KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Black sites - die rechtsfreien Räume der USA

Seit die US-Regierung nach dem 11. September 2001 den "Krieg gegen den Terror" ausrief, haben nach offiziellen amerikanischen Angaben rund 84.000 Menschen Bekanntschaft mit unterschiedlichen Haftanstalten unter US-Kontrolle gemacht. Viele nur für einige Tagen, manche für mehrere Monate, einige für Jahre. Zu über 95 Prozent handelt es sich um Iraker und Afghanen. Die aktuelle Zahl der Häftlinge wird offiziell mit 14.500 angegeben, davon 13.800 im Irak und etwa 500 im Lager Guantanamo auf Kuba. (Guardian, 18.11.2005)

Allen Gefangenen der US-Kriegsmaschinerie gemeinsam war und ist absolute Rechtlosigkeit. Sie erfahren keine Gründe für ihre Festnahme, sie haben keinerlei Rechtsbeistand und keine Möglichkeit, ihre Haft vor irgendeiner Instanz anzufechten. Zumeist werden ihre Verwandten über ihren Verbleib völlig im Unklaren gelassen. Wer freigelassen wird, liegt völlig in der Willkür der zuständigen US-Militärs und Beamten - und des Geheimdienstes CIA, der die meisten Haftanstalten kontrolliert.

Zu den offiziellen Gefangenen hat immerhin noch das Internationale Rote Kreuz (IRK) Zugang, wenn auch sehr eingeschränkt. Anders verhält es sich mit den sogenannten "ghost detainees", Geistergefangenen, die gar nicht erst registriert werden und von deren Existenz nicht einmal das IRK erfährt. Bei den Enthüllungen über die barbarischen Zustände im irakischen Gefängnis Abu Ghraib wurde auch bekannt, dass es dort einen eigenen Trakt für ghost detainees gab. Auch in Guantanamo gab es einen abgetrennten Sektor für nicht registrierte Gefangene, und ebenso in der inzwischen angeblich weitgehend aufgelösten Haftanstalt auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Bagram in Afghanistan. Angesichts der zunehmenden Enthüllungen und des internationalen Drucks geht der Trend aber offenbar dahin, die geheimen Sondertrakte innerhalb der bekannten offiziellen Gefängnisse und Lager aufzugeben und die ghost detainees an unbekannten Orten separat gefangen zu halten.

Geheimgefängnisse in Osteuropa

In der Washington Post vom 2. November schrieb Dana Priest aufgrund umfangreicher Recherchen und von Insider-Aussagen über die "secret prisons", die geheimen Gefängnisse der CIA. Vieles davon war bereits bekannt. Neu war vor allem die Behauptung, mit der die Journalistin ihren langen Artikel eröffnete: "Die CIA hat einige ihrer wichtigsten Al-Kaida-Gefangenen in einer osteuropäischen Anlage aus der Sowjetzeit versteckt und verhört."

Der Satz steht im Englischen eindeutig in der Vergangenheitsform. An anderer Stelle des Artikels spricht Dana Priest sogar von Geheimgefängnissen in mehreren osteuropäischen Ländern. Anscheinend weiß sie auch, um welche Länder es sich dabei handelt. Denn sie (oder die Redaktion der Zeitung) fügt hinzu: "Aufgrund von Bitten höherer US-Beamter veröffentlicht die Washington Post nicht die Namen der osteuropäischen Länder, die in das Geheimprogramm einbezogen sind. Die Beamten meinen, dass eine Enthüllung die Antiterror-Maßnahmen in diesen Ländern und anderswo stören könnte und dass diese Länder dadurch zum Ziel von möglichen terroristischen Racheakten werden könnten."

Dass man dieses Risiko wirklich verringert, indem man stattdessen sämtliche osteuropäischen Länder dem Verdacht aussetzt, leuchtet nicht unmittelbar ein. Jedenfalls kann die zitierte "Bitte höherer US-Beamter" wohl als Indiz dafür gelten, dass die Aussage von Dana Priest über geheime Haftanstalten in mehreren osteuropäischen Ländern zutreffend ist. Ob sie derzeit noch existieren, wird aus dem Artikel nicht deutlich - wohl absichtlich.

