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Iran-Atomstreit: Verwirrspiel um "russischen Kompromissvorschlag"
In dem seit drei Jahren geführten Streit um das zivile Atomprogramm des Iran zeichnet sich scheinbar eine leichte Entspannung ab. Die Vorstandssitzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) am 24. und 25. November ging ohne neue Resolution zuende. Stattdessen fasste der japanische Vorsitzende des Gremiums, Jukija Amano, in einem einstimmig angenommenen Abschlussbericht in auffallend sachlicher Weise die kontroversen Positionen zusammen. Die vorangegangene IAEA-Sitzung im September hatte erstmals seit vielen Jahren mit einer Kampfabstimmung geendet. Bei Stimmenthaltung Russlands, Chinas und der Blockfreien setzten USA und EU eine Resolution durch, die theoretisch den Weg zur Einschaltung des UN-Sicherheitsrats öffnet. Die einzige Gegenstimme kam vom Vertreter Venezuelas.
Jetzt aber soll, zumindest bis zur nächsten IAEA-Sitzung im März nächsten Jahres, ein neuer Versuch zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts unternommen werden. Der IAEA-Vorstand sprach sich einmütig dafür aus, die vom sogenannten EU-Trio (Großbritannien, Deutschland und Frankreich) im August abgebrochenen Verhandlungen mit dem Iran wieder aufzunehmen. Unklar ist vorläufig noch, ob die Europäer an ihrer von Teheran abgelehnten Bedingung festhalten wollen, zuvor alle Arbeiten in der Uran-Konvertierungsanlage Isfahan einzustellen. Der IAEA-Vorstand, so heißt es in Amanos Bericht, unterstützt den Versuch, "die Grundlage für einen internationalen Konsens durch zusätzliche Elemente wie den jüngsten russischen Vorschlag zu verbreitern".
Iran soll auf Anreicherung verzichten
Konkrete Einzelheiten dieses "russischen Vorschlags" sind bisher nicht bekannt. Angeblich sieht er vor, dass Iran definitiv auf die Uran-Anreicherung im eigenen Land und damit auch auf die Produktion von nuklearem Brennstoff für sein ziviles Atomprogramm verzichtet. Dem Iran soll lediglich - darin besteht der vermeintliche "Kompromiss" - gestattet werden, die Konvertierungsanlage in Isfahan weiter zu betreiben. Dort wird Uran in Gas umgewandelt, das als Grundstoff für den Anreicherungsprozess dient. Das Gas soll künftig nach Russland transportiert werden, um in einer Anlage angereichert zu werden, die als Joint Venture mit dem Iran betrieben werden soll. So jedenfalls der "russische Vorschlag" laut Pressemeldungen.
Die westlichen Medien zitieren, was den Inhalt des "russischen Vorschlags" angeht, entweder völlig ungeprüft anonyme "Regierungsbeamte" der USA und der EU, oder sie schreiben einfach voneinander ab. Aber nach übereinstimmender Auskunft aller iranischen Vertreter hat Russland bisher überhaupt noch keinen offiziellen Vorschlag übergeben. Dieser iranischen Darstellung hat die russische Regierung nicht widersprochen.
Das Verwirrspiel begann mit einem Artikel der New York Times am 10. November. Überschrift: "USA und Europa wollen den Iranern ein neues Atom-Angebot machen". Inhalt: Iran sollten lediglich "sehr beschränkte nukleare Aktivitäten auf eigenem Boden" gestattet werden, aber die gesamte Anreicherung solle in Russland stattfinden. Iran solle sich an der dortigen Anlage finanziell beteiligen können. Dieser Vorschlag sei, schrieb die Tageszeitung, am 8. November "ausführlich" bei einem Treffen zwischen US-Außenministerin Condoleezza Rice und Mohamed ElBaradei, dem Generaldirektor der IAEA, diskutiert worden. Die New York Times berief sich dabei auf amerikanische Regierungsbeamte, die über Einzelheiten des Gesprächs informiert seien. ElBaradei solle der iranischen Regierung diesen Vorschlag namens der USA und des EU-Trios präsentieren. Rice wolle dem Iran ein Ultimatum stellen, auf das "Angebot" innerhalb von zwei Wochen zu antworten. Das hätte bedeutet: noch vor der anstehenden Sitzung des IAEA-Vorstands am 24. September. "Unsere Erwartungen, dass die Iraner annehmen werden, sind niedrig", zitierte die New York Times einen anonymen "höheren Regierungsbeamten", der mit der Entwicklung des "Vorschlags" intensiv befasst sei.
