KNUT MELLENTHIN

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"Don't ask, don't tell"

Wie sich die Bundesregierung aus der CIA-Affäre herauszuschwindeln versucht

Eine "Woche der Information und Aufklärung" über Deutschlands Rolle in der CIA-Affäre hat Dieter Wiefelspütz angekündigt. So total transparent soll es ab Mittwoch im Bundestag zugehen, dass danach ein Untersuchungsausschuss "völlig überflüssig" sei, verspricht der SPD-Innenpolitiker.

Es ist der selbe Dieter Wiefelspütz, der die Philosophie seiner Partei vor kurzem noch so formulierte: "Was die Amerikaner auf ihren Air Bases machen, ist ganz weitgehend ihre Sache." Deutschland übe keinerlei Kontrolle aus, "wer da an Bord ist und was die Ladung ist. "Das ist von uns auch so gewollt." (Spiegel Online, 25.11.)

US-Medien bezeichnen diese scheinheilige europäische Haltung des freiwillig gewählten, selbstgewollten Nichtwissens mit den Worten "Don't ask, don't tell" - nichts fragen, nichts sagen. Soll heißen: Die eine Seite, die US-Dienststellen, informiert offiziell nicht über ihre Aktivitäten. Und die andere Seite, die europäischen Regierungen, tut so, als sähe und wisse sie nichts, stellt offiziell keine Fragen und will auch gar keine Antworten hören.

Im Wissen um diese Scheinheiligkeit der Europäer überstand US-Außenministerin Condoleezza Rice in der vergangenen Woche ihre Europareise mit Bravour, obwohl sie zur Sache nicht mehr zu bieten hatte als drei oder vier auswendig gelernte Floskeln. Der Text war, wie US-Medien berichteten, von Juristen sorgfältig ausgearbeitet worden. Vermutlich waren auch Psychologen und Werbefachleute zu Rat gezogen worden. Rice behauptete: Die US-Regierung halte sich ohne Einschränkung an die Internationale Anti-Folter-Konvention. US-Beamte dürften weder foltern noch - wie es in der Konvention heißt - "grausame, unmenschliche oder erniedrigende" Strafmethoden anwenden. Nirgendwo, weder in den USA noch im Ausland. Darüber hinaus versicherte die Ministerin, es würden keine Gefangenen in Länder gebracht, wo sie gefoltert werden.

Folterrecht für CIA?

Alle europäischen Regierungen drückten ob dieser "Klarstellung" ihre vollste Zufriedenheit und Dankbarkeit aus. Keine weiteren Fragen! Faktisch hat die CIA damit nun auch offiziell grünes Licht, für ihre Gefangenentransporte den Luftraum und die Flugplätze europäischer Länder zu benutzen.

Einige europäische Medien und Politiker, die die bisherige US-Position etwas anders in Erinnerung hatten, interpretierten die Äußerungen von Condoleezza Rice als Kurswechsel der amerikanischen Regierung. Die Außenministerin habe "neue Richtlinien" angekündigt, wurde hoffnungsvoll spekuliert. Nein, das hat sie nicht und das kann sie selbstverständlich auch gar nicht, denn das fällt in die ausschließliche Kompetenz des Präsidenten.

Die Frage der Folter ist in den USA keineswegs abschließend geklärt, wie sich die europäischen Regierungen von Condoleezza Rice willig einreden ließen. Sie ist im Gegenteil offen umstritten. Präsident George W. Bush blockiert nach wie vor eine Initiative des republikanischen Senators John McCain. Der will eine Festlegung, dass niemand in US-Gewahrsam "grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung" unterworfen werden darf. Also das, was laut Rice ohnehin schon verbindliche Praxis ist. Der Senat hat McCains Initiative vor einigen Wochen mit der überraschend großen Mehrheit von 90 gegen 9 Stimmen gebilligt. Präsident Bush jedoch will zumindest erreichen, dass Angehörige der CIA von dem Folterverbot ausgenommen werden. Bush droht, von seinem Vetorecht gegen das Gesetz Gebrauch zu machen, falls kein "Kompromiss" zustande kommt. Der Fraktionschef der Republikaner im Senat, Bill Frist hat am Wochenende für "aggressive" Methoden zur "Informationsgewinnung" geworben: nicht direkt das Foltern, aber doch wenigstens das systematische "Erniedrigen" von Gefangenen zur Erpressung von Aussagen sollte gestattet werden. (AP, 11.12.) Frist verband sein Werben mit der Behauptung, ein entsprechender "Deal" mit der Gruppe um Senator McCaine sei schon fast ausgehandelt, was ein Sprecher der Gruppe aber bestritt.

