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Krieg und Kollateralschäden
Die kenianische Intervention in Somalia geht mit Übergriffen gegen Somalis im