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Vom "Reset" zum Absturz
Zu den zahlreichen Verheißungen, mit denen Barack Obama am 20. Januar 2009 das Präsidentenamt antrat, gehörte auch ein „Neustart“ in den Beziehungen zu Russland. Nachdem Vizepräsident Joe Biden das Stichwort am 7. Februar 2009 während der Münchner Sicherheitskonferenz ins Gespräch gebracht hatte, überreichte Außenministerin Hillary Clinton ihrem russischen Kollegen Sergej Lawrow am 6. März in Genf einen großen roten „Reset Button“ mit kyrillischen Buchstaben und sagte neckisch: „Wir haben hart gearbeitet, um das richtige russische Wort zu finden. Was meinen Sie, haben wir es richtig gemacht?“ Lawrow antwortete trocken: „Sie haben es falsch gemacht.“ Statt „Reset“ stand auf dem überdimensionalen Spielzeug das russische Wort für „Overcharge“, Überberechnung. Clinton erwiderte, noch eine Spur neckischer: „We won't let you do that to us“.
Mit dem „Reset“ stand es jedoch, nach demonstrativen Anfangserfolgen, schon 2011 nicht mehr gut. In den letzten Wochen sind die amerikanisch-russischen Beziehungen sogar auf einen Tiefpunkt abgestürzt, der klar unter dem Stand liegt, den Obama im Januar 2009 vorgefunden hatte. Viele westliche Kommentatoren meinen, dass es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990-1991 noch nie so schlimm gewesen sei wie gegenwärtig. Der gescheiterte „Reset“ ist zum Gegenstand höhnischer Polemiken der republikanischen und neokonservativen Gegner des Präsidenten geworden. Obama sei „naiv“ gewesen, habe einen Schmusekurs gegenüber Moskau zu fahren versucht, während die Gegenseite knallhart an den Methoden des kalten Krieges festgehalten habe. Obama habe durch Nachgiebigkeit und Führungsschwäche die „russische Aggression“ geradezu herausgefordert, heißt es stumpfsinnig-monoton und gleichgeschaltet in den US-amerikanischen Mainstream-Medien. Stellungnahmen, die zumindest Nachdenklichkeit, Sensibilität und Sachkenntnis zeigen, wie der Kommentar des früheren Außenministers Henry Kissinger in der Washington Post vom 5. März, sind rare Ausnahmen.
Schon die Grundidee des „Reset“ beruhte auf einer Fiktion und auf einem Missverständnis. Rein fiktiv und falsch war das von Obama damals gezeichnete Bild, sein Vorgänger habe das Verhältnis zu Russland heruntergewirtschaftet. Tatsächlich waren die zwischenstaatlichen Beziehungen unter George W. Bush überwiegend relativ gut gewesen. Zwischen Bush und seinem Amtskollegen Wladimir Putin bestand eine persönliche Nähe, die Obama zu keinem Zeitpunkt entwickelte. Zu einer Krise kam es erst im August 2008, also kurz vor Schluss der achtjährigen Amtszeit von Bush, nachdem Russland dem von Georgien überfallenen Südossetien militärisch zur Hilfe gekommen war.
Das Missverständnis Obamas war, dass er mit seinem Reset-Angebot „auf die Russen zuzugehen“ und ihnen fast schon eine Gnade zu erweisen glaubte. In Wirklichkeit war die Abkühlung zwischen Moskau und Washington nach dem Kaukasuskrieg hauptsächlich dadurch verursacht, dass die russische Seite politisch und menschlich maßlos enttäuscht über die westlichen Reaktionen war und daher von sich aus mit einer Reduzierung der Beziehungen reagierte. Schließlich war es absolut eindeutig, dass der georgische Präsident Michail Saakaschwili den Krieg durch einen Überfall auf Südossetien ausgelöst hatte. Aber alle westlichen Politiker weigerten sich, dieser Tatsache Rechnung zu tragen, und klagten stattdessen Russland mit extremer Schärfe und Einseitigkeit der Aggression an. Saakaschwili übrigens ist heute noch der Liebling westlicher Politiker und Journalisten. Er lebt in den USA, hält dort hoch bezahlte Vorträge, und darf derzeit quer durch die Mainstream-Medien zum Ukraine-Thema schreiben.