Nach Angaben der Journalistin hat die CIA seit 2001 zeitweise in acht Ländern Geheimgefängnisse, sogenannte "Black sites" (schwarze Orte), unterhalten. Die Mehrheit sei aber inzwischen geschlossen worden. Außer Afghanistan, wo der Sachverhalt seit langem allgemein bekannt ist, nennt Dana Priest nur ein einziges weiteres Land beim Namen: Thailand. Anscheinend hatten die anonymen Informanten der Journalistin keine Einwände, dieses Land als einziges öffentlich zu kompromittieren. Man kann das getrost als Racheakt interpretieren, denn die thailändische Regierung hat laut Washington Post im Juni 2003 darauf bestanden, die Anlage zu schließen, nachdem Gerüchte über ihre Existenz veröffentlicht worden waren. Die Zusammenarbeit der beiden Länder im Antiterror-Kampf sei seither nur noch "lauwarm", schreibt Priest.

Wie viele "Black sites" die US-Regierung heute noch unterhält, geht aus dem Artikel nicht hervor. Die geheimen Aktivitäten der CIA scheinen sich jetzt, so lässt die Washington Post durchblicken, auf eine größere Haftanstalt in einem nicht näher bezeichneten Land zu konzentrieren. Dabei könnte es sich, wie in den Medien schon seit Monaten spekuliert wird, um Jordanien handeln. Nach einem Bericht der israelischen Zeitung Haaretz vom 13. Oktober 2004 befinden sich dort derzeit mindestens elf "Top-Gefangene", die zur al-Kaida-Spitze gehören sollen. Darunter Khalid Sheikh Mohammed und Ramzi Binalshib - nach offizieller amerikanischer Darstellung die beiden wichtigsten Drahtzieher des 11. September. Die Los Angeles Times behauptete am 11. November, sicher etwas überspitzt, nicht mehr der israelische Mossad, sondern der jordanische Geheimdienst GID sei gegenwärtig der Hauptpartner der CIA im Nahen Osten. Nach Angaben des Blattes werden regelmäßig Häftlinge aus anderen Geheimgefängnissen vorübergehend nach Jordanien gebracht, dort unter Folter verhört, und anschließend zurückgeflogen. Bekannt ist, dass unter Verletzung der Genfer Konvention häufig Häftlinge aus dem Irak für mehrere Tage mit unbekanntem Ziel "verschwinden".

Die Gesamtzahl der "geheimen Gefangenen" schätzt Dana Priest in der Washington Post vom 2. November auf 100 - möglicherweise erheblich zu niedrig. Offenbar verlässt sie sich dabei auf die Angaben ihrer anonymen Informanten. Nur etwa 30 für ganz besonders wichtig gehaltene Gefangene befinden sich laut Priest in "Black sites", die direkt von der CIA kontrolliert werden. Sie sind dort absolut isoliert, außer CIA-Leuten hat niemand Zugang zu ihnen. Rund 70 weitere Häftlinge seien den Geheimdiensten befreundeter Länder - Priest nennt Ägypten, Jordanien, Marokko und Afghanistan - übergeben worden. Die CIA finanziere die besonders gesicherte Unterbringung dieser Gefangenen, und teilweise stünden sie auch unter direkter Kontrolle des US-Geheimdienstes, so Priest.

Aufgrund des Berichts der Washington Post hat der US-Senat inzwischen von der Regierung die Vorlage eines Berichts über die Geheimgefängnisse gefordert. Es wird sich allerdings um einen Geheimbericht handeln, in den vielleicht nur der Vorsitzende des zuständigen Ausschusses und sein Stellvertreter, also je ein Politiker der Republikaner und der Demokraten, Einsicht erhalten. Ob aus dem Bericht etwas an die Presse "durchsickert", ist ungewiss - aber angesichts der gespannten Situation in den USA keineswegs ausgeschlossen. Nicht nur die Demokraten, sondern auch einige Politiker der Republikaner sind an allem interessiert, was die Bush-Regierung in Verlegenheit bringen könnte, um eine Modifizierung der in eine gefährliche Sackgasse gesteuerten Kriegspolitik zu erreichen.

Polen und Rumänien unter Verdacht

In Europa rief vor allem die behauptete Existenz von Geheimgefängnissen in mehreren osteuropäischen Ländern Aufmerksamkeit hervor. Dass die USA solche Einrichtungen in Ländern der sogenannten dritten Welt unterhalten, war eigentlich seit langem allgemein bekannt und hatte bisher keine europäische Regierung zum Protest veranlasst. Aber die Existenz solcher Folterstätten in einem Mitglieds- oder Kandidatenstaat der EU würde in sehr viel direkterer Weise peinliche Fragen aufwerfen.

