KNUT MELLENTHIN

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Herr, vergib ihnen?

...denn sie wissen, was sie tun!

"Herr vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun".
Der verzweifelte junge Mann, der vor 2000 Jahren selbst in der Stunde höchster Not noch um Vergebung für seine Peiniger bat, wird gern auch als Lamm Gottes bezeichnet, ein menschgewordenes Opfertier.

Die letzten Gedanken, der letzte Aufschrei der tiergebliebenen Opfer werden selten protokolliert.
Vielleicht hat sie nicht einmal geschrien, vielleicht war sie stumm vor Grauen, als man ihr bei lebendigem Leib erst die Sehnen ihrer Beine durchschnitt und dann ihren Leib aufschlitzte, um das ungeborene Kind herauszuschneiden. Und da sie "nur" eine Büffelkuh war, hat sie sicher für niemanden um Vergebung gebeten, während sie langsam und qualvoll ihrem Tod entgegen blutete.

Immerhin "schaurig gebrüllt" hat ihr Leidensgenosse, ein mächtiger Stier, der selbst mit gespaltenem Schädel immer noch an diesem grauenvollen Leben festhalten wollte. So hackte man ihm kurzerhand die Vorderläufe ab, um ihn in die Knie zu zwingen.

Dies sind keine Szenen aus einem "Splatter-movie", dies ist Realität aus einem Nato-Partner-Land. Realität aus türkischen Dörfern, ausgerechnet mit dem Ziel, Gott zu huldigen und zu ehren.

Wem aber jetzt schon der Zeigefinger zuckt, um auf die bösen Anderen zu zeigen, sollte sich gut überlegen, mit welchem Recht er den ersten Stein werfen darf.

Auch in der Türkei haben diese Praktiken Ekel und Abscheu hervorgerufen. Der angesehenste türkische Kolumnist hat seine beruflichen Möglichkeiten genutzt, um die Bürger seines Landes aufzuklären und aufzurütteln.
Das ist schon eine ganze Menge, danach muss man hierzulande lange suchen.

Kein Aufschrei der deutschen Presse, als Apollo starb, sondern voll die Kamera drauf und genüsslich kommentiert, dass die "Bestie" mit den tödlichen Kugeln in Kopf und Körper noch eine halbe Stunde zu leben versuchte, bis endlich ein Tierarzt kam und dem Hund die Todesspritze gab.

Vielleicht hing Apollo so an seinem Leben, weil es einmal schön gewesen war. Damals, als Apollo noch kein "Kampfhund" war, sondern ein geliebtes Tier, das genau wie der kleine Yorkshire Terrier und der zweijährige Sohn ganz selbstverständlich zur Familie gehörte.

Vielleicht hat sich Apollo an den kleinen Yorkie erinnert, den er nicht mehr gesehen hatte, nachdem er wegen der Hundeverordnung "mehrfach den Besitzer gewechselt" hatte.

Vielleicht ist er deshalb auf die Wiese gelaufen, hin zu dem kleinen Hündchen, das er angeblich durch die Luft geschleudert hat, das er angeblich versucht hat, zu töten. Das jedenfalls hatte ein Anrufer behauptet, woraufhin sogleich einige überaus mutige Polizeibeamte anrückten und ohne Vorwarnung acht mal herumballerten.

Der "aggressive Kampfhund" reagierte nicht einmal aggressiv, als er sterbend von einer Menschenmenge umringt wurde.

Dem kleinen Hündchen war ohnehin nicht das Geringste passiert.

Aber, besser ist besser. Der Fall "Kätzchen" darf sich schließlich nicht wiederholen. Kein schöner Anblick, wie "Kätzchen" dort in ihrem Blut liegt. Leider nicht ungewöhnlich. Solche wie "Kätzchen" werden ungesühnt zu Hunderten jedes Jahr von anonymen Tierquälern gegen die Wand geklatscht. Strafe? Wenn überhaupt, ein paar Mark.

Doch in diesem Fall war Sunny der "Täter". Sunny, der Bullterrier, der nach der Tat an einen Baum gefesselt wurde, und dort von den Hütern von Gesetz und Ordnung mit einer besonders abscheulichen Deformationsmunition (Einsatz gegen Menschen verboten!) hingerichtet wurde.

Wo kommen wir denn hin, wenn so ein hergelaufener Hund sich anmaßt, in unsere Kompetenzen einzugreifen. Tiertötungen sind doch wohl ausschließlich Menschenrecht. (Eigentlich erstaunlich, dass sich nicht längst ein entsprechender Passus ins Grundgesetz geschlichen hat.)