Die russische Regierung, damals mit Dmitri Medwedew als Präsident, hatte nach dem Beginn des georgischen Angriffs am 7. August 2008 mindestens sechs Stunden abgewartet, bevor sie Truppen nach Südossetien schickte. Dahinter stand die trügerische Einschätzung, es könne sich nur um einen abenteuerlichen Alleingang Saakaschwilis handeln, der gewiss auch vom Westen sofort verurteilt und schnell gestoppt werden würde. Aber in der nächtlichen Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats weigerte sich der US-Vertreter Zalmay Khalilzad, einer Resolution zuzustimmen, die beide Seiten auffordern sollte, „auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten“ und alle Kampfhandlungen einzustellen. Bush und Putin, damals Ministerpräsident, befanden sich zu dieser Zeit wegen der Olympischen Spiele in Peking. Als Putin den US-Präsidenten im Vertrauen auf das zwischen ihnen bestehende fast freundschaftliche Verhältnis inständig bat, seinen Einfluss bei Saakaschwili geltend zu machen, wurde er eiskalt abgewiesen. Erst danach entschloss Moskau sich zum militärischen Eingreifen. Dieser Zusammenhang wurde in den USA nicht nur völlig ignoriert, sondern wahrscheinlich auch bis heute von kaum jemandem verstanden.
Trotzdem lief Obamas „Reset“ zunächst erfolgsversprechend an. Im Juli 2009 besuchte er Moskau und hielt dort vor Studenten einer privaten Eliteuniversität eine seiner inhaltslosen Reden, die er, mit ganz wenigen Veränderungen, auch in Kairo, Dschakarta, Islamabad oder Peking vortragen könnte. Aber immerhin kam es während dieses Besuchs zu einem ersten praktischen Ergebnis: Die russische Regierung erklärte sich bereit, den Transport von Nachschub für den NATO-Krieg in Afghanistan über ihr Territorium zuzulassen.
Während diese Vereinbarung noch auf die Landwege beschränkt war, erlaubte Premier Medwedew, der inzwischen wieder seinen Platz mit Putin getauscht hatte, am 29. Juni 2012 auch Luftransporte. Obwohl die Beziehungen zu den USA damals schon auf der absteigenden Bahn waren, bot Moskau der NATO sogar die Benutzung des Luftstützpunkts Uljanowsk für die Flüge an, was in Russland heftige Kritik auslöste.
Die Absichten der US-Regierung bei dieser Vereinbarung waren offensichtlich: Pakistan, durch das die Hauptmenge des Nachschubs lief und läuft, aber das den Transitwege mehrmals unterbrochen hatte, um politische Forderungen durchzusetzen, sollte durch die Existenz einer Alternative unter Druck gesetzt werden. Als Medwedew sein Dekret unterzeichnete, lag der südliche Nachschubweg wieder einmal still, nachdem US-Kampfflugzeuge am 26. November 2011 zwei pakistanische Grenzstellungen angegriffen und 24 Soldaten getötet hatten. Vier Tage nach der Unterschrift des russischen Premiers gab Pakistan seinen Widerstand auf. Aus Kostengründen ist der Transport per Schiff zum pakistanischen Hafen Karatschi und weiter mit LKWs zur afghanischen Grenze viel günstiger als die „Nordroute“ über Russland, die denn in der Praxis auch keine große Bedeutung gewonnen hat.
Der spektakulärste Erfolg der „Reset“-Politik war die Unterzeichnung des amerikanisch-russischen Neuen START-Abkommens am 8. April 2010 in Prag. Fast genau ein Jahr vorher, am 5. April 2009, hatte Obama in der tschechischen Hauptstadt die unverbindliche „Vision“ einer „Welt ohne Atomwaffen“ beschworen. Der jetzt unterzeichnete Vertrag beschränkte die Zahl der strategischen Sprengköpfe beider Staaten auf jeweils 1.550. Er löste ein Übergangsabkommen, SORT genannt, ab, das Putin und Bush am 24. Mai 2002 in Moskau unterschrieben hatten. Schon dieser Vertrag hatte die Höchstgrenze der strategischen Sprengköpfe auf 1.700 bis 2.200 beschränkt. SORT wäre jedoch am Jahresende 2012 ausgelaufen, falls vorher kein neues Abkommen geschlossen worden wäre.