Unklar sei, so das Blatt, von welcher Seite die Initiative zu dem Vorschlag kam: Nach Aussagen europäischer Beamter habe die US-Außenministerin ElBaradei gedrängt, den Iranern das Angebot zu unterbreiten. Amerikanische Beamte hingegen behaupteten, ihre Regierung habe lediglich auf einen europäischen Vorschlag reagiert.
Noch am selben Tag, dem 10. November, dementierte Condoleezza Rice den Bericht der New York Times: "Es gibt keinen amerikanisch-europäischen Vorschlag an die Iraner. Es gibt keinen und es wird keinen geben."
Ebenfalls am 10. November wich der russische Außenminister Sergej Lawrow auf einer Pressekonferenz der Frage nach der Existenz eines solchen Vorschlags aus. Doch gleichfalls an diesem Tag berichtete die Financial Times, der Sekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrats, Igor Iwanow, ein ehemaliger Außenminister, werde bei seinem am nächsten Tag beginnenden Besuch im Iran einen "Kompromissplan" überbringen.
Jedoch, am 12. November erklärten Iwanow und sein für das iranische Atomprogramm zuständiger Gesprächspartner Ali Laridschani bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Teheran übereinstimmend, es gebe keinen neuen Vorschlag.
Eine Woche später noch mehr Verwirrung: Nach einem Treffen der Präsidenten George W. Bush und Wladimir Putin erklärte der Sprecher des Weißen Hauses am 19. November, die US-Regierung unterstütze "den russischen Vorschlag". Auch diesem Statement widersprach die russische Regierung nicht.
Der Kern des angeblichen "russischen Vorschlags" geistert schon seit Monaten durch die Medien. Gelegentlich sogar mit der Behauptung, die iranische Regierung selbst habe dieses Angebot im Frühjahr bei den Verhandlungen mit dem EU-Trio als Teil eines umfassenden Pakets auf den Tisch gelegt. Eindeutig ist jedenfalls, dass sowohl die US-Regierung als auch das ohne erkennbare eigene Position agierende EU-Trio bisher eine solche Lösung ausdrücklich abgelehnt hatten: Sie bestanden darauf, dass Iran nicht nur die im Bau befindliche Anreicherungsanlage in Natanz, sondern auch die Konvertierungsanlage in Isfahan schließen müsse.
Versucht man, sich auf die widersprüchlichen Meldungen der letzten Wochen einen Reim zu machen, so scheint es sich jetzt um einen Versuch der US-Regierung zu handeln, Moskau zur Präsentation eines "Kompromissvorschlags" zu drängen, von dessen Ablehnung durch den Iran man in Washington mittlerweile fest überzeugt ist. Die Initiative dazu scheint, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, nicht von der russischen Seite ausgegangen zu sein. Das zentrale Motiv der Regierungen von USA und EU-Trio bei diesem taktischen Manöver besteht darin, einen Keil zwischen Iran und Russland zu treiben. Zusammen mit China und der Gruppe der Blockfreien (NAM) hat Russland sich bisher einer Eskalation des Streits um das iranische Atomprogramm widersetzt. Moskau "ins Boot zu holen" gilt den NATO-Regierungen derzeit als wesentliche Voraussetzung, um die internationale Isolierung Irans voranzutreiben und Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrats zu ermöglichen, denen eine militärische Eskalation folgen könnte. Den Vorschlag jetzt Russland in die Schuhe zu schieben, erleichtert die Propaganda, das "letzte Angebot" als großzügigen Kompromiss darzustellen, um Iran nach dessen wahrscheinlicher Ablehnung noch wirksamer anprangern zu können. Und das dann möglichst auch mit russischer Unterstützung.
Weder großzügig noch Kompromiss
Real handelt es sich aber keineswegs um einen Kompromiss. Die "Erlaubnis", die Konvertierungsanlage Isfahan weiter zu betreiben, könnte der iranischen Regierung bestenfalls helfen, innen- und außenpolitisch das Gesicht zu wahren. Mit dem dort produzierten Gas könnte und dürfte Iran jedoch nichts anderes tun, als es nach Russland zu liefern. Teheran müsste das Verbot der Anreicherung im eigenen Land akzeptieren. Und damit nicht nur eine bisher weltweit einmalige Diskriminierung, sondern auch die Abhängigkeit von einer Zufuhr, die unter US-Druck jederzeit unterbunden werden könnte. Davor wäre Iran auch im Fall einer finanziellen Beteiligung an der in Russland betriebenen Anlage nicht sicher.
