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Ganz ohne Politik
Großkundgebung der US-Rechten in Washington. Sarah Palin als "Soldatenmutter" bejubelt.
Ausgerechnet am Jahrestag der legendären Rede von Martin Luther King („I have a dream“) marschierten am Sonnabend Zehntausende von Evangelikalen und anderen Rechten in der US-Hauptstadt Washington zu einer Machtdemonstration gegen Präsident Barack Obama auf. Die Veranstalter bezifferten die Menge, die sich auf der vier Kilometer langen National Mall zwischen Lincoöln Memorial und Capitol versammelt hatte, auf 300.000 bis 500.000. In seiner Talk Show am Sonntag erhöhte Beck auf 650.000. Die republikanische Abgeordnete Michele Bachmann, die den Tea-Party-Zusammenschluss in der Kongressfraktion ihrer Partei leitet, wollte sogar eine Millionen Menschen wahrgenommen haben. Offizielle Schätzung von Seiten der Polizei werden für Großkundgebungen in Washington schon seit einigen Jahren nicht mehr vorgenommen. Der Sender CBS berechnete auf Grund von Luftaufnahmen, dass rund 90.000 Menschen auf der National Mall waren.
Der Aufmarsch in Washington, der nach Presseberichten teilweise eher einem riesigen Picknick glich, war die bisher größte Aktion der rechten Tea-Party-Bewegung, die ausgehend von der Forderung nach weniger Steuern und weniger Staat inzwischen die gesamte Innen- und Außenpolitik der von Obama geführten Regierung bekämpft.
Eingeladen hatte der religiöse Fanatiker Glenn Beck, der vor allem durch seine Talk Show beim neokonservativ geführten Sender Fox News landesweit bekannt ist. Die Republikaner waren auf Distanz gegangen, auch wenn einzelne prominente Parteipolitiker sich an der Kundgebung beteiligten. Unter ihnen Sarah Palin, deren Rede mit starkem Beifall gefeiert wurde. Die ehemalige Gouverneurin von Alaska hatte im Präsidentschaftswahlkampf 2008 als Vize von John McCain („Bomb Teheran“) kandidiert. Viele Rechte sehen sie schon als Bewerberin für das Weiße Haus im Jahre 2012.
Beck hatte vor der Kundgebung behauptet, diese werde „nichts mit Politik zu tun haben“. Hingegen „hat sie alles zu tun mit Gott und mit der Rückwendung unseres Glaubens auf die Werte und Prinzipien, die uns groß gemacht haben“. Gleichzeitig hatte der Fernsehstar verkündet, die Finanzpolitik Obamas werde dazu führen, dass „unsere Kinder Schuldsklaven sein werden“. An die Teilnehmer hatte Beck appelliert, keine Schilder oder Transparente mit politischen Parolen mitzubringen. Das hinderte viele jedoch nicht, sich durch Texte auf ihren T-Shirts, durch Plaketten und zum Teil eben doch mit Plakaten als Anhänger der Tea-Party-Bewegung zu positionieren. Damit widerspiegelte die Veranstaltung die traditionelle Tatsache, dass viele rechte Amerikaner ihre eigenen Vorstellungen für derart selbstverständlich und geradezu gottgegeben halten, dass sie darin wirklich keine Politik – ein eher übel notierter Begriff –, sondern nur den ganz normalen Zustand eines „patriotischen“ US-Bürgers sehen.
In diesem Sinn war bei Allen Rednern sehr viel von Gott und Glauben die Rede. „Allzu lange ist dieses Land in der Finsternis gewandelt“ rief Beck aus und spielte damit für seine Anhänger leicht erkennbar auf den Bibelvers „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“ (Jesaja 9,1) an. Jetzt aber gelte es, „sich auf die guten Dinge in Amerika zu konzentrieren, auf das, was wir erreicht haben, und die Dinge, die wir morgen tun können“. „Etwas jenseits der Vorstellungskraft ereignet sich“, und damit meinte Beck die von ihm selbst einberufene Kundgebung. „Etwas, das größer ist als der Mensch, ereignet sich. Amerika beginnt heute, sich wieder Gott zuzuwenden.“
Mit solchen platten, inhaltsleeren Sprüchen ging es weiter. Sarah Palin leitete ihre Rede damit ein, dass sie vom Veranstalter gebeten worden sei, nicht als Politikerin zu sprechen. Deshalb sei sie hier nur „als Mutter eines ehemaligen Frontsoldaten“. Ihr Sohn war im Irak stationiert.
Obwohl Redner und Publikum ziemlich genau das reaktionäre, vorurteilsbeladene Spektrum repräsentierten, gegen das Martin Luther King sein Leben lang angekämpft hatte, hatten weder Beck noch Palin erkennbare Probleme, sich mehrmals ausdrücklich auf das Vermächtnis des 1968 von einem weißen Rassisten ermordeten Bürgerrechtlers zu berufen. „Ihr habt das selbe stählerne Rückgrat und den moralischen Mut von Washington, Lincoln und Martin Luther King“, rief Palin dem fast ausschließlich weißen Publikum zu, und fuhr fort, sie spüre geradezu seinen Geist über dieser Versammlung.
Gegen diesen Missbrauch gab es eine Gegenkundgebung, zu der ehemalige Führer der Bürgerrechtsbewegung aufgerufen hatten. Nach Presseberichten nahmen daran aber nur etwa 1000 Menschen teil.
Knut Mellenthin
Ergänzte Fassung eines am 30.8.2010 in der Jungen Welt erschienenen Artikels