Da der Neue START-Vertrag ohne Zustimmung des US-Senats nicht in Kraft treten konnte, dauerte es noch bis zum 2. Februar 2011, bis Obama seine Unterschrift unter das Papier setze. Die langwierigen, öffentlich ausgetragenen und zum Teil scharfen Debatten im Senat dienten vor allem dazu, die russische Haltung im Atomstreit mit dem Iran im Sinne der US-Politik zu beeinflussen.
Dasselbe galt für die gleichzeitigen Diskussionen um ein Abkommen über die zivile nukleare Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten. Daran war hauptsächlich Russland interessiert. Es lieferte große Mengen von schwach angereichertem Uran in die USA, das für den Betrieb von Atomkraftwerken verwendet wurde. Gewonnen wurde das Material durch die Umwandlung von waffenfähigem Uran aus alten sowjetischen Sprengköpfen, die aufgrund der Abrüstungsverträge beseitigt werden mussten.
Das Kooperationsabkommen, das diese und andere Geschäfte absichern sollte, war schon am 6. Mai 2008 geschlossen worden. Präsident Bush hatte den Vertrag aber am 8. September 2008 aus dem Ratifizierungsverfahren zurückgeholt, um die Diskussion nicht durch den Kaukasuskrieg zu belasten. Obama hatte, aus gleicher Überlegung, dem Kongress das Abkommen erst am 10. Mai 2010 wieder zugeleitet. Danach hätten die Parlamentarier insgesamt 90 Sitzungstage Zeit gehabt, um Einspruch einzulegen. Nachdem das nicht geschah, trat das Kooperationsabkommen schließlich am 8. Dezember 2010 in Kraft.
Prominente Kongressmitglieder aus beiden großen Parteien hatten zunächst mit demonstrativer Lautstärke und Schärfe darauf hingewiesen, dass man unmöglich mit Russland eine nukleare Zusammenarbeit vereinbaren könne, so lange dessen Haltung und Zuverlässigkeit gegenüber dem Iran nicht absolut einwandfrei und sicher seien.
Zur selben Zeit passierte Folgendes: Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, sein brasilianischer Kollege Luiz Inacio Lula da Silva und der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan unterzeichneten am 17. Mai 2010 einen gemeinsamen Vorschlag, der zentrale Punkte des Atomstreits vom Tisch genommen hätte. Vor allem hätte dieses Angebot bedeutet, dass Iran darauf verzichtet hätte, die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent, die gerade erst aufgenommen worden war, fortzusetzen. Aber ohne dass sich Russland oder China überhaupt öffentlich zu diesem Vorschlag geäußert hatten, verkündete wenige Stunden später eine übermütig triumphierende, ihrer Sache offensichtlich sehr sichere Hillary Clinton, dass der Vorschlag abgelehnt sei und dass die Sechsergruppe neue Sanktionen beschließen werde.
Tatsächlich verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 9. Juni 2010 mit den Stimmen Russlands und Chinas die Resolution 1929, die eine drastische Verschärfung sowohl der Sanktionen als auch der Diktion beinhaltete. Zu den neuen Strafmaßnahmen gehörte auch ein fast totales Waffenembargo gegen Iran. Auf dieser von ihm selbst mitzuverantwortenden Grundlage kündigte Präsident Medwedew wenige Tage später einen Vertrag über die Lieferung von S-300-Luftabwehrraketen an den Iran. Genau das war eine Hauptforderung Israels und seiner Lobby in den USA gewesenen.
Einen weiteren traurigen Tiefpunkt des russischen Zickzack-Kurses in der Außenpolitik gab es einige Monate später, als Moskau und Peking am 17. März 2011 durch Stimmenthaltung die Verabschiedung der Sicherheitsresolution 1973 ermöglichten. Sie diente der NATO, zweifellos aufgrund einer einseitigen und sinnwidrigen Interpretation, als Rechtfertigung für ihren Luftkrieg gegen Libyen, der schließlich zum Sturz Muammar al-Gaddafis und zu seiner sadistischen öffentlichen Ermordung führte. Dass die NATO mit dieser Resolution genau das beabsichtigte, war allerdings schon vorher offen ausgesprochen worden.
Immerhin wurde der Vorgang aber zum Auslöser einer Neuorientierung des russischen und chinesischen Verhaltens, als sich die USA und ihre Verbündeten kurz darauf mit der selben Methode auch einen Freibrief für eine Militärintervention gegen Syrien verschaffen wollten. Am 4. Oktober 2011 legten Moskau und Peking erstmals ihr Veto gegen eine von der EU eingebrachte Syrien-Resolution ein. Der Westen reagierte mit heftigen Angriffen gegen die russische Haltung, die seither immer mehr gesteigert wurden.
