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Somalia: Bewaffnete Opposition gewinnt die Oberhand
In Somalia hat sich seit Frühjahr dieses Jahres das Blatt zugunsten der bewaffneten Opposition gewendet, die von der US-Regierung als „Al-Qaida-Terroristen“ verteufelt wird. Ein Waffenstillstand, der am 9. Juni unter der Obhut der UNO zwischen der sogenannten Übergangsregierung und abgespaltenen Teilen der Opposition geschlossen wurde, blieb bedeutungslos. Diese wirklichkeitsfremde PR-Aktion hat lediglich bewirkt, dass die alte Oppositionsfront Union der Islamischen Gerichte (UIC), in deren Führung auch „gemäßigte“ Politiker vertreten waren, mehr und mehr in den Hintergrund getreten ist. Den Ton geben heute die radikaleren Kräfte der Schabaab (ursprünglich die Jugendorganisation der UIC) und noch nicht zu definierende neue Gruppierungen wie die Harakat Ras Kamboni an.
Nachdem die UIC im Sommer und Herbst 2006 große Teile des Landes, einschließlich der Hauptstadt Mogadischu, unter Kontrolle gebracht hatte, rief die in der Provinzstadt Baidoa residierende selbsternannte, aber vom UNO-Sicherheitsrat unterstützte „Übergangsregierung“ Ende Dezember 2006 Truppen aus dem Nachbarland Äthiopien zur Hilfe. Beide Länder sind seit Jahrzehnten miteinander verfeindet, haben mehrmals Krieg gegeneinander geführt. Außerdem wird Äthiopien von Christen beherrscht. Also denkbar schlechte Voraussetzungen für eine Militärintervention im islamischen Somalia. Das perverse Bündnis brachte auch Kräfte gegen die „Übergangsregierung“ auf, die bis dahin mit ihr zusammengearbeitet hatten.
Schwerpunkt der Kämpfe war zunächst im Frühjahr und Sommer 2007 Mogadischu, wo sich der dominierende Clan mit den Islamisten verbündete. Um den Widerstand zu brechen, schossen die äthiopischen Streitkräfte mit Artillerie und Panzern ganze Stadtteile in Trümmern. Hunderttausende Menschen, ein Drittel oder sogar die Hälfte der Bevölkerung, mussten aus der Hauptstadt fliehen, was wiederum die schon bestehenden großen Versorgungsprobleme in anderen Landesteilen verschärfte.
Im Frühjahr 2008 hatten UIC und Al-Schabaab ihre Kräfte wieder reorganisiert und gingen dazu über, tageweise und nacheinander fast alle Städte des Landes einzunehmen. Diese meist nur wenige Stunden dauernden Aktionen dienten, neben der politischen Propaganda, auch dazu, Verwaltungsgebäude und Polizeistationen zu zerstören, Waffenlager zu erbeuten und Gefängnisinsassen zu befreien.
Am 22. August eroberten die Islamisten im Bündnis mit dem örtlichen Clan die Hafenstadt Kismajo im äußersten Süden Somalias. Die „Übergangsregierung“ und die äthiopischen Besatzungstruppen haben seither keinen Versuch unternommen, gegen die Stadt vorzugehen. Inzwischen wurde dort eine funktionierende Verwaltung eingerichtet. Berichten zufolge sind inzwischen auch mehrere weitere Städte, darunter Jowhar – nur etwa 90 Kilometer von Mogadischu entfernt – und Beletwein in Zentralsomalia fest in der Hand der Opposition. Es mehren sich Meldungen, dass die äthiopischen Truppen sich aus bisherigen Positionen zurückziehen.
Unterdessen bahnt sich vor der zentralsomalischen Küste eine internationale Militäraktion gegen Piraten an, die vor einigen Tagen einen ukrainischen Frachter aufgebracht hatten, der Panzer für Kenia an Bord hat. Drei Kriegsschiffe, ein US-amerikanisches und zwei europäische, sollen die Piraten eingekreist haben. Nach einem Beschluss des UNO-Sicherheitsrats Anfang Juni haben zahlreiche Staaten, darunter auch Russland, Kriegsschiffe in die Gewässer um Somalia und die abgespaltene Republik Puntland geschickt.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 29. September 2008