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Panzer und Kaninchen
Die USA setzen die Verschiebung ihrer militärischen Kräfte nach Ostasien fort. Verteidigungsminister Leon Panetta gab am Sonnabend während einer Konferenz in Singapur bekannt, dass in den kommenden Jahren 60 Prozent der amerikanischen Marine im Pazifik und im Indischen Ozean stationiert werden sollen. Die Umschichtung werde eine längere Zeit in Anspruch nehmen und möglicherweise erst 2020 abgeschlossen sein. Schon jetzt unterhalten die USA dort ungefähr die Hälfte ihrer Flotte, darunter sechs ihrer elf Flugzeugträger. Insgesamt verfügen die Vereinigten Staaten nach eigenen Angaben über 285 Kriegsschiffe. Einige von ihnen sollen in den kommenden Jahren wegen ihres Alters aus dem Dienst genommen und aus Kostengründen zunächst nicht durch neue Schiffe ersetzt werden.
Panetta antwortete mit seiner Ankündigung auf Fragen von Konferenzteilnehmern nach den Konsequenzen der „neuen Strategie“, die Präsident Barack Obama Anfang dieses Jahres auf einer Pressekonferenz des Pentagon präsentiert hatte. Ein zentraler Punkt soll die Konzentration der Streitkräfte aller Waffengattungen auf die militärische Einkreisung Chinas bei gleichzeitigen „Einsparungen“ am Rüstungshaushalt insgesamt sein. „Wir werden unsere Präsenz im asiatisch-pazifischen Raum verstärken“, sagte Obama. „Haushaltskürzungen werden nicht auf Kosten dieser kritischen Region gehen.“
Chinas Hochseemarine ist zahlenmäßig und mehr noch qualitativ unendlich viel schwächer als die der USA, die sich zudem auch noch auf das Potential ihrer Verbündeten innerhalb und außerhalb der NATO stützen können. Der einzige Flugzeugträger der Chinesen, ein veraltetes Stück aus sowjetischen Beständen, das schon 1985 vom Stapel lief, ist höchstens ein Thema für aufgeregte Kommentare in manchen Mainstream-Medien. China hat außerhalb seiner Grenzen keine Stützpunkte, und seine Kriegsschiffe würden im Fall einer militärischen Konfrontation mit den USA wahrscheinlich nicht einen einzigen ausländischen Hafen ansteuern können. Das bevölkerungsreichste Land der Welt, Wirtschaftsmacht Nummer 2 hinter den USA, ist von der ständiger Zufuhr überseeischer Rohstoffe abhängig. Es hätte im Kriegsfall gegen eine weiträumige Blockade nicht die geringsten Abwehrmöglichkeiten.
Aber die Chinesen, sagte Panetta in Singapur, müssen sich überhaupt keine Sorgen machen: Der fortschreitende Kräfteaufbau der USA rund um ihre Land- und Seegrenzen richte sich nicht gegen China. Ebenso wie ja bekanntlich auch das geplante Raketenabwehrsystem der NATO sich nicht gegen Russland richtet. Zu diesem Thema sagte Nikolaj Korchunow, Stellvertreter des russischen Botschafters bei der NATO, laut WELT vom 28. Mai: "Wenn mein Nachbar einen Panzer in seinen Garten stellt und auf meine Frage, was er damit wolle, antwortet: 'Der ist gegen die Kaninchen', dann wäre jeder irritiert.“
Knut Mellenthin
Junge Welt, 4. Juni 2012