Dass Iran im Rahmen des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) grundsätzlich das Recht hat, Uran anzureichern, um zu zivilen Zwecken Reaktorbrennstoff zu produzieren, steht außer Zweifel. Voraussetzung ist nur, dass die Anreicherung unter Kontrolle der IAEA stattfindet, um zu verhindern, dass hoch angereichertes, waffenfähiges Uran hergestellt wird. Diese Kontrolle ist im Iran durch eine große Zahl von Inspektionen und durch rund um die Uhr laufende Kameras an "sensiblen Punkten" gewährleistet, sogar über das vom NPT vorgeschriebene Ausmaß hinaus.
Würde Iran sich trotzdem einem Verbot der Anreicherung unterwerfen, müsste es implizit die zugrunde liegende Logik akzeptieren und bestätigen: dass es ein unzuverlässiger, tendenziell hochgefährlicher "Schurkenstaat" ist, der nur durch Maßnahmen jenseits des internationalen Rechts zu bändigen ist. Von Iran wird also, neben wirtschaftlichen Nachteilen und energiepolitischer Beschränkung, nicht weniger verlangt als die "freiwillige" Zustimmung zu einer dauerhaften Stigmatisierung als Pariah-Staat. Verbunden mit dem Risiko, dann von USA und EU auch tatsächlich als solcher behandelt zu werden: angefangen bei immer weiteren Erpressungen, bis hin zu militärischer Gewaltanwendung. Es ist bezeichnend, dass sich das EU-Trio in seinen seit zwei Jahren geführten Verhandlungen mit Teheran geweigert hat, irgendeine glaubwürdige, "robuste" Garantieerklärung für die Sicherheit Irans abzugeben. Dabei war von Anfang an ganz klar, dass genau dies für Iran angesichts der ständigen militärischen Drohungen der USA und Israels eine Frage von allerhöchster Bedeutung ist.
Es kommt hinzu, dass Iran bei Annahme des "russischen Kompromissvorschlags" keine Garantie hätte, von Russland dann auch wirklich erpressungsfrei und zuverlässig mit Kernbrennstoff für sein ziviles Atomprogramm - das in den nächsten 15 Jahren den Bau von bis zu 20 Atomkraftwerken vorsieht - beliefert zu werden.
Die Geschichte des zivilen iranischen Atomprogramms seit dem Sturz des Schah-Regimes 1979 ist gekennzeichnet von Vertragsbrüchen der Wirtschaftspartner, die durch das Sanktionssystem der USA erzwungen wurden. Die von den US-Regierung seit Jimmy Carter verhängten Boykottmaßnahmen verbieten nämlich nicht nur US-Firmen praktisch alle Formen von Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran. Sie drohen auch anderen Unternehmen, die in "sensiblen" Bereichen wie der Atomindustrie Partnerschaften mit Iran eingehen, mit Ausschluss vom US-Markt.
Im Jahr 1995 sprang Russland ein, um das Atomkraftwerk bei Buschehr fertig zu stellen. Das deutsche Unternehmen Siemens-KWU, das den Bau 1974 begonnen hatte, war nach der "islamischen Revolution" 1979 aus dem Vertrag ausgestiegen. Ein Versuch Ende der 80er Jahre, die Arbeiten von einem deutsch-spanisch-argentinischen Konsortium fortführen zu lassen, scheiterte unter massivem Druck der USA.
Zweifel an Russlands Zuverlässigkeit
Die Baugeschichte des AKW Buschehr seit der Unterzeichnung des russisch-iranischen Vertrags 1995 lässt allerdings auch an der Redlichkeit und Zuverlässigkeit der russischen Seite Zweifel aufkommen. Als im Januar 1997 mit den Arbeiten begonnen wurde, war geplant, dass der Reaktor im Jahr 2003 ans Netz gehen sollte. Schon im Herbst 1999 war der Rückstand gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan so groß, dass Iran sich weigerte, weitere Verträge im Rahmen seines Atomprogramms mit Russland abzuschließen. Im Februar 2000 gab das russische Atomenergie-Ministerium den Rückstand mit 18 Monaten an. Im Jahr 2003, zum geplanten Zeitpunkt der Fertigstellung, hieß es, dass der Reaktor 2005 ans Netz gehen könne. Inzwischen ist das Datum schon auf Sommer oder Herbst 2006 verschoben worden.
Noch vor wenigen Monaten war geplant, dass Russland Ende des laufenden Jahres mit der Lieferung von Kernbrennstoff beginnen würde. Doch am 22. November meldete die iranische Nachrichtenagentur IRNA unter Berufung auf russische Regierungsbeamte, dass vor Fertigstellung des Reaktors im nächsten Jahr kein Brennstoff geliefert würde.
