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NATO in Afghanistan
„Drogenbekämpfung“ zur Ausschaltung der Konkurrenz?
In der NATO wird über die militärische Bekämpfung der afghanischen Produzenten von Opium und Heroin gestritten. Die Auseinandersetzung wird zur Zeit durch interne Schreiben aus der NATO-Chefetage belebt, aus denen Spiegel Online am 28. Januar erstmals und weltexklusiv zitierte. Doch die zugrunde liegende Kontroverse wird schon seit Monaten ausgetragen. Das jetzt öffentlich bekundete „Entsetzen“ deutscher Parlamentarier muss daher wohl so interpretiert werden, dass sie wichtige Debatten und Entscheidungen verschlafen haben.
Unter dem sensationalistischen, aber sachlich nicht ganz zutreffenden Stichwort „Tötungsbefehl“ hatte Spiegel Online über eine geheime Anweisung des NATO-Oberbefehlshabers John Craddock berichtet. Darin werde befohlen,
„ab sofort offensiv Jagd auf ‚alle Drogenhändler und deren Einrichtungen’ zu machen.
Tödliche Gewalt soll künftig auch dann eingesetzt werden, wenn es keinen Nachweis gibt, dass Verdächtige tatsächlich dem bewaffneten Aufstand gegen die afghanische Regierung oder westliche Truppen angehören. Es sei ‚nicht länger nötig, Geheimdienst-Aufklärung zu betreiben oder zusätzliche Beweise zu erbringen, ob jeder der Drogenhändler oder jede Drogen-Einrichtung in Afghanistan auch die Kriterien eines militärischen Zieles erfüllt’, schreibt Craddock.“ (1)
Der US-General begründe seine Anweisung mit einem Beschluss der NATO-Verteidigungsminister, der am 10. Oktober vorigen Jahres in Budapest gefasst wurde, heißt es bei Spiegel Online weiter. Dort sei laut Craddock entschieden worden, dass Drogenhändler und Drogenproduktionsstätten „untrennbar mit den gegnerischen Militärkräften verbunden sind und daher angegriffen werden dürfen“. (2)
Und weiter Spiegel Online:
„Die Empfänger des Schreibens sind der deutsche Leiter der für Afghanistan zuständigen Nato-Kommandozentrale im niederländischen Brunssum, Egon Ramms, und der Kommandeur der Isaf-Schutztruppe in Kabul, David McKiernan. Beide wollen dem Befehl nicht folgen. Sie halten die Weisung für rechtswidrig und sehen darin einen Verstoß gegen geltende Isaf-Einsatzregeln und internationales Recht, dem ‚Law of Armed Conflict’.
Craddock kreiere eine ‚neue Kategorie von feindlichen Militärkräften’ und ‚untergrabe’ damit die Zusage von Isaf gegenüber den Afghanen, ‚so wenig militärische Gewalt wie möglich einzusetzen und zivile Opfer so weit wie irgend möglich zu vermeiden’, heißt es aus McKiernans Hauptquartier in Kabul.
Der deutsche Nato-General Ramms ließ seinen Vorgesetzten Craddock in einem Antwortschreiben unmissverständlich wissen, dass er nicht bereit sei, von den geltenden Angriffsregeln abzuweichen (...).“
Craddock habe, so Spiegel Online, schon angekündigt, alle Kommandeure zu feuern, die seinen Befehl nicht befolgen.
