KNUT MELLENTHIN

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Wenn Soldaten zu viel töten

Fünf Angehörige der US-Streitkräfte sind wegen der Ermorderung afghanischer Zivilisten angeklagt. Ihre Hintermänner stehen nicht vor Gericht.

Junge amerikanische Soldaten im Alter zwischen 21 und 29 Jahren haben in Afghanistan aus Sadismus und kriminellem Übermut, völlig außerhalb jeder Kampftätigkeit, drei Zivilisten getötet und ihre Taten als Selbstverteidigung getarnt. Die Mörder fotographierten sich gegenseitig neben den Leichen. Finger und Zähne wurden als „Trophäen“ mitgenommen.

Der Spiegel berichtet über die Verbrechen, die vor einem Jahr begangen wurden, auf acht Seiten seiner aktuellen Ausgabe. Wie in solchen Fällen üblich geht es nicht ohne dick aufgetragenes Selbstlob ab: „Fünf Monate lang haben der SPIEGEL und SPIEGEL TV die Geschichte des Kill Teams recherchiert – quer durch die Vereinigten Staaten zwischen Wasilla in Alaska und Cape Coral in Florida. Auch in Afghanistan haben sich die Reporter umgesehen...“

Was das Magazin verschweigt: Die Geschichte ist seit Monaten bekannt. Bei Wikipedia ist unter dem Titel „FOB Ramrod kill team“ ein ausführlicher Eintrag zu finden, der 28 Links zu Zeitungsveröffentlichungen aufweist. Darunter auch zu einem Spiegel-Artikel vom September 2010, nachdem gegen fünf Tatbeteiligte Anklage wegen Mordes erhoben worden war. Inzwischen wurden auch Gerichtsverfahren gegen sieben weitere Angehörige derselben Einheit eröffnet, von denen einige schon mit geringen Strafen wie etwa 60 oder 90 Tage „harter Arbeit“ abgeschlossen wurden. Diesen Soldaten wurden weniger schwere Verbrechen wie Leichenschändung, Besitz von Leichenfotos, Drogenkonsum und Misshandlung eines Kameraden vorgeworfen.

Das einzige wirklich Neue und der sensationelle „Clou“ des aktuellen Spiegel-Artikels sind drei Fotos, die die Leichen ermordeter Afghanen zeigen. Auf zwei Bildern sind US-Soldaten neben den Toten zu sehen, die deren Kopf an den Haaren hochziehen. Einer der Mörder grinst dabei stolz in die Kamera.

Konkreter Anlass der Veröffentlichung im Spiegel ist der in dieser Woche eröffnete Prozess gegen einen der Soldaten, Jeremy N. Morlock. Er ist wegen Mordes angeklagt, hat aber aufgrund seiner umfangreichen Aussagen gegen andere Mitglieder des „Kill Teams“ schon vorweg eine Strafmilderung ausgehandelt. Ob mit Morlocks Behauptungen juristisch viel anzufangen sein wird, muss sich allerdings erst noch erweisen. Die Anwälte der von ihm Belasteten argumentieren, dass der Kronzeuge wegen früherer schwerer Verletzungen und psychischer Traumata fortwährend unter harten medizinischen Drogen gestanden habe.

Was im Spiegel jetzt als Individualtaten völlig überlasteter und zudem durch Alkohol und Haschisch enthemmter Soldaten erscheint, hat jedoch möglicherweise einen sehr viel weiter gehenden Hintergrund. Wie die Washington Post schon am 14. Oktober 2010 berichtete, gehörte das „Kill Team“ zur Fünften Stryker Combat Brigade, einer Einheit mit insgesamt rund 3800 Mann. Der Kommandeur der Brigade, Oberst Harry D. Tunnel, soll sich offen über die Anweisung, „Herzen und Hirne“ der Bevölkerung zu gewinnen, lustig gemacht und darauf bestanden haben, es komme nur darauf an, so viele Aufständische wie möglich zu töten. Dem entspricht auch das offizielle Motto dieser Brigade: „Strike and Destroy“, Zuschlagen und Zerstören. Die Idee, die Tötung von Zivilisten als Selbstverteidigung zu tarnen, wurde laut Washington Post von einem Hauptmann Matthew Quiggle entwickelt. Er gehört bisher nicht zu den Angeklagten.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 23. März 2011