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Sturm auf den Präsidentenpalast
Die Streitkräfte der islamistischen Al-Schabab setzen ihre am Montag begonnene Offensive in der somalischen Hauptstadt Mogadischu fort. Bei Kämpfen am Dienstag Abend und Mittwoch Vormittag wurden mindestens sechs Menschen getötet und 25 verletzt. Al-Schabab-Einheiten versuchten, sich noch näher zum Präsidentenpalast vorzukämpfen. Sie wurden aber von der afrikanischen „Friedenstruppe“ AMISOM, die als einzige Bürgerkriegspartei über Panzer verfügt, angeblich zurückgedrängt.
Die somalische Übergangsregierung kontrolliert mit Hilfe der AMISOM nur noch einen wenige Kilometer breiten Streifen der Hauptstadt, der entlang des Indischen Ozeans liegt. Zu diesem Gebiet gehören einige Regierungsgebäude, der Hafen und der Flughafen. Die „Friedenstruppe“ hatte bisher einen Personalbestand von etwa 5300 Mann, je zur Hälfte ugandische und burundische Soldaten. Seit vorigem Freitag wird das ugandische Kontingent um voraussichtlich 1200 Mann verstärkt. Die nie erreichte Sollstärke von AMISOM beträgt 8000 Mann. Die Afrikanische Union, die Dachorganisation aller Staaten des Kontinents, verhandelt – bisher erfolglos – mit mehreren Regierungen, um sie zu einer Beteiligung an der „Friedenstruppe“ zu bewegen. Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind weitgehend zusammengebrochen. Seit einiger Zeit kämpfen in Mogadischu Milizionäre der mit der Regierung verbündeten Ahlu-Sunna. Diese Organisation stützt sich auf die islamische Glaubensrichtung des Sufismus, die in einigen moslemischen Ländern als „ketzerisch“ behandelt wird, aber in der Bevölkerung Somalias traditionell sehr populär ist.
Am Dienstag waren beim Überfall einer noch unbekannten Zahl von Al-Schabab-Kämpfern auf ein Hotel in der von AMISOM bewachten Sicherheitszone der Hauptstadt mindestens 31 Menschen getötet worden. Darunter waren sechs oder nach neueren Berichten acht Parlamentsabgeordnete. Das Hotel Muna – nicht Huna, wie es in ersten Meldungen hieß – liegt nur wenige hundert Meter vom Präsidentenpalast, der Villa Somalia, entfernt. Viele Regierungsbeamte und Parlamentarier leben dort, wenn sie sich in der Hauptstadt aufhalten. Während es sich nach ersten offiziellen Berichten nur um drei Angreifer handelte, war später von vier bis fünf die Rede. Ein Al-Schabab-Sprecher erklärte, die Aktion sei von einer „Spezialeinheit“ durchgeführt worden.
Das somalische Parlament, dem der Angriff anscheinend hauptsächlich galt, wurde – ebenso wie die Übergangsregierung - vor sechs Jahren auf einer internationalen Konferenz in Kenia gebildet. Ihm gehörten zunächst 275 Abgeordnete an. Je 61 Mandate sollten von den vier wichtigsten Clans Somalias besetzt werden. Die übrigen 31 Sitze wurden unter die zahlreichen kleineren Clans und die ethnisch nicht somalischen Bevölkerungsgruppen aufgeteilt. Spätestens 2009 hätten Wahlen stattfinden sollen, die inzwischen auf 2011 verschoben wurden, aber höchstwahrscheinlich ausfallen werden.
Im Januar 2009 wurde die Abgeordnetenzahl auf 550 verdoppelt. 200 neue Sitze entfielen auf den „gemäßigten Flügel der Islamisten“, der seither an der Übergangsregierung beteiligt ist und auch den Präsidenten stellt. Weitere 75 gingen nach einem undurchsichtigen Verfahren an „gesellschaftliche Gruppen“. Im Frühjahr 2010 schloss die Ahlu-Sunna einen Pakt mit der Übergangsregierung, der ihr zwar einige Ministerposten, aber bisher keine Abgeordnetenmandate eintrug. Innerhalb der AS ist das ganze Abkommen und seine praktische Umsetzung stark umstritten.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 26. August 2010