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Der Canossa-Gang wird Schröder nicht erspart bleiben
Er fliege nicht nach Canossa, sondern nach Washington, scherzte der grüne Außenminister Joschka Fischer routiniert mit den Journalisten vor seinem USA-Besuch in der vergangenen Woche. Er spielte damit auf den Bußgang des deutschen Kaisers Heinrich IV. zu seinem Gegenspieler, Papst Gregor VII. im Jahre 1077 an.
Um Vergebung hat Fischer in den USA wohl wirklich nicht gebeten. Stattdessen gab er sich größte Mühe, die während des deutschen Wahlkampfs absichtsvoll hochgekochten Meinungsverschiedenheiten über den von Bush geplanten Irak-Krieg zu einem banalen Familienstreit herunterzuspielen, wie er überall mal vorkommt, ohne dass die Gemütlichkeit dadurch beeinträchtigt wird.
Erreicht hat er mit seiner Reise rein gar nichts. Zum Präsidenten ins Weiße Haus durfte er nicht, und nicht einmal Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice, mit der sich Fischer gern getroffen hätte, gewährte ihm ein Plätzchen in ihrem Terminkalender. Nur sein Außenministerkollege Powell war zum Gespräch bereit und bekundete persönliche Freundschaft. Geschenkt: Powell gilt, jedenfalls im Bezugssystem der amerikanischen Politik, als "Taube" und hat den direkten Kontakt zu Fischer selbst während der heißesten Phase des deutschen Wahlkampfs nie abreißen lassen. Leider ist er innerhalb der US-Regierung total isoliert und es ist fraglich, wie lange er überhaupt noch im Amt bleibt.
Fischer wiederholte in den USA die aus dem Wahlkampf bekannte Aussage, Deutschland werde sich militärisch an einem Krieg gegen Saddam Hussein nicht beteiligen. Dagegen steht jedoch die Tatsache, dass die Bundeswehr am Aufmarsch gegen den Irak schon seit Monaten mit 1.200 Marinesoldaten und mehreren Kriegsschiffen in Nordostafrika sowie mit sechs in Kuwait stationierten ABC-Spürpanzern vom Typ "Fuchs" beteiligt ist.
Grundlage für diesen Einsatz ist eine am 7. November vorigen Jahres vom Bundestag beschlossene Resolution. Damals wurde entschieden: "Im Rahmen der Operation Enduring Freedom werden bis zu 3900 Soldaten mit entsprechender Ausrüstung bereitgestellt." Das Einsatzgebiet wurde großzügig umschrieben mit: "Die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete". Über die genauen Stationierungsgebiete entschied die Bundesregierung erst im Januar dieses Jahres.
Terroristen bekämpft man weder mit Kriegsschiffen noch mit Spürpanzern. Deutsche Soldaten in Kuwait und am Roten Meer flankieren den Aufmarsch der USA und Großbritanniens gegen den Irak. Das war von Anfang an offensichtlich. Ihre militärische Bedeutung im Kriegsfall wäre zwar gering, aber unter den gegebenen Umständen musste ihre Stationierung als bewusste Einverständniserklärung mit den amerikanischen Kriegsplänen für die Zeit "nach Afghanistan" verstanden werden. Daran ändert auch die im vorigen November vom Bundestag verabschiedete Klausel nichts: "Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen."
Diese Klausel schließt natürlich nicht aus, die Bundeswehrsoldaten auch nach Beginn des Kriegs gegen den Irak, der jetzt für die ersten Monate kommenden Jahres prognostiziert wird, dort zu lassen, wo sie sind. Entgegen anderslautenden Ankündigungen im Wahlkampf hat Verteidigungsminister Struck (SPD) inzwischen mitgeteilt, dass der Bundestag im November das vor einem Jahr erteilte Mandat für die Einheiten in Kuwait, Dschibuti und Afganistan um zunächst sechs Monate, also bis Mai und damit über den mutmaßlichen Zeitraum des Irak-Krieges hinaus, verlängern soll. Schon mehrere Wochen vor Struck hatte Außenminister Fischer diese Entscheidung vorweggenommen, indem er erklärte, das Mandat der deutschen Einheiten in Kuwait und Nordostafrika sei "Teil des Kampfes gegen den Al-Kaida-Terrorismus", und dieser Kampf sei noch nicht zu Ende.
Die zeitliche Abfolge - erst Fischer, dann Struck - macht deutlich, dass dem grünen Außenminister eine Führungsrolle zufällt. Sie ist darin begründet, dass Fischer und seine Partei sich sehr viel geschmeidiger und skrupelloser als etliche sozialdemokratische Politiker dem Kriegskurs der USA anpassen. Sogenannte "anti-amerikanische" Töne, die in den USA für Verärgerung sorgten, waren während des Wahlkampfs nicht von den Grünen, sondern ausschließlich aus den Reihen der SPD, einschließlich des Kanzlers, zu vernehmen.
Es wird wohl bei der Wahlkampf-Aussage bleiben, dass die Bundeswehr sich nicht direkt am bevorstehenden Krieg gegen den Irak beteiligen wird. Etwas anderes hat die amerikanische Regierung auch nicht gefordert. Die deutschen Soldaten werden wahrscheinlich auch im Kriegsfall dort bleiben, wo sie sind, sofern Kuwait und Dschibuti keine Einwände erheben. Und es ist nahezu ausgeschlossen, dass die Bundesregierung der US-Army irgendwelche einschränkenden Vorschriften für die Nutzung ihrer Stützpunkte in Deutschland machen wird. Vermutlich lässt das Stationierungsabkommen diese Option nicht einmal zu.
Wenn der Krieg gegen den Irak abgeschlossen ist, wird die Bundesregierung wohl nicht darauf verzichten wollen, sich an der "friedenssichernden" langfristigen militärischen Besetzung des Landes zu beteiligen, um damit den Einfluss der deutschen Wirtschaft zu wahren. Eine solche Beteiligung läge grundsätzlich auch im amerikanischen Interesse. Aber vorher wird Schröder wohl nicht nur nach Washington, sondern auch nach Canossa fliegen müssen.
Knut Mellenthin
Neues Deutschland, 5. November 2006