KNUT MELLENTHIN

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Mit dem Segen der US-Regierung: Äthiopien erklärt Somalia den Krieg

Die äthiopische Regierung hat am Sonnabend der Union der Islamischen Gerichte (UIC), die den größten Teil Somalias kontrolliert, den Krieg erklärt. Vorausgegangen waren schon seit Dienstag schwere Kämpfe rund um die südsomalische Provinzstadt Baidoa. Dort residiert die mit Äthiopien verbündete "Übergangsregierung" (TFG). Sie wurde im Oktober 2004 auf einer Konferenz in Kenia gebildet und stellte eine Koalition der damals einflussreichsten Klanführer dar. Sie war von Anfang an zerstritten, ließ sich erst im August 2005 in Somalia nieder und hat nie mehr als die Umgebung von Baidoa beherrscht. Sie wird jedoch von der UNO und von der Afrikanischen Union als legitim anerkannt.

Anfang Juni setzte sich in der Hauptstadt Mogadischu die UIC gegen eine Koalition von Warlords durch, die vom US-Geheimdienst CIA finanziert und beraten worden waren. Am 20. Juni besuchte General John Abizaid, Chef des US-Kommando-Bereichs Mitte, zu dem Nordostafrika gehört, die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. Seit diesem Zeitpunkt begann Äthiopien, Tausende von Soldaten nach Somalia zu schicken. Sie wurden überwiegend in der Umgebung von Baidoa stationiert. Aber auch in der nordostsomalischen Provinz Puntland, die 1998 ihre Unabhängigkeit erklärte, befindet sich äthiopischen Militär. Schon vor der offiziellen Kriegserklärung waren nach niedrigen Schätzungen 10.000 äthiopische Soldaten in Somalia; die UIC sprach sogar von 30.000. Addis Abeba hatte jedoch bis zur Kriegserklärung behauptet, es unterhalte im Nachbarland nur einige hundert Ausbilder.

Äthiopien ist seit langem der Hauptverbündete der USA in der Region. Seit 2002 hat das von christlichen Politikern autoritär regierte Land, dessen Bevölkerung zur Hälfte moslemisch ist, im Zuge des "Kriegs gegen den Terror" verstärkt amerikanische Militärhilfe, insbesondere auch auf dem Gebiet der Ausbildung, bekommen. Nach Angaben der New York Times (26.12.2006) befinden sich rund 100 amerikanische Militärausbilder in Äthiopien. Das Pentagon hat dementiert, dass sie auch an den äthiopischen Operationen in Somalia beratend mitwirken.

Die äthiopischen Truppen haben in den ersten zwei Tagen ihrer Offensive mehrere Städte rund um Baidoa eingenommen, nachdem sich die UIC-Milizen kampflos daraus zurückgezogen hatten. Der Botschafter der TFG in Addis Abeba behauptete am Dienstagmorgen, die Äthiopier seien nur noch 70 Kilometer von Mogadischu entfernt und könnten die Hauptstadt in 24 bis 48 Stunden einnehmen. Der äthiopische Ministerpräsident Meles Zenawi erklärte jedoch wenige Stunden später, eine Eroberung Mogadischus sei nicht geplant.

Militärtechnisch ist Äthiopien - ein Staat mit 75 Millionen Einwohnern; Somalia hat 12 Millionen - der UIC weit überlegen. Die Stärke der äthiopischen Armee wird mit über 100.000 Mann angegeben, die der UIC-Milizen mit etwa 10.000. Die Somalis besitzen weder eine Luftwaffe noch Panzer und vermutlich auch nur wenig mobile Artillerie. Das wichtigste "Waffensystem" der Milizen sind die sogenannten Technicals - Kleinlastwagen mit aufmontierten Maschinengewehren und leichten Geschützen.

Die offene Aggression des bei den meisten Somalis verhassten Nachbarlandes wird jedoch aller Voraussicht nach selbst bisherige Gegner des islamischen Fundamentalismus der UIC zu einem nationalen Verteidigungskampf zusammenführen. Die äthiopische Armee wird ihre Terraingewinne in Somalia nicht halten können, sondern müsste sich, wenn sie dies versuchen wollte, auf einen langwährenden, verlustreichen und nicht gewinnbaren Guerillakrieg einstellen.

Das weiß auch die US-Regierung, die dem Regime in Addis Abeba bei einem neuerlichen Besuch von General Abizaid am 4. Dezember vermutlich grünes Licht für die Aggression gegeben hat. Das Ziel Washingtons könnte darin bestehen, auf diesem Weg eine internationale Militärintervention zu legitimieren. Der UNO-Sicherheitsrat hat am 6. Dezember bereits, gegen den Protest der UIC, der Entsendung einer afrikanischen "Friedenstruppe" nach Somalia zugestimmt. Bisher war davon ausgegangen worden, dass es bis zu deren Bereitstellung mindestens ein halbes Jahr dauern würde. Die Verschärfung der Lage durch die offene äthiopische Aggression könnte den Sicherheitsrat veranlassen, das Verfahren zu beschleunigen oder selbst in die Hand zu nehmen.

Eine Sondersitzung des Sicherheitsrates am Dienstag endete ohne Entscheidung. Der Vertreter des arabischen Staates Katar stand mit seiner Forderung nach dem Rückzug der äthiopischen Truppen aus Somalia allein. Die anderen 14 Ratsmitglieder sprachen sich lediglich dafür aus, "nicht autorisierte" ausländische Truppen aus Somalia abzuziehen. Das würde nach ihrem Verständnis nicht die Äthiopier betreffen, da diese im Einverständnis mit der "Übergangsregierung" operieren. Indirekt kommt das einer Billigung der äthiopischen Aggression durch die meisten Sicherheitsratsmitglieder, einschließlich Russlands und Chinas, gleich. Sprecher des US-Außenministeriums verkündeten am Dienstag sogar ausdrücklich, dass die äthiopische Militärintervention in Somalia berechtigt sei und mahnten lediglich zur "Zurückhaltung" gegenüber der Zivilbevölkerung.

Knut Mellenthin

Erweiterte Fassung eines Artikels, der am 27. Dezember in der Jungen Welt erschien

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