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die schon lange über die "verschwundenen Gefangenen" der USA recherchiert, hat offenbar konkrete Hinweise auf eine Verwicklung Polens und Rumäniens in das Geheimgefängnis-Netz der CIA. So sei am 22. September 2003 eine aus der afghanischen Hauptstadt Kabul kommende Boeing auf dem entlegenen und nur noch selten benutzten kleinen Militärflugplatz Szymany in Nordostpolen gelandet. In der Nähe soll sich nach Pressemeldungen eine zentrale Anlage des polnischen Geheimdienstes befinden. Von Szymany aus sei die Maschine zum rumänischen Luftwaffenstützpunkt Mihail Kogalniceanu weitergeflogen. Die USA hatten diese Basis im Jahr 2003 für den Truppentransport nach Irak genutzt. Der dortige Flughafen mitsamt einem 320 Hektar großen Übungsgelände gehört zu den osteuropäischen Militäranlagen, über deren dauerhafte Nutzung das Pentagon seit einiger Zeit verhandelt.

Von Rumänien aus sei die Maschine nach Marokko und schließlich nach Guantanamo weitergeflogen. Zur Zeit dieses Fluges seien nachweislich gerade "geheime Gefangene" der USA aus Afghanistan an andere Orte verlegt worden. Die benutzte Boeing habe einer Firma gehört, die als Tarnunternehmen der CIA gilt, berichtet Human Rights Watch.

Offiziere des polnischen Grenzschutzes und die Verantwortlichen für den Flughafen Szymany bestätigten, dass dort am 22. September 2003 tatsächlich, wie von der Menschenrechtsorganisation behauptet, eine amerikanische Boeing landete. An Bord hätten sich sieben Amerikaner befunden. Das Flugzeug habe fünf Personen mit US-Pässen aufgenommen, die angeblich auf Geschäftsreise in Polen gewesen waren. Die Maschine sei eine Stunde später wieder gestartet.

Sowohl Polen als auch Rumänien bestreiten jedoch, auf ihrem Territorium eine geheime Haftanstalt der CIA zu beherbergen . Die maßgeblichen EU-Gremien wollen offenbar dem Bericht der Washington Post nicht weiter nachgehen. Sie begnügen sich mit den Versicherungen aller osteuropäischen Regierungen, einschließlich der russischen, bei ihnen gebe es keine Geheimgefängnisse. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat jedoch den liberalen Schweizer Politiker Dick Marty beauftragt, den Vorwürfen nachzugehen und bis Ende dieser Woche einen Bericht vorzulegen. Der Europarat hatte schon im April alle europäischen Staaten aufgerufen, "sicherzustellen, dass ihr Gebiet und ihre Einrichtungen nicht in Verbindung mit geheimen Haftanstalten oder Gefangenentransporten unter möglicher Verletzung der internationalen Menschenrechte benutzt werden".

Die Angaben von Human Rights Watch, die sich auf Logbücher und andere Flugunterlagen stützen, die der Organisation offenbar zugespielt wurden, lassen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Schlussfolgerung zu, dass Szymany und Mihail Kogalniceanu in das Netz geheimer Aktivitäten der CIA einbezogen wurden. Mehr aber auch nicht. Wirkliche Indizien für die Existenz einer geheimen Haftanstalt in einem der beiden Länder hat die Menschenrechtsorganisation nicht vorgelegt. Die Frage bleibt also offen.

Seltsam wenig Aufmerksamkeit fand eine höchst interessante Aussage des tschechischen Innenministers Frantisek Bublan: Die US-Regierung habe vor etwa einem Monat bei der tschechischen Regierung angefragt, ob sie bereit wäre, Gefangene aus Guantanamo aufzunehmen. Prag habe abgelehnt. Das Ersuchen sei auch an zehn weitere europäische Länder gerichtet worden, so Bublan laut Washington Post vom 4. November. Es sollte sich von der EU und vom Europarat leicht klären lassen, um welche zehn Staaten es sich dabei handelt, und von der US-Regierung Aufklärung zu fordern.

Geheimflüge überall in Europa

Während es um die von der Washington Post behauptete Existenz von "Black sites" der CIA in mehreren osteuropäischen Ländern seltsam still geworden ist, jagten sich in der vergangenen Woche Meldungen über die Nutzung europäischer Flugplätze für Geheimflüge der CIA. Zahlenmäßig an der Spitze stehen Island und Großbritannien, genauer gesagt Schottland. Nach Recherchen isländischer Medien sind auf den Flughäfen Keflavik und Reykjavik seit 2001 mindestens 67 mal Chartermaschinen der CIA zwischengelandet. (Iceland Review, 8.11.2005) Die schottische Tageszeitung Sunday Herald hatte schon am 16. Oktober berichtet, dass die CIA in den vergangenen Jahren annähernd 20 britische Flugplätze benutzt habe. An der Spitze lägen die beiden Flughäfen des schottischen Glasgow mit zusammen rund 150 Landungen. Island und Schottland werden offenbar von den aus USA oder von Guantanamo kommenden CIA-Maschinen zum Auftanken angeflogen. Während die isländische Regierung behauptet, über die Flüge nicht informiert zu sein, und von Washington Aufklärung verlangt, schweigt Tony Blair beharrlich zu den Enthüllungen.

Spanien verzeichnet mindestens zehn Landungen und Starts von CIA-Maschinen auf dem Flugplatz von Palma de Mallorca. In zwei Fällen sollen von dort aus Flugzeuge gestartet sein, um von der CIA entführte, namentlich bekannte Personen aufzunehmen. Auch die zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln sollen mehrfach von der CIA angeflogen worden sein.

Das dänische Außenministerium hat, einem Bericht der Washington Post vom 17. November zufolge, die CIA gebeten, bei Gefangenentransporten und anderen "Zwecken, die nicht mit internationalen Konventionen vereinbar sind", den dänischen Luftraum zu meiden. Der schwedische Staatssekretär Lars Danielsson bestätigte in der vergangenen Woche, dass "von der CIA gemietete zivile Flugzeuge gelegentlich auch in Schweden gelandet sind". Über die Zwecke sei man bisher nicht informiert. Die Regierung beauftragte die Luftfahrtbehörde mit einer umfassenden Untersuchung. In Norwegen bestätigte ein Sprecher des Osloer Flughafens Gardermoen, dass eine mutmaßlich der CIA zuzuordnende Chartermaschine dort am 20. Juli einen zwölfstündigen Zwischenstopp eingelegt hat. Die norwegische Regierung hat inzwischen nach eigener Aussage von den USA die Zusicherung erhalten, dass es keine Zwischenlandung geheimer Gefangenentransporte in Gardermoen gegeben habe.

Schröder und Struck eingeweiht?

Schon im Juli hatte das Fernsehmagazin Monitor berichtet, dass der US-Stützpunkt Ramstein in der Pfalz und der Frankfurter Flughafen eine wesentliche Rolle im Netz der CIA-Geheimflüge spielen. Der Journalist Stephen Grey, der zu diesem Thema seit längerem recherchiert, sagte in der Sendung: "Wenn man sich die Flugbewegungen dieser CIA-Flüge genau anschaut, wird klar, das Deutschland ein wichtiges Drehkreuz für die CIA-Flotte darstellt. Und es wird auch klar, dass Deutschland quasi als Einsatzzentrale für diese Flüge fungiert."

Ramstein war am 17. Februar 2003 Zwischenstation bei der Entführung des in Italien lebenden Ägypters Abu Omar aus Mailand durch die CIA. Er wurde zunächst auf den US-Luftwaffenstützpunkt Aviano gebracht, von dort nach Ramstein geflogen und in eine andere Maschine "umgeladen", die ihn nach Ägypten brachte, wo er offenbar in Folterhaft kam. Es ist nicht bekannt, wo Abu Omar sich jetzt befindet.

Die Mailänder Staatsanwaltschaft hat mittlerweile gegen 22 mutmaßlich an der Entführung beteiligte CIA-Agenten Haftbefehl erlassen. Darunter gegen den damaligen CIA-Residenten im Mailänder US-Konsulat, Robert Lady, und gegen einen Diplomaten der amerikanischen Botschaft in Rom. In gleicher Sache ermittelt seit kurzem auch die für Ramstein zuständige Staatsanwaltschaft Zweibrücken "gegen Unbekannt".

Trotzdem erklärte die Bundesregierung in der vergangenen Woche, sie werde "zunächst" keine Untersuchung über die Rolle des Stützpunktes Ramstein als Zwischenstation für die  Geheimflüge der CIA einleiten. Offenbar besteht an Aufklärung kein Interesse. Vielleicht könnte Peinliches ans Licht kommen. Nach der Beschreibung der Washington-Post-Journalistin Dana Priest sind einzelne Spitzenpolitiker in den Partnerländern der USA zwar nicht in Allen Einzelheiten, aber doch grundsätzlich in die Aktivitäten der CIA eingeweiht. Das könnte zumindest für den gerade verabschiedeten Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinen Verteidigungsminister Peter Struck gelten, vielleicht auch für den grünen Außenminister Joschka Fischer. Und natürlich für BND-Chef August Hanning.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 21. November 2005