In der von der SPD versprochenen "Woche der Information und Aufklärung" wird es voraussichtlich weniger um die CIA-Affäre in ihrer Gesamtheit gehen, sondern überwiegend oder fast ausschließlich um das persönliche Schicksal eines Deutschen libanesischer Abstammung, Khaled al-Masri. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), unter Schröder Chef des Kanzleramts, soll am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde des Bundestags berichten, welche Kenntnisse die damalige Regierung von dem Fall hatte und wie sie damit umgegangen ist.

Ende einer Busreise

Khaled al-Masri, arbeitsloser Vater von fünf Kindern, war am 31. Dezember 2003 von der mazedonischen Polizei aus einem Reisebus heraus verhaftet worden. Nach eigenen Angaben hatte al-Masri nach einem Streit mit seiner Frau etwas ausspannen wollen. Der Hintergrund seiner Verhaftung ist unklar. Möglicherweise hatte sein Name auf einer Fahndungsliste gestanden, weil er mit dem eines gesuchten, der al-Kaida zugerechneten Terroristen identisch ist. In diesem Fall wäre allerdings klärungsbedürftig, warum al-Masri nicht schon auf einer früheren Station seiner durch mehrere Länder führenden Busfahrt festgenommen wurde. Möglich ist auch, dass der mazedonischen Polizei von deutscher oder amerikanischer Seite Erkenntnisse über Kontakte al-Masris zu islamistischen Kreisen in seinem Wohnort in Neu-Ulm (Bayern) zugespielt worden waren. Al-Masri war wegen dieser Kontakte von deutschen Dienststellen "beobachtet" worden, auch wenn angeblich nicht formal gegen ihn ermittelt wurde.

Nach 23 Tagen Haft und Verhören übergaben die Mazedonier ihren Gefangenen amerikanischen Dienststellen, mutmaßlich Leuten des Geheimdienstes CIA. Masri wurde nach Afghanistan geflogen und in ein Gefängnis, vermutlich in Kabul, gebracht. Dort wurde er wochenlang von Amerikanern verhört, misshandelt und mit Drohungen eingeschüchtert: man könne ihn hier jederzeit einfach umbringen, niemand würde etwas davon erfahren. Masri glaubt nicht an eine Namensverwechslung, da die Leute, die ihn verhörten, ihn nie nach al-Kaida-Verbindungen fragten, sondern nur an seinen Neu-Ulmer Kontakten interessiert waren, über die sie offensichtlich schon detaillierte Kenntnisse besaßen.

Ende Mai 2004 tauchte bei Masri im Gefängnis ein Mann auf, der sich Sam nannte. "Er war hundertprozentig ein Deutscher. Er hatte einen norddeutschen Akzent. Kein Hauch von amerikanischem Akzent", berichtet Masri. Sam habe sich geweigert, Masris Fragen, ob er von einer deutschen Behörde sei und ob die deutschen Behörden Kenntnis von seiner Gefangenschaft in Afghanistan hätten, zu beantworten. Dieser Mann habe ihn dann auch im Flugzeug begleitet, als er nach Mazedonien zurückgeflogen wurde.

Am 29. Mai 2004 wurde Masri im mazedonisch-albanischen Grenzgebiet ausgesetzt und schließlich von albanischen Grenzposten festgenommen. Auffallend schnell wurde er dann nach Deutschland ausgeflogen. Der Ulmer Rechtsanwalt Manfred Gnjidic übernahm Masris Vertretung und wandte sich mit einer Schilderung des Entführungsfalls und der Bitte um Unterstützung bei der Aufklärung an die Bundesregierung. Seine Faxe gingen am 8. Juni 2004 im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt ein.

Aber schon vorher war die Bundesregierung von anderer Seite informiert worden. Der amerikanischer Botschafter Daniel R. Coats hatte den damaligen Innenminister Otto Schily (SPD) aufgesucht, ihn über die "Panne" unterrichtet und ihn gebeten, die Bundesregierung möge den ganzen Vorgang "vertraulich" behandeln und sich dazu nicht öffentlich äußern. Schily fühlt sich nach seinen Worten an die versprochene Vertraulichkeit auch heut noch gebunden und weigert sich, Einzelheiten der Unterredung mitzuteilen. Nach Schilys Aussage fand das Treffen am 31. Mai statt, zwei Tage nach Masris Freilassung.

