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Pakistan in Wut
US-Regierung tötet über 40 Menschen beim Drohnenangriff auf eine Stammesversammlung
In ungewöhnlich scharfer Form hat die pakistanische Regierung einen USA-amerikanischen Drohnenangriff verurteilt, bei dem am Donnerstag nach jüngsten Angaben mindestens 44 Menschen ums Leben kamen. Acht Verletzte befinden sich noch in Lebensgefahr.
Schauplatz des Angriffs war das Dorf Nevi Adda Shega in Nordwasiristan. Mehrere unbemannte Flugkörper hatten bis zu acht Raketen auf eine Menschenmenge unter freiem Himmel abgeschossen, bei der es sich um eine Versammlung von Stammesältesten und Einwohnern handelte. Solche Beratungen, die man in Pakistan ebenso wie im benachbarten Afghanistan als Dschirga bezeichnet, finden statt, um kommunale Angelegenheiten zu diskutieren oder Konflikte zu schlichten. In diesem Fall soll es um einen Rechtsstreit zwischen zwei Stämmen über den Besitz an einer Chromerzmine gegangen sein.
Regierungschef Yousuf Raza Gilani verurteilte den Angriff als „irrationale Handlung, die nur die radikalen und extremistischen Elemente stärkt“. „Ein solches Vorgehen hat negative Auswirkungen auf unsere Bemühungen, die Aufständischen von friedlichen und patriotischen Stammesmitgliedern in diesem Gebiet zu trennen.“
Auffallend scharf äußerte sich der pakistanische Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani: „Es ist höchst bedauerlich, dass eine Versammlung friedlicher Bürger, unter denen sich auch Älteste des Gebiets befanden, unter völliger Missachtung von Menschenleben rücksichtslos angegriffen wurde. (…) Solche Gewaltakte führen uns weg von unserem Ziel, den Terrorismus auszuschalten.“ Die Sicherheit der pakistanischen Bevölkerung müsse über allem stehen und dürfe nicht taktischen Zwecken geopfert werden.
Außenminister Salman Bashir ließ erklären, der Angriff sei eine „offene Verletzung aller humanitären Regeln und Normen“. Von der US-Regierung verlangte er eine Stellungnahme zu ihrem Vorgehen und eine Entschuldigung.
Es wäre indessen das allererste Mal, falls Washington wirklich dieser Aufforderung nachkommen würde. Zu den rechtswidrigen Drohneneinsätzen, für die der Auslandsgeheimdienst CIA zuständig ist, werden ganz generell niemals irgendwelche Begründungen und Erklärungen abgegeben. Nicht einmal ihr Stattfinden wird offiziell bestätigt. Die US-Regierung teilt weder mit, was sie mit einzelnen Angriffen bezweckt, noch legt sie die Kriterien für diese Operationen dar. Seit Obama im Januar 2009 die Amtsgeschäfte des Präsidenten übernahm, hat er die Drohnenangriffe gegen Pakistan massiv steigern lassen. 2009 gab es 45 Attacken, so viele wie in der gesamten achtjährigen Amtszeit von George W. Bush. Im vorigen Jahr ließ Obama die unbemannten Flugkörper rund 110 mal zuschlagen.
Der Angriff vom Donnerstag, einer der folgenreichsten überhaupt in der Geschichte der Drohneneinsätze, erfolgte einen Tag nach der überraschenden Freilassung des CIA-Agenten Raymond Davis durch ein Strafgericht in der nordostpakistanischen Stadt Lahore. Der US-Bürger hatte am 27. Januar zwei Männer erschossen, die ihn angeblich verfolgt hatten. Das Gericht stellte das Verfahren ein, nachdem angeblich die Angehörigen seiner Opfer in die Zahlung eines „Blutgeldes“ in Höhe von insgesamt mehr als zwei Millionen Dollar eingewilligt hatten. Politische und religiöse Organisationen hatten für Freitag landesweit zu Protesten gegen die Freilassung von Davis aufgerufen. In Karatschi, mit 12 bis 15 Millionen Einwohnern eine der größten Städte der Welt, kam durch einen Streik der Verkehr weitgehend zum Erliegen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 19. März 2011