Zur Abkühlung der Beziehungen zwischen Washington und Moskau trugen die Ereignisse rund um die russische Parlamentswahl am 4. Dezember 2011 bei. Unter dem Vorwurf massiver Wahlfälschungen gab es in Moskau eine Reihe von Protestdemonstrationen mit ungewöhnlich vielen Teilnehmern, wie sie seit Jahren nicht mehr vorgekommen waren. An der Organisierung maßgeblich beteiligt waren „liberale“ pro-westliche Gruppen, die direkt aus dem Haushalt des State Department subventioniert wurden. Das wurde in der russischen Führung als Anzeichen interpretiert, dass Washington nun auch in Russland eine inszenierte „Revolution“ anstrebte.
Immerhin brachte das Jahr 2011 aber auch am 16. Dezember die Entscheidung über die Aufnahme Russlands in die Welthandelsorganisation (WTO). Mehr als drei Viertel aller Länder der Welt sind dort Mitglied. Die WTO ist also alles andere als ein exklusiver Club. Aber Kandidaten können nur aufgenommen werden, wenn wirklich alle Mitglieder einverstanden sind. Im Falle Russlands lehnten zuletzt nur noch die USA und Georgien ab. Unter Obama gab die US-Regierung ihren Widerstand auf und schaffte es auch, Georgien die Zustimmung zum russischen Beitritt abzuhandeln. Formal erfolgte die Aufnahme Russlands jedoch erst am 22. August 2012.
Den definitiven Wendepunkt im amerikanisch-russischen Verhältnis bedeutete die Rückkehr Putins ins Präsidentenamt am 7. Mai 2012. Hatten die US-Medien bis dahin Medwedew oft als Marionette Putins dargestellt – was sachlich nicht korrekt war -, so begannen sie nun, sich aggressiv auf Putin selbst einzuschießen.
Am 20. September 2012 gab das russische Außenministerium bekannt, dass das Moskau Büro von USAID spätestens am 1. Oktober geschlossen werden müsse und dass deren weitere Tätigkeit in Russland nicht geduldet werde. Die Entscheidung sei in erster Linie getroffen worden, weil die Tätigkeit von USAID „nicht immer mit den erklärten Zielen der bilateralen humanitären Zusammenarbeit im Einklang stand“, hieß es auf der Website des Ministeriums. Das beziehe sich auf die Vergabe von Geld- und Sachgeschenken zum Zweck der Beeinflussung der russischen Innenpolitik, einschließlich der Wahlen.
Entgegen der allgemeinen Sprachregelung der Mainstream-Medien ist USAID keine „Hilfsorganisation“, sondern eine Regierungsbehörde, die direkt dem State Department untersteht und aus dessen Haushalt finanziert wird. Sie ist gegenüber dem Außenminister und dem Präsidenten weisungsgebunden. Ihre Aufgaben werden offiziell mit „Unterstützung der außenpolitischen Ziele der USA“ beschrieben. Die Dienststelle, die auch als Cover für den Auslandsgeheimdienst CIA dient, beschäftigte in ihrem Moskauer Büro zuletzt 13 US-Amerikaner und die stattliche Zahl von 60 russischen Mitarbeitern. Im letzten Jahr vor der Schließung verfügte das Büro nach offiziellen Angaben über knapp 50 Millionen Dollar, wovon 60 Prozent als „Unterstützung von Demokratie und Zivilgesellschaft“ deklariert wurden, also direkt an regierungsfeindliche Gruppen und Personen flossen.
Jüngste Zuspitzung vor der gegenwärtigen Ukraine-Krise war die Magnitsky Bill, die von Obama am 14. Dezember 2012 in Kraft gesetzt wurde. Russland reagierte mit dem Dima-Jakowlew-Gesetz, das Putin am 28. Dezember 2012 unterzeichnete. Beide Gesetze belegen oder bedrohen „Menschenrechtsverletzer“ der anderen Seite mit Einreiseverbot und Vermögensbeschlagnahmung. Insgesamt sind diese Maßnahmen erheblich umfangreicher als die jetzt in Zusammenhang mit der Ukraine verkündeten personenbezogenen Sanktionen. Das russische Gesetz verbietet darüber hinaus auch die Adoption russischer Kinder und Jugendlicher durch US-Amerikaner.