Bricht Schröder sein Schweigen?

Von Schily war bisher nicht zu erfahren, wen er wann über sein Gespräch mit Coats unterrichtet hat. Schließlich war es kein privates Geplauder, sondern eine, wenn auch inoffiziell übermittelte, Mitteilung von Regierung zu Regierung. Die Washington Post berichtete am 4. Dezember, dass US-Außenministerin Rice entschieden habe, die deutsche Regierung zu informieren, um Fragen zuvorzukommen. Wegen der "ausgezeichneten Beziehungen" zwischen Coats und Schily sei dieser persönliche Weg gewählt worden. Nach Lage der Dinge war Schily verpflichtet, den Inhalt seines Gesprächs zumindest an Gerhard Schröder weiterzugeben. Vielleicht bietet die "Woche der Information und Aufklärung" dem Ex-Bundeskanzler Gelegenheit, sich diesbezüglich zu offenbaren. Steinmeier hat inzwischen im Spiegel erklärt, er sei von Schily damals nicht über dessen Gespräch mit Coats informiert worden.

Nach seinen eigenen Aussagen hat Schily absolut nichts getan, um deutsche Ermittlungsbehörden über seine Kenntnisse des Falls zu informieren. "Ich bin nicht der Ermittlungsgehilfe der Staatsanwalt", sagt er dazu kaltschnäuzig. Die Sprecherin des Bundesjustizministeriums, Eva Schmierer, verteidigt Schilys Schweigen mit dem juristisch vielleicht korrekten, politisch und menschlich aber katastrophalen Argument, Entführung und Freiheitsberaubung seien nicht anzeigenpflichtig. (Spiegel Online, 7.12.)

Kommen wir nun zum damaligen Kanzleramtschef Steinmeier und zu Außenminister Fischer, die beide am 8. Juni von Masris Anwalt über den Vorgang in Kenntnis gesetzt wurden. Fischer hat nach eigener Auskunft das Schreiben lediglich "an die zuständigen Stellen weitergeleitet" und sich ansonsten überhaupt nicht um den Fall gekümmert. Steinmeier hingegen, zu dessen Aufgaben damals auch die Koordination der deutschen Nachrichtendienste gehörte, hat seine Informationen laut Spiegel Mitte Juni mit den Chefs dieser Dienste diskutiert. Die Bundesregierung habe anschließend entschieden, nicht aktiv zu werden, um von der US-Regierung Aufklärung zu fordern, sondern den Fall öffentlich totzuschweigen. Im Januar 2005 habe das Bundesaußenministerium eine Anfrage der deutschen Botschaft in Washington abgelehnt, ob man "auf diplomatischen Kanälen aktiv werden" solle. (Spiegel Online, 10.12.)

Überhaupt hatte man es mit der Aufklärung des Falls gar nicht eilig: Das Bundesjustizministerium leitete Rechtshilfeersuchen der zuständigen Staatsanwaltschaft in München an Mazedonien erst im März 2005, an die USA im Juni 2005 und an Albanien im September dieses Jahres weiter. Keines der drei Länder hat bis heute reagiert und Informationen geliefert.

Alles nur Routine?

War die monatelange Totschweige-Taktik der Bundesregierung im Entführungsfall Masri wirklich nur durch vorauseilenden Gehorsam und exzessive Rücksichtnahme auf amerikanische Empfindlichkeiten veranlasst? Oder deutet dieses Verhalten auf eine unmittelbare Verwicklung deutscher Dienststellen in den Fall hin? Sicher ist: Die amerikanischen Verhörspezialisten in Afghanistan wussten über die Islamisten-Szene in Masris Wohnort gut Bescheid und stellten sehr präzise Fragen. Die Berliner Zeitung zitierte am 9. Dezember einen namentlich nicht genannten deutschen Sicherheitsbeamten mit der Aussage: "Möglicherweise haben wir durch Informationen, die wir mit den US-Behörden ausgetauscht haben, die CIA auf Masri aufmerksam gemacht." Einer der engsten Freunde Masris, ein Ägypter, soll laut Spiegel Online vom 10. Dezember als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet haben. Die Bild am Sonntag berichtete am 11. Dezember, Masri sein von Polizeibeamten aus Bayern und Baden-Württemberg observiert worden, und die Ergebnisse seien möglicherweise der CIA zugänglich gemacht worden.

