KNUT MELLENTHIN

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Somalia-Hilfe "zweckentfremdet"

Fast die Hälfte der Ernährungshilfe für Somalia landet in falschen Händen statt bei der notleidenden Bevölkerung. Das steht angeblich in einer UNO-Studie, über die die New York Times am Dienstag berichtete. Das Papier soll voraussichtlich am nächsten Dienstag im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diskutiert werden. Es ist bisher unveröffentlicht, und die New York Times behauptet lediglich, die Studie sei ihr „gezeigt“ worden. Der stellvertretende Direktor der hauptsächlich angegriffenen UN-Hilfsorganisation World Food Program (WFP) erklärte gegenüber der Tageszeitung, den Untersuchungsbericht noch nicht gesehen zu haben.

Laut New York Times steht in dem Report, dass rund 30 Prozent der Hilfslieferungen von örtlichen Vertragspartnern und vom einheimischen WFP-Personal „abgezweigt“ werden. 10 Prozent behielten die somalischen Transporteure ein. Nicht klar wird an diesem Punkt, wie weit es sich dabei lediglich um eine normale Vergütung ihrer Dienstleistungen handelt. 5 bis 10 Prozent der Hilfe schließlich würden bei den bewaffneten Gruppen landen, die das jeweilige Gebiet oder die dorthin führenden Straßen kontrollieren.

Dem Blatt zufolge hat das WFP im vorigen Jahr mindestens 2,5 Millionen Somalis mit Grundnahrungsmitteln im Wert von etwa 485 Millionen Dollar versorgt. Daneben sind auch andere Hilfsorganisationen dort tätig. Nach Schätzungen der UNO benötigen 3,7 Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung, Hilfe. Das schließt unter anderem auch die medizinische Versorgung ein. Aufgrund einer schweren Dürre und des anhaltenden Bürgerkriegs befinden sich große Teile der somalischen Bevölkerung in der schwersten Notlage seit dem Zusammenbruch der Zentralmacht 1991.

Klagen über angebliche Zweckentfremdung der Hilfslieferungen gibt es schon länger. Einige somalische Geschäftsleute, die als Vertragspartner ausländischer Hilfsorganisationen tätig sind, sollen damit riesige Vermögen erworben haben. Teilweise sind die Beschwerden auch eindeutig politisch motiviert. So hielt die US-Regierung im Oktober 2009 und im Januar dieses Jahres Lieferungen im Wert von 40 bis 50 Millionen Dollar zurück, da angeblich nicht gewährleistet sei, dass diese nicht der islamistischen Kampforganisation Al-Schabaab zugute kommen.

Al-Schabaab hat ihrerseits Ende Februar bekannt gegeben, dass sie jede Tätigkeit des WFP und auch die Zusammenarbeit mit ihm verbiete. Das bezieht sich formal auf das gesamte Territorium Somalias, aber real natürlich nur auf die von der Organisation kontrollierten Gebiete. Allerdings machen diese nach niedrigen Schätzungen 60 Prozent der Gesamtfläche des Staates aus.

Für das Verbot nannten die Islamisten vier Gründe: Erstens, es habe ständig Beschwerden von einheimischen Bauern gegeben, die wegen der kostenlos verteilten Nahrungshilfe große Schwierigkeiten hätten, ihre eigenen Produkte noch auf dem Markt zu verkaufen. Zweitens, WFP habe, wie bei Kontrollen festgestellt worden sei, Lebensmittel verteilt, deren Haltbarkeitsdauer abgelaufen gewesen sei. Drittens, es sei durch verdorbene Lebensmittel zu Erkrankungen gekommen. Viertens, die Hilfslieferungen würden den Zweck verfolgen, die ausländischen Truppen in Somalia zu unterstützen. Gemeint ist die von der Afrikanischen Union mandatierte „Friedenstruppe“ in Stärke von 5300 Mann, die je zur Hälfte aus ugandischen und burundischen Soldaten besteht.

Zuvor hatte das WFP im Januar seine Hilfslieferungen in den überwiegend von den Islamisten kontrollierten Süden des Landes unterbrochen, da es zu starken Behinderungen, Angriffen und Drohungen durch Al-Schabaab gekommen sei. Die UNO hatte damals aber noch die Hoffnung geäußert, die Lieferungen im März oder April wieder aufnehmen zu können.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 12. März 2010