Bei dem US-amerikanischen Gesetz geht es vorerst hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, um Personen, die von den USA im weitläufigsten Sinn mit dem Tod des Steuer- und Anlagenberaters Sergej Magnitsky in Verbindung gebracht werden, der 2009 unter nicht aufgeklärten Umständen in einem russischen Gefängnis starb. Die russische Liste enthält ausschließlich Personen, denen Moskau vorwirft, die Rechte russischer Staatsbürger verletzt zu haben.
Ein spezieller russlandfeindlicher Affront liegt in der Tatsache, dass die Magnitsky Bill praktisch an die Stelle des Jackson–Vanik Amendmends trat. Dieses 1974 verabschiedete Gesetz sah Handelsbeschränkungen, um Ausreisefreiheit für sowjetische Juden zu erzwingen. Spätestens seit den späten 1980er Jahren, als Hunderttausende Juden aus der Sowjetunion nach Israel auswanderten, war das Gesetz absolut sinnlos, seine Aufrechterhaltung rein provokatorisch. Obwohl seine Bestimmungen nicht mehr angewendet wurden, hielten die USA dennoch bis 2012 daran fest. Seine Aufhebung wurde dann unmittelbar mit der Verabschiedung des Magnitsky-Gesetzes verknüpft.
Vor diesem Hintergrund wurde im Februar 2013 ein russisches Gesetz verabschiedet, das Staatsfunktionären und Spitzenmanagern von Staatsbetrieben verbietet, ausländische Bankguthaben, Aktien und Wertpapiere zu besitzen. Ziel dieses Gesetzes ist ebenso die Einschränkung der furchterregend umfangreichen illegalen Kapitalverschiebung ins Ausland wie auch die Vorbeugung gegen personenbezogene Strafmaßnahmen der USA und ihrer Verbündeter in der Art der gerade jetzt wieder verkündeten.
Bei Prognosen über den Fortgang der gegenwärtigen Konfrontation ist zu bedenken, dass in den USA wieder einmal Wahljahr ist. Am 4. November werden alle 435 Abgeordneten und 33 der 100 Senatoren neu gewählt. Die Republikaner, die bereits eine große Mehrheit im Abgeordnetenhaus haben, machen sich begründete Hoffnungen, dann auch den Senat zu übernehmen. Dafür müssten sie den Demokraten lediglich sechs Sitze abnehmen.
Voraussichtlich werden die Kandidaten ihre Wahlkämpfe hauptsächlich auf dem Gebiet der Innenpolitik austragen, wobei die Republikaner die Mängel der Gesundheitsreform – Healthcare oder, wie sie sagen, ObamaCare – in den Vordergrund stellen werden. Trotzdem wird auch die Außenpolitik, und insbesondere der Anspruch auf ewige, unangefochtene Weltherrschaft („global leadership“) der USA, eine erhebliche Rolle spielen. Die Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung will nicht in neue militärische Konflikte hineingezogen werden. Sie ist aber auf der anderen Seite für Parolen der Supermachtsarroganz und der aggressiven Überheblichkeit gegenüber „gefährlichen“ Staaten hochgradig empfänglich, ohne Bewusstsein über die damit zwangsläufig verbundenen Folgen zu entwickeln - und sogar ohne sich dafür ernsthaft zu interesssieren. Die Republikaner werden folglich bemüht sein, Obama als einen schwachen Präsidenten darzustellen, der daran schuld ist, dass die Amerikaner in der Welt nicht mehr ernst genommen werden, ohne sich aber selbst zu deutlich auf militärische Optionen festzulegen.
Es gibt in den USA absolut keinen rationalen Diskurs über die mit der gegenwärtigen internationalen Krise verbundenen Probleme, Herausforderungen und Aufgaben. Die wildesten Schreihälse bestimmen das Klima. Unter 535 Kongressmitgliedern sind nicht einmal zehn, die in diesem Aufruhr aggressiver Emotionen, Parolen und Handlungsvorschläge als Stimmen der beruhigenden Vernunft gelten könnten. Der Druck auf Obama, an irgendwelchen Punkten den starken Mann zu spielen – ob nun gegenüber Syrien, Iran oder sogar Russland – ist demzufolge enorm. Entsprechend gering sind die Anreize für Moskau, das jetzt Erreichte einfach nur zu stabilisieren, statt weiter offensiv zu agieren.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 24. März 2014