Leider lassen die kümmerlichen Zitate des Nachrichtenmagazins aus dem Schriftwechsel zwischen Craddock, Ramms und McKiernan nicht zu, klar und zuverlässig zu verstehen, was wirklich der Inhalt des Streits ist. Offen bleibt auch, ob Craddock wirklich einen neuen Befehl ausgegeben hat oder ob er lediglich eine bestimmte Interpretation des NATO-Beschlusses vom 10. Oktober 2008 durchzusetzen versucht. Worauf sich die Verteidigungsminister damals geeinigt haben, ist nicht genau bekannt, da der Beschluss nicht veröffentlicht wurde. Dieser war zudem so unpräzise und unverbindlich formuliert – um trotz großer Meinungsverschiedenheiten einen oberflächlichen „Kompromiss“ zu ermöglichen -, dass die Festlegung der praktischen Details der Zukunft vorbehalten wurde, wie die New York Times am 23. Dezember 2008 schrieb. (3)
Über den Inhalt des NATO-Beschlusses machte der Sprecher des Bündnisses, James Appathurai, am 10. Oktober 2008 auf einer Pressekonferenz folgende grammatisch ungelenke, zugleich aber extrem knappe Mitteilung:
„Hinsichtlich der Drogenbekämpfung, aufbauend auf einer Bitte der afghanischen Regierung, im Einklang mit der entsprechenden Resolution des UN-Sicherheitsrates, im Rahmen des bestehenden Operationsplans, kann ISAF in Abstimmung mit den Afghanen gegen Anlagen und Betreiber vorgehen, die den Aufstand unterstützen, vorbehaltlich der Autorisierung durch die jeweiligen Staaten.“ (4)
Auf eine Verständnisfrage zum Inhalt des Beschlusses wiederholte Appathurai nahezu unverändert, nur mit etwas anderer Wortstellung, seinen Satz.
Dann stellte ein Journalist eine sehr präzise Frage, die vermutlich schon den Kern des jetzt geführten Streits vorwegnahm:
„Bedeutet das, dass ISAF entscheiden muss, ob ein spezielles Drogenlaboatorium direkt den Aufstand finanziert, bevor sie es angreifen kann? Oder wird man einfach annehmen, dass alle Drogeneinrichtungen auf die eine oder andere Weise den Aufstand finanzieren?“
Darauf antwortete Appathurai erneut mit einer Wiederholung, aber an der Sache vorbei:
„Das ist ganz klar: vorgehen gegen Betreiber und Anlagen, Entschuldigung: Anlagen und Betreiber, die den Aufstand unterstützen – im Zusammenhang, natürlich, mit der Drogenbekämpfung.“
Wie sich nun in dem durch Spiegel Online ansatzweise aufgedeckten Streit zeigt, besteht der deutsche General Ramms auf dem konkreten Nachweis in jedem einzelnen Fall, während Craddock seine Interpretation als verbindlich durchsetzen will, dass mit dem Budapester Beschluss bereits ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Drogenindustrie und Aufstand festgestellt bzw. akzeptiert worden sei und dass daher ein Einzelnachweis nicht mehr erforderlich sei.
Auffallend ist, dass Ramms für seinen Widerstand gegen Craddocks Befehl offenbar nicht die Rückendeckung des deutschen Verteidigungsministers Franz-Josef Jung(CDU) hat. „Das ist ein interner Streit in der NATO“, ließ er durch seinen Sprecher der Presse mitteilen. „Der Minister wird sich da nicht einmischen.“ (5) Jung hatte sich seinerzeit „sehr zufrieden“ über den Kompromiss vom 10. Oktober 2008 geäußert. (6) Der bestand allerdings nur darin, dass es Allen Staaten des Bündnisses vorbehalten bleibt, ob und wie sie sich an der gemeinsam beschlossenen „Drogenbekämpfung“ beteiligen wollen. Die Bundeswehr überlässt das in ihrem Einflussgebiet offiziell den afghanischen Sicherheitskräften. Gemeinsam vor allem mit Italien und Spanien, angeblich auch unterstützt von Frankreich und Polen, hatte sich die Bundesregierung im Vorfeld der NATO-Gipfelkonferenz grundsätzlich dagegen ausgesprochen, die „Drogenbekämpfung“ zur Aufgabe der ISAF zu machen. Die Einwände wurden unter anderem mit der Warnung vor einer zunehmenden Entfremdung der Bevölkerung und dem Risiko hoher ziviler Verluste und anderer „Kollateralschäden“ begründet.
