KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Obama will Freibrief

US-Präsident verlangt zeitlich und räumlich unbegrenzte Kriegsvollmacht gegen Syrien. Republikanische Scharfmacher und Neokonservative werben für Militärschläge bis zur Vernichtung des "Assad-Regimes".

Einen einmaligen, klitzekleinen, ganz kurzen, „maßgeschneiderten“ Militärschlag gegen Syrien hatte US-Präsident Barack Obama angekündigt. Aber vom Kongress fordert er jetzt die Vollmacht für einen zeitlich und räumlich unbegrenzten Krieg. Senat und Abgeordnetenhaus befinden sich noch bis zum 9. September in der Sommerpause. Es sieht zur Zeit nicht danach aus, als würden die Parlamentarier vorher aus den Ferien zurückgeholt.

Die Militärs hätten ihm erklärt, die Wirkung einer militärischen Reaktion auf den angeblichen Giftgaseinsatz durch syrische Regierungskräfte hänge nicht vom Zeitpunkt ab, sagte Obama am Sonnabend, als er seine Absicht bekanntgab, sich die Zustimmung des Kongresses zu holen. Man könne in einer Woche, aber ebenso gut auch erst in einem Monat angreifen. Zeit wird offenbar benötigt, um zögernde Parlamentarier zu bearbeiten und zu einer möglichst breit getragenen Entschließung zu kommen. Vorläufig scheinen die Widersprüche noch sehr groß.

In dem Resolutionsentwurf, den Obama dem Kongress am Sonnabend zuleitete, lauten die entscheidenden Absätze: „Der Präsident wird bevollmächtigt, die Streitkräfte der USA so einzusetzen, wie er es in Verbindung mit der Verwendung chemischer Waffen oder anderer Massenvernichtungswaffen im syrischen Konflikt für nötig und angemessen hält, um den Einsatz oder die Weiterverbreitung irgendwelcher Massenvernichtungswaffen, einschließlich chemischer oder biologischer Waffen, innerhalb Syriens, nach dort oder von dort, zu verhindern oder davon abzuschrecken (…) oder um die USA, ihre Verbündeten und Partner vor der Gefahr zu schützen, die solche Waffen darstellen.“

Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand, dass letzteres selbstverständlich dauerhaft und vollständig nur zu gewährleisten ist, wenn man Syrien diese Waffen entzieht. Das entspricht der Lage vor dem Irakkrieg 2003 – nur mit dem Unterschied, dass Syrien nicht bestreitet, Chemiewaffen zu besitzen, während der Irak zumindest zum damaligen Zeitpunkt keine mehr hatte. Der Harward-Professor Jack Goldsmith, ein ehemaliger Rechtsberater der Regierung von George W. Bush, kommentierte, dass Obama mit dieser Vollmacht sogar Angriffe gegen den Iran und gegen die Hisbollah rechtfertigen könnte – so lange er irgendeine Verbindung zu syrischen Massenvernichtungswaffen konstruiert, die er nicht einmal zu beweisen bräuchte.

Zahlreiche Kongressmitglieder, die in den Reihen beider großen Parteien zu finden sind, halten diese Vorlage des Präsidenten für zu weitgehend und befürworten eine sehr viel engere und genauere Beschreibung der zu erteilenden Kriegsvollmacht. Andere Abgeordnete und Senatoren, gleichfalls aus beiden Parteien, halten dagegen diesen Text für das Minimum des Erforderlichen. 

Die republikanischen Senatoren John McCain und Lindsey Graham, die fast immer als Duo auftreten, sind am Freitag und Sonnabend mit zwei kurzen Erklärungen vorgeprescht, in denen sie fordern, dass es das Ziel jeder Militäraktion gegen Syrien sein müsse, „das Kräfteverhältnis auf dem Schlachtfeld gegen Assad und seine Streitkräfte zu wenden“. Sie könnten daher nicht guten Gewissens „isolierte Militärschläge“ unterstützen, „die nicht Teil einer umfassenden Strategie sind“. Nötig seien vielmehr vernichtende Angriffe gegen die syrische Luftwaffe, gegen Raketenstellungen, gegen Kommando- und Kontrollzentralen, und gegen „andere militärische Ziele“. 

Genau das wird, in den Formulierungen nur geringfügig abweichend, auch in einem offenen Brief gefordert, der am vorigen Dienstag veröffentlicht wurde. Unterschrieben haben ihn Dutzende von Neokonservativen und anderen Mitgliedern der Pro-Israel-Lobby wie der frühere Senator Joe Lieberman. Seit der Propagandakampagne für den Irakkrieg im Jahre 2002 hat es kein derart beeindruckendes Aufgebot bekannter Namen aus dieser Szene mehr gegeben. 

Knut Mellenthin

Junge Welt, 3. September 2013