Ein Recht, das nicht nur den uniformierten Staatsdienern jederzeit selbstverständlich scheint; ein Recht, das man sich hierzulande hunderttausendfach im Namen der Wissenschaft nimmt.
Selten so spektakulär wie bei Apollo und Sunny oder dem in Hamburg erschossenen Mischling Mäxchen, dessen "Verbrechen" darin bestand, verängstigt auf einem Parkplatz umherzuirren.
Selten so öffentlich wie bei den verabscheuungswürdigen Vorfällen in der Türkei. "Wir" sind schließlich "zivilisiert", bei uns wird unter klinischen Bedingungen gefoltert und gemordet.

Während die türkischen Schlächter immerhin noch glaubten, mit ihren furchtbaren Taten einer höheren Macht gefallen zu können, ist in unseren Breiten schon der Mensch selbst göttlich genug, zu seinem angeblichen Nutzen millionenfach Tiere zu "opfern".

Hier sind es beispielsweise Frösche, denen bei lebendigem Leib der obere Teil des Kopfes abgeschnitten wird. Dieser Test beruht auf Experimenten aus dem Jahr 1780 (!). Seit über 200 Jahren also wird diese Grausamkeit praktiziert, tausende Male pro Jahr und immer wieder, damit auch wirklich jeder Student der Veterinärmedizin einmal "live" erleben darf, dass auch Körper ohne Gehirn noch zucken, wenn man im Rückenmarkskanal herumbohrt.
Frösche haben ja auch den Vorteil, dass sie nicht schreien können.

Solche wie "Kätzchen" aber, solche wie Apollo und Sunny, die können schreien. Aber wer will das schon hören?

Im Jahr 1999 schrien möglicherweise u.a. 1124 Katzen und 6031 Hunde vor Schmerz und Todesangst in deutschen Tierversuchslaboren.

Wie gut, dass all dies nicht im Staub öffentlicher Marktplätze geschieht, sondern "unter hygienischen Bedingungen" und vor allem hinter gut abgeschirmten Mauern und Türen.

Keine Frau, die glaubt, mit Hilfe des schrillen Kiwi-Grün auf ihren Augenlidern vielleicht doch noch Liebe und Glück zu finden, möchte schließlich wissen, wieviele kleine Kaninchen unvorstellbare Qualen leiden mussten, um sicherzustellen, dass das Kiwi-Grün kein blaues Auge verursacht.

Es waren (1999) genau 50.623.
Natürlich nicht alle für das Kiwi-Grün, aber alle für "uns".

Im gleichen Zeitraum wurden 775.932 Mäusen, 403.227 Ratten, 42.891 Meerschweinchen, 18.020 weiteren Nagern, 1.813 Affen, 271 Halbaffen, 376 nicht näher bezeichneten "Fleischfressern", 657 Pferden und Eseln, 10.494 Schweinen, 2.596 Schafen und Ziegen, 4.018 Rindern, 660 "anderen Säugetieren", 92.792 Vögeln/Geflügel, 21 Reptilien, 5.915 Amphibien und 173.933 Fischen hochoffiziell Leid angetan.

Ihre Körper wurden aufgeschnitten; ihre Schleimhäute wurden verätzt; die Augen wurden herausoperiert oder zugenäht; Knochen wurden durchsägt; Nerven, Sehnen, Bänder durchtrennt; Schädel aufgebohrt, um Elektroden oder Halterungen für Folterstühle einzuzementieren. Sie wurden unerträglichem psychischem Stress ausgesetzt und mit tödlichen Krankheiten infiziert. Sogar ihre Babies kamen mit stark vereiterten Näschen und blutigen Durchfällen zur Welt - der Sinn dieses jungen Lebens bestand angeblich allein darin, Zahlenmaterial dafür zu liefern, wie lange Baby diese Tortur ohne Behandlung überleben kann.

Macht aber alles nix, denn Tiere können schließlich nicht denken. Wird jedenfalls gern behauptet. Denjenigen, die anderer Meinung sind, wird gern unzulässige "Vermenschlichung" der tumben Kreatur vorgeworfen.

Konsequenterweise kann man also davon ausgehen, dass zumindest unbestritten ist, dass der Mensch denken kann und sehr genau weiß, was es bedeutet, Trauer, Schmerz und Todesangst zu erleiden.

Dass der Mensch also sehr genau weiß, was er tut.

Herr, vergib ihnen? Es steht mir nicht zu, um Strafe zu bitten. Aber Vergebung wäre wohl etwas viel verlangt.

Eileen Heerdegen

"Tierschutz!"- Bürger gegen Tierversuche, Nr. 1/01