Neben der wirtschaftlichen Seite hat die Verzögerung der Fertigstellung Buschehrs einen entscheidenden strategischen Aspekt: Wegen der damit verbundenen Risiken wäre ein Militärschlag gegen den Reaktor nach dessen Fertigstellung unwahrscheinlich. Der israelische Angriff auf den irakischen Reaktor Osirak im Juni 1981 erfolgte kurz vor der mutmaßlichen Inbetriebnahme. Die Verzögerungen der russischen Bauarbeiten in Buschehr halten also, gewollt oder ungewollt, das "Fenster der Gelegenheit" für amerikanische oder israelische Angriffe offen.
Auch wenn die iranische Regierung aus übergeordneten Gründen um ein möglichst ungestörtes Verhältnis zu Russland bemüht ist, klingt in Äußerungen iranischer Parlamentarier und Medien zunehmende Ungeduld und Misstrauen gegenüber dem Partner an. Das spricht, neben Allen anderen Gesichtspunkten, gegen die Annahme des "russischen Vorschlags" in Sachen Uran-Anreicherung.
Wenig Verhandlungsspielraum
Derzeit deuten die Signale beider Seiten darauf hin, dass sich die Vertreter Irans und des EU-Trios noch in der ersten Dezemberhälfte zu einer neuen Gesprächsrunde treffen werden. Dabei wird es voraussichtlich zunächst um die Bedingungen für eine Wiederaufnahme der vom EU-Trio im August abgebrochenen Verhandlungen gehen. Anscheinend wollen die europäischen Regierung jetzt nicht mehr darauf bestehen, dass zuvor die Arbeiten in Isfahan eingestellt werden müssen. Ihre Bedingung scheint nur noch zu sein, dass Iran "keine weiteren einseitigen Schritte" unternimmt, was problemlos sein dürfte. Eine schwierigere Vorbedingung des Trios für neue Verhandlungen könnte die Forderung sein, dass Iran den "russischen Vorschlag" als Grundlage akzeptieren muss.
Realistisch betrachtet gibt es für Teheran kaum Verhandlungsspielraum. Einem generellen und unbefristeten Verzicht auf die Uran-Anreicherung kann und wird die iranische Führung auch aus innenpolitischen Gründen nicht zustimmen. Auf der anderen Seite hat Iran, entgegen anderslautenden Darstellungen der westlichen Mainstream-Medien, in dem nun schon seit gut zweieinhalb Jahren geführten Streit mit Besonnenheit, Flexibilität und Geschick agiert. Daran hat sich auch nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Anfang August bisher nichts geändert.
Iran wird also den "russischen Vorschlag", wo und wie immer er in Wirklichkeit entstanden sein mag, nicht rundum ablehnen. Zumal, falls Russland wirklich offiziell die Patenschaft für ein solches "Kompromissangebot" übernimmt. In einzelnen Äußerungen iranischen Politiker deutet sich an, dass Iran als Übergangslösung bereit sein könnte, den Vorschlag anzunehmen, sofern wenigstens ein Teil der Anreicherung im eigenen Land stattfinden könnte. Etwa in einer relativ kleinen Versuchsanlage mit 2000 Gaszentrifugen - statt der rund 50.000, die irgendwann einmal in Natanz arbeiten sollen. Die dortige Anlage ist ohnehin noch Baustelle, war noch nie in Betrieb und könnte vorerst aus technischen Gründen gar nicht in Betrieb gehen. Viel mehr als 2000 Zentrifugen besitzt Iran noch gar nicht. Wenn in westlichen Medien also behauptet wird, Iran drohe mit der Wiederaufnahme der Arbeiten in Natanz - was ohnehin nicht stimmt -, so wäre derzeit überhaupt nur an Bauarbeiten und vielleicht an die Produktion von Zentrifugen zu denken, nicht aber an Uran-Anreicherung.
Werden USA und EU-Trio dem Betrieb einer Anreicherungs-Versuchsanlage zustimmen? Unwahrscheinlich. Der Konflikt wäre also mit einer Wiederaufnahme der Verhandlungen nur aufgeschoben. Vorsichtshalber zeigt Iran, dass man sich nur auf sich selbst verlässt: Die Aufmärsche zum Jahrestag der Gründung der Basidsch, der freiwilligen paramilitärischen Miliz, am 26. November standen in diesem Jahr ganz im Zeichen der Verteidigung des zivilen Atomprogramms. Landesweit demonstrierten nach Angaben des iranischen Fernsehens rund neun Millionen Milizionärinnen und Milizionäre, allein anderthalb Millionen in Teheran. Zehntausende Milizangehörige bildeten bewaffnete Menschenketten um die Atomanlagen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 29.11.2005