KNUT MELLENTHIN

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Pakistan: NATO-Nachschublinie wieder offen

Der Nachschub durch Pakistan für den NATO-Krieg in Afghanistan fließt wieder in vollem Umfang. Er war am Dienstagmorgen voriger Woche wegen einer angeblich geplanten „gigantischen Offensive“ gegen Aufständische im Khyber-Bezirk unterbrochen worden. Am Freitagvormittag wurde der gesperrte, etwa 50 Kilometer lange Schlussabschnitt vor der afghanischen Grenze erstmals wieder für fünf Stunden geöffnet, so dass der aufgestaute Verkehr abfließen konnte.

Vor allem der Nachschub für die US-Streitkräfte wird überwiegend auf dem Seeweg zum pakistanischen Hafen Karatschi gebracht und von dort auf zwei Hauptstrecken mit LKWs nach Afghanistan transportiert. Die weitaus bedeutendere dieser beiden Linien ist die nach Nordwesten führende über den Khyber-Pass, die eine Gesamtlänge von knapp 1200 Kilometern hat. Rund 75 Prozent des US-amerikanischen Nachschubs erreicht auf diesem Weg die Truppen. Im Jahr 2008 hatte es im Khyber-Bezirk erstmals zahlreiche Angriffe auf LKW-Konvoys und –Depots gegeben, bei denen Hunderte von Fahrzeugen zerstört wurden. Bis dahin hatte der Nachschub als kaum gefährdet gegolten, vermutlich aufgrund von Schutzgeld-Vereinbarungen mit den dortigen Stämmen und Klans.

Am vorigen Dienstag hatte der Chef des Khyber-Bezirks, Tariq Hajat, angekündigt, die Operationen gegen die Aufständischen würden so lange fortgesetzt, „bis wir unser Ziel erreicht haben“. „Der Nachschub für die NATO-Kräfte bleibt unterbrochen, bis wir das Gebiet von Aufständischen und Verbrechern gesäubert haben.“ Schon zwei Tage später behauptete er allerdings, die Militäraktionen verliefen sehr erfolgreich und es zeichne sich eine „Normalisierung“ ab.

Etwas anderes war kaum zu erwarten, denn eine längere Sperrung der Straße nach Afghanistan, über die auch der normale Warenverkehr verläuft, würde erhebliche Schwierigkeiten und Risiken mit sich bringen. Nicht etwa für die Interventionsstreitkräfte in Afghanistan, die über erhebliche Vorräte verfügen, sondern für die pakistanischen Sicherheitskräfte: Es würden sich auf dem gefährlichsten Teil der Strecke Hunderte von Fahrzeugen aufstauen, die relativ leichte Angriffsziele bieten würden.

Die angekündigte „gigantische Offensive“ im Khyber-Bezirk erwies sich bisher als Rachefeldzug gegen zwei einheimische Stämme, die in der Vergangenheit als regierungsloyal galten und zu den sogenannten pakistanischen Taliban ein konfliktreiches Verhältnis haben. Nach vorläufigen Angaben vom Wochenende wurden 50 Wohnhäuser von Stammesältesten durch Bulldozzer oder Sprengung systematisch zerstört; 200 Menschen wurden festgenommen. Zu Kämpfen kam es nicht.

Der jetzt hauptsächlich angegriffene Stamm der Kukikhel hatte im Frühjahr 2008 verlustreiche Kämpfe gegen die Laschkar-i-Islam, eine der größten fundamentalistischen Kampforganisationen Pakistans, geführt. Im Oktober verscherzten sie sich aber das Wohlwollen der Regierung, als sie deren Befehl nicht befolgten, eine Hilfstruppe zum Kampf gegen die Aufständischen zur Verfügung zu stellen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 5. Januar 2009