Dass der im Oktober vereinbarte „Kompromiss“ die Meinungsverschiedenheiten nur überspielt, aber nicht aufgelöst hatte, zeigte sich schon im Dezember. Die New York Times berichtete damals, General Craddock habe sich während eines Besuchs in Afghanistan „überrascht“ geäußert über „die Kluft“ zwischen der Entscheidung der NATO-Verteidigungsminister, „aggressive Einsätze zur Drogenbekämpfung“ zu genehmigen, „und dem Fehlen der Umsetzung aufgrund der Einwände mehrerer Staaten, die zu den NATO-Kräften in Afghanistan gehören“. (7) Mit der jetzt von Spiegel Online bekannt gemachten Anweisung, die angeblich vom 5. Januar stammt, hat Craddock offenbar versucht, die US-amerikanische Interpretation des Beschlusses als verbindlich für ISAF insgesamt durchzusetzen.
Nach Ansicht von Michael Pohly liegt die Vermutung nahe, dass hinter der geplanten „aggressiven Drogenbekämpfung“ das Bestreben interessierter Kreise steht, in dem extrem profitablen Geschäft afghanische Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Pohly ist Arzt und Iranist, war in den vergangenen zehn Jahren immer wieder in Afghanistan und hat sich für ein Projekt der Freien Universität Berlin intensiv mit dem afghanischen Mohnanbau beschäftigt. (8) Es sei bekannt, sagte Pohly im Gespräch mit HINTERGRUND, dass insbesondere die CIA, aber auch andere Geheimdienste traditionell am internationalen Drogengeschäft beteiligt sind und gut dabei verdienen. Regierungsmitglieder und Militärs in Afghanistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan verfügten über stattliche Privatkonten, auf denen Drogengelder landen.
Anmerkungen
- Susanne Koelbl: Nato-Oberbefehlshaber erteilt rechtswidrigen Tötungsbefehl. Spiegel Online, 28.1.2009.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,604137,00.html
Fortschreibung in Matthias Gebauer und Susanne Koelbl: Tötungsbefehl entsetzt deutsche Politiker. Spiegel Online, 29.1.2009.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,604369,00.html - Übersetzt nach der englischen Fassung des Artikels von Susanne Koelbl, die bei diesem Zitat offenbar näher am Text von Craddocks Anweisung dran ist als der deutsche Artikel.
Susanne Koelbl: NATO High Commander Issues Illegitimate Order to Kill. Spiegel Online, 28.1.2009.
http://www.spiegel.de/international/world/0,1518,604183,00.html - “Gen. David D. McKiernan, the senior American commander in Afghanistan, acknowledged that ‚some of the precise language still needs to be worked out’ with allies that objected to taking on counternarcotics missions.“ – Thom Shanker: Obstacle in Bid to Curb Afghan Trade in Narcotics. New York Times, 23.12.2008.
http://www.nytimes.com/2008/12/23/world/asia/23poppy.html?_r=1&pagewanted=print - Press briefing by the NATO Spokesman, James Appathurai, 10.10.2008.
http://www.nato.int/docu/speech/2008/s081010b.html - Spiegel Online, 29.1.2009. Siehe Anm. 1.
- NATO einigt sich auf gemeinsamen Kampf gegen Drogen. Minister in Budapest uneins über Ausweitung des Mandats der Afghanistan-Truppe. FAZ, 10.10.2008.
http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E8AF801D524B04EB4904D3AF70946B272~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_aktuell - Siehe Anm. 3.
- Christian Schwägerl: Der geheimnisvolle „amerikanische Mohn“. FAZ, 23.3.2007.
http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~ED99DCDE212BC476BA96BC8E26F964A50~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Knut Mellenthin
Hintergrund Online, 29. Januar 2009