KNUT MELLENTHIN

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Zur Geschichte der Jagd

Mensch und Tier - Jäger und Opfer seit 600.000 Jahren

Die Jagd war, historisch gesehen, die Hauptmethode des Menschen, sich Nahrung und Kleidung zu verschaffen. Ein Wissenschaftler hat dies einmal mit einem verblüffenden Zahlenspiel deutlich gemacht: Würde man die gesamte Menschheitsgeschichte mit den 24 Stunden eines Tages gleichsetzen, so würde auf den Zeitraum, in dem die Jagd nicht die hauptsächliche Wirtschaftsform war, weniger als eine Viertelstunde entfallen.
Die Jagd brachte den Menschen der Steinzeit nicht nur das nährstoffreiche Fleisch, sondern auch Häute und Felle für Kleidung und Schuhe, sowie Knochen, aus denen Werkzeuge und Waffen, aber auch Schmuck hergestellt wurden. Es gab kaum einen Teil der Beute, der nicht irgendeinen nützlichen Verwendung zugeführt wurde.

Doch schon für die Menschen vor zehntausenden und hunderttausenden von Jahren war die Jagd mehr als nur eine Methode, ihre materielle Existenz zu sichern. Viele Beutetiere, die besonders groß und gefährlich waren oder die in Herden auftraten, erforderten gemeinsame Anstrengungen einer größeren Anzahl von Menschen. Die Jagd erforderte und festigte also den Zusammenhalt der Gruppe und war, zusammen mit dem gemeinsamen Verzehren der Beute, ein ganz wichtiges Ereignis. Im Rahmen einer sich entwickelnden und verfestigenden Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wurde die Jagd zum Geschäft der Männer. Die Aufnahme des Jungen in den Kreis der Erwachsenen stand in engem Zusammenhang mit seiner vollwertigen Beteiligung an der Jagd. Darüber sind wir nicht nur durch historische Funde informiert, sondern vor allem durch Beobachtungen bei sogenannten "Naturvölkern", für die die Jagd immer noch eine entscheidende Bedeutung hat.

Von manchen Indianerstämmen weiß man, daß sie vor der Jagd den Geist ihres Beutetiers zu beschwören versuchten und ihn um Verzeihung baten. Auch die Tatsache, daß es vor der Jagd Tänze gab, bei denen sich die Männer mit Häuten, Fellen, Hörnern usw. in das auserkorene Opfertier verwandelten, gehört wohl in diesen Zusammenhang. Die Menschen dieser Wirtschafts- und Kulturstufe begriffen offenbar die Jagd als einen zwar zum Überleben notwendigen, aber dennoch sehr problematischen gewalttätigen Eingriff in das Lebensrecht anderer Kreaturen und ganz allgemein in den Kreislauf der Natur. Nur zum Spaß und aus Langeweile Tiere zu töten, wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen, zumal ihnen der harte Kampf um die materielle Existenz kaum Zeit für Müßiggang und "Hobbies" ließ.    

Erst vor wenigen tausend Jahren begannen die Menschen, seßhaft zu werden und sich hauptsächlich von Ackerbau und Viehzucht zu ernähren. In Mitteleuropa geschah das vor rund 5.000 Jahren, im Nahen Osten und manchen anderen Gebieten schon vor 10-12.000 Jahren. Da die Menschen damals nur über sehr einfaches Werkzeug verfügten, war die Produktivität ihrer Tätigkeit nicht sehr hoch. Das hatte zur Folge, daß die Landwirtschaft sehr große Bodenflächen benötigte. Um diese zu gewinnen, wurden immer mehr Waldgebiete zerstört, so daß auch die Zahl und der Artenreichtum der Wildtiere zurückging. Das war besonders im Gebiet der alten Hochkulturen des Nahen Ostens und Nordafrikas der Fall.