Fragt sich nur, ob vor oder nach Masris Verhaftung. Kann ausgeschlossen werden, dass die Amerikaner ihren deutschen Kollegen im internen Dienstverkehr Masris Verhaftung mitgeteilt haben und daraufhin seine Akte zur Verfügung gestellt bekamen? Oder gehen wirklich sämtliche Observationsergebnisse deutscher Behörden "routinemäßig" und automatisch an die CIA?

Hinweise auf eine enge Zusammenarbeit amerikanischer und europäischer Dienste gibt es auch im Fall Abu Omar. Der aus Ägypten stammende Islamist wurde am 17. Februar 2003 von CIA-Agenten aus Mailand entführt, zum US-Luftwaffenstützpunkt Aviano gebracht und mit Zwischenstopp in Ramstein nach Kairo geflogen. Dort wurde er eingesperrt und gefoltert. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Der italienische Militärgeheimdienst SISMI soll Medienberichten zufolge von den Amerikanern über den Entführungsplan im Voraus informiert worden sein. Offensichtlich ist jedenfalls, dass die Entführer, darunter mindestens zwei US-Diplomaten, mit größter Sorglosigkeit und Sicherheit agierten, als hätten sie überhaupt keine Nachforschungen zu fürchten.

Da SISMI für seine enge Kooperation mit US-Dienststellen und für seine Missachtung rechtsstaatlicher Rahmenbedingungen bekannt ist, scheint die Vermutung zumindest einer Mitwisserschaft, wenn nicht gar Mittäterschaft plausibel. Und über SISMI könnten auch der Militärische Abschirmdienst Deutschlands und der BND eingeweiht und eingebunden gewesen sein. Auffallend ist jedenfalls das totale Schweigen der Bundesregierung zur Benutzung Ramsteins bei der Verschleppung Abu Omars nach Ägypten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem Treffen mit Außenministerin Rice in der vergangenen Woche ausschließlich den Fall Masri angesprochen, wie sie selbst auf der Pressekonferenz erklärte.

Ganz deutlich ist die Kooperation im Fall von Mohammed Haydar Zammar, der sowohl die deutsche als auch die syrische Staatsbürgerschaft besitzt. Zammar stand im Verdacht, engen Kontakt zur Hamburger Gruppe um Mohammed Atta gehabt zu haben. Die deutschen Sicherheitsbehörden verhörten ihn mehrmals, ließen ihn dann aber scheinbar laufen und Ende 2001 nach Marokko fliegen. Dort wurde er gleich bei der Ankunft auf dem Flughafen verhaftet, eingesperrt und schließlich - offenbar im Auftrag der CIA und unter deren Regie - nach Jordan geflogen und von dort nach Syrien gebracht, um "unter landesüblichen Umständen" verhört zu werden, wie es der Spiegel sarkastisch ausdrückte. Die Bundesregierung fand nichts dabei, unter solchen Umständen deutsche Beamte nach Damaskus zu schicken, erstmals angeblich im November 2002, um Zammar ihrerseits zu vernehmen.

Noch enger war die Zusammenarbeit offenbar im Fall zweier Jemeniten, den Spiegel Online am 5. Dezember schilderte. Deutsche Behörden sollen der CIA im Jahr 203 geholfen haben, die beiden Männer, die angeblich 20 Millionen Dollar für den bewaffneten Kampf spenden wollten, mit Hilfe eines Agenten nach Frankfurt am Main zu locken. Dort habe das BKA den Amerikanern sowohl beim Plazieren von Abhörgeräten im Hotelzimmer als auch bei der Festnahme geholfen. Trotz Zweifeln an den amerikanischen Vorwürfen gegen die beiden Männer hätten deutsche Behörden ihre Verschleppung an einen unbekannten Zielort geduldet., behauptet Spiegel Online.

Dass dies gängige Praxis europäischer Dienststellen zu sein scheint, belegt ein Fall aus Schweden. Dort wurden im Dezember 2001 zwei ägyptische Asylbewerber mit Zustimmung der schwedischen Regierung von einheimischer Polizei und CIA-Agenten festgenommen und anschließend nach Ägypten geflogen. Die beiden Männer berichteten später, dass sie dort unter anderem mit Elektroschocks gefoltert wurden. Der Sachverhalt wurde im vergangenen Jahr durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgeklärt und öffentlich gemacht.

Ein solcher Untersuchungsausschuss wäre auch zur Durchleuchtung der Rolle deutscher Behörden dringend notwendig, auch wenn und gerade weil ihn die notorischen Vertuschungspolitiker für "völlig überflüssig" erklären.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 12. Dezember 2005