, ein Freund der Neokonservativen.
- Sturz Baschar Assads und Erzwingung einer generellen "Westorientierung" Syriens. Um das zu erreichen, soll gegen Syrien eine Wirtschaftsblockade verhängt werden. Vor allem soll es von der Ölzufuhr aus dem Irak abgeschnitten werden. Unter dem Vorwand der Terroristenbekämpfung sollen US-Spezialeinheiten auf syrischem Gebiet operieren.
In beiden Ländern soll eine "Demokratisierung" entlang wirtschaftlicher und strategischer Interessen der USA erzwungen werden. Perle macht in diesem Zusammenhang ausdrücklich klar, dass es Wahlen erst geben darf, wenn hinreichend sichergestellt ist, dass sie ein den USA genehmes Regime an die Macht bringen. Dem Iran soll ebenso wie dem Irak eine strikt laizistische Verfassung aufgezwungen werden. Nach Lage der Dinge bedeutet das: Keine Zusammenarbeit mit den Schiiten - also zwangsläufig Konfrontation mit ihnen. Im Irak soll die US-Regierung, ohne Rücksicht auf den Willen der Bevölkerung, in erster Linie auf den Exilpolitiker Ahmed Chalabi setzen, der zwar kaum Rückhalt im Land hat, aber ein alter Freund von Richard Perle ist. Eine Zusammenarbeit mit der UNO oder andere Formen internationaler Einflussnahme werden strikt abgelehnt.
- Libyen soll trotz seines Angebots, auf die Entwicklung von ABC-Waffen zu verzichten und amerikanische Truppen zur Kontrolle ins Land zu lassen, "als das behandelt werden, was es ist: ein unversöhnlich feindliches Regime".
- Die US-Regierung soll ausdrücklich feststellen, dass sie Saudi-Arabien nicht als Verbündeten, sondern als Feind betrachtet und behandelt. Kommt Riad nicht sämtlichen amerikanischen Forderungen nach, soll durch militärische Intervention eine Lostrennung der erdölreichen östlichen Landesteile herbeigeführt werden.
- Frankreich soll zum Gegner erklärt und mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln massiv bekämpft werden. "Wir sollten die europäischen Regierungen zwingen, zwischen Paris und Washington zu wählen". Eine engere europäische Integration sei nicht im Interesse der USA. Die Annäherung Großbritanniens an Kontinentaleuropa soll verhindert werden, beispielsweise durch Sonderkonditionen für britische Waffenexporte in die USA. Großbritannien soll eine enge Militärkooperation angeboten werden, die auch Australien und Kanada einschließen könnte. - Deutschland nimmt Perle als Gegner nicht ernst, weil er davon ausgeht, dass eine auf Schröder folgende CDU-Regierung zur strikten Unterordnung unter die Politik der USA zurückkehren wird.
- Bildung einer neuen "Verteidigungspartnerschaft" in Asien nach dem Vorbild der NATO. Sie soll Japan, Australien und andere "willige" asiatische Länder umfassen. Dieser Militärpakt soll sich vor allem gegen China richten.
- Die UNO soll ultimativ aufgefordert werden, ihre Charta so zu ändern, dass den USA vorbehaltlos jede Art von "präventiver" Kriegführung gestattet wird. Falls die UNO dieses Diktat nicht akzeptiert, sollen sich die USA vollständig aus der Weltorganisation zurückziehen.
- Falls Nordkorea der Aufforderung nicht nachkommt, unter amerikanischer Kontrolle sein Atomprogramm zu beenden und zu demontieren, soll gegen das Land eine Wirtschaftsblockade verhängt werden. Gleichzeitig sollen Militärschläge gegen die koreanischen Atomanlagen vorbereitet werden. Die US-Truppen in Südkorea sollen (um sie vor nordkoreanischen Artillerieangriffen zu schützen) von der Grenze zurückgezogen und in Kriegsbereitschaft versetzt werden.
- Ein Palästinenserstaat sei kein Beitrag zur amerikanischen Sicherheit. Israel müsse absolut freie Hand für sein militärisches Vorgehen in den besetzten Gebieten erhalten und dürfe dafür nicht kritisiert werden. Die spezielle Logik dieser Forderung liegt darin, dass Perle die israelische Besatzungs- und Unterdrückungspolitik zum Modell für das Vorgehen der USA im gesamten Nahen und Mittleren Osten machen will.
- Beschränkung und rigide Kontrolle der Einwanderung in die USA. Vor allem die in den Vereinigten Staaten lebenden Moslems sollen unter scharfe Überwachung gestellt werden.
- Umfassende personelle Umbesetzungen und Umstrukturierungen in den von Perle am heftigsten kritisierten Institutionen: dem State Department, der CIA und dem FBI. Die US-Armee und der gesamte Verwaltungsapparat sollen auf die Erfordernisse eines langdauernden, global geführten Krieges umgestellt werden.
Warten auf einen neuen 11. September
Ein Realist und Praktiker wie Richard Perle ist sich bewusst, dass der Trend nicht durch Predigten aufzuhalten und umzukehren ist, und schon gar nicht im Wahljahr. So wie es des 11. Septembers bedurfte, um die Basis für die erste Phase des "Kriegs gegen den Terror" zu schaffen, ist jetzt ein neuer Anschub erforderlich. Perle beschreibt die Möglichkeiten mit soviel krimineller Phantasie, dass man vermuten muss, er sehne ein solches Ereignis geradezu herbei:
"Alles in allem genommen kann man wohl sagen, dass wir den kritischen Punkt im Krieg gegen den Terror erreicht haben. Die Schwungkraft unserer Siege ist ermattet. Die weitere Wegrichtung ist unsicher geworden und die vor uns liegenden Herausforderungen komplexer. Die Reihen der verzagten Herzen nehmen zu, und ihre Stimmen erzeugen ein immer lauteres Echo in unseren Medien und der Politik. Aber schon morgen könnte es passieren, dass eine Sprengladung mit radioaktivem Material in Los Angeles hochgeht oder dass Nervengas in einem Tunnel unter dem Hudson freigesetzt wird oder dass eine furchtbare neue Krankheit in Großbritannien ausbricht. Hätten die für die Angriffe vom 11. September Verantwortlichen 30.000 Amerikaner oder 300.000 oder drei Millionen töten können, dann hätten sie es getan."
Eine Strategie, die letztlich auf solche Katastrophen angewiesen ist, um (wieder) mehrheitsfähig zu werden und die Regierungspolitik maßgeblich zu beeinflussen, kann nur beschränkte Attraktivität entfalten. Dass das Buch von Perle und Frum in den ersten Wochen nach seinem Erscheinen hohe Wellen geschlagen hat, heißt nicht automatisch, dass man bereit wäre, ihre Strategie zu übernehmen oder sie überhaupt ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Es kann durchaus sein, dass die Regierung einzelne ihrer konkreten Vorschläge ganz oder teilweise befolgt. Aber es geht den Autoren letztlich nicht um einzelne Vorschläge, sondern um die These, dass nicht nur die gesamte amerikanische Politik, sondern auch die Gesellschaft der USA auf die Erfordernisse eines langwierigen "totalen" Krieges umgestellt werden muss.
Aus den Anklagen, die die Autoren gegen den allergrößten Teil der amerikanischen Gesellschaft richten, spricht auch ihre Verzweiflung, dass der extreme Flügel des Neokonservativismus seit dem Irakkrieg an unmittelbarem Einfluss auf die Entscheidungen des Präsidenten und an Politikfähigkeit verloren hat. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das von Perle vor dem Krieg ausgemalte Szenario - die Amerikaner würden im Irak mit offenen Armen als Befreier begrüßt werden, eine spontane Welle von weiteren pro-amerikanischen Umstürzen werde die ganze Region erfassen - sich als total unrealistisch, ja als Gegenteil der Realität blamiert hat.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 27. Januar 2004