Jagd als Königsrecht

Malereien und Plastiken aus dem alten Ägypten oder auch Assyrien zeigen, daß damals besonders die Jagd auf bestimmte Großtiere wie Nilpferd, Krokodil und Löwen zu einem Vorrecht der Könige und der sie umgebenden höchsten Gesellschaftskreise wurde. Pharaonen ließen sich gern abbilden, wie sie auf einem schmalen Schilfboot stehend mit dem Speer ein Nilpferd erlegten, das zugleich die ungezähmten, als bedrohlich empfundenen Naturkräfte symbolisierte. Die Könige Assyriens und Babyloniens zeigten sich im schnellen, leichten Kampfwagen, mit Pfeil und Bogen auf Löwen zielend. Die Großwildjagd war also schon damals zu einem "sportlichen" Amüsement der herrschenden Kreise geworden; das einfache Volk durfte höchstens im Schilf nach Enten jagen.

Hoch- und Niederwild

Eine vergleichbare Entwicklung gab es in Mitteleuropa erst ungefähr seit Beginn des 9. Jahrhunderts. Die Könige erklärten einen großen Teil der Waldgebiete zu "Bannforsten", in denen nur noch sie selbst und ihre Getreuen jagen durfte. Es entwickelte sich die in unserer Sprache immer noch fortlebende Unterscheidung zwischen Hoch- und Niederwild, was ursprünglich mit der Körpergröße und -höhe der betreffenden Tiere nichts zu tun hatte. Zum Hochwild gehörten die Arten, deren Bejagung sich der König selbst vorbehielt; an erster Stelle der Hirsch, aber beispielsweise auch Fasan, Schwan und Adler. Das Recht zur Jagd auf das Niederwild wie Hasen und Enten konnte der König an seine Adligen oder auch an die von ihm beschäftigten Berufsjäger vergeben.
Mit dem Zerfall der einheitlichen Königsmacht in Deutschland, im 13. und 14. Jahrhundert, wurden die Landesfürsten zu privilegierten Trägern des Jagdrechts. Sie dehnten dieses Recht schließlich soweit aus, daß die einfache Bevölkerung, vor allem die Bauern, kaum noch irgendwo jagen durften. Damit beschränkten die Fürsten in einer Zeit, wo schlechte Ernten und lange Winter große Hungersnöte zur Folge haben konnten, die Möglichkeiten ihrer Untertanen, sich zusätzliche Nahrung zu verschaffen. Wer gegen das Jagdmonopol des Fürsten verstieß, mußte mit grausamer Bestrafung und sogar mit dem Tod rechnen.

Doch damit nicht genug: Die Bauern waren zu mancherlei Hilfsleistungen verpflichtet, um das Jagdvergnügen der hohen Herren zu unterstützen. So mußten sie deren Jagdhunde durchfüttern und Fußvolk für die alljährlichen großen Treibjagden stellen. Außerdem mußten sie mit hilfloser Wut mit ansehen, wie die hohen Herren und Damen unbekümmert durch die Felder ritten und einen erheblichen Schaden anrichteten. Das gehörte letzten Endes zu den sozialen Ursachen, die um 1520, zur Zeit Martin Luthers, zu den großen Bauernaufständen in Baden-Württemberg, Franken und Thüringen führten.

Jagd als Volkssport

Erst die demokratische Revolution von 1848 beendete in Deutschland die Zeit der Willkür von Fürsten und Adel auf vielen Gebieten des Lebens. Nun stellte sich aber eine schlimme Folge der neu gewonnenen Jagdfreiheit ein: Jedermann durfte auf eigenem Grund und Boden nahezu unbeschränkt jagen, Schonzeiten galten nicht mehr, und es wurde in einem so riesigen Umfang unkontrolliert abgeschossen, daß manche Arten dezimiert und fast ausgerottet wurden.

Aufgrund dieser gefährlichen Entwicklung wurden in verschiedenen deutschen Teilstaaten Vorschriften erlassen, die das Jagdrecht wieder einschränkten, indem sie es von einer bestimmten Mindestgrößes des Grundbesitzes und vom Besitz einer amtlichen Jagderlaubnis  abhängig machte. Bremen führte 1922 als erstes deutsches Land eine Jägerprüfung ein. Das erste für ganz Deutschland geltende Jagdgesetz wurde 1934 erlassen. Es machte die Verbindung von Jagdschein und Prüfung obligatorisch und verankerte die Verpflichtung des Jägers zur "Hege und Pflege" der Wildbestände in seinem Revier.

Knut Mellenthin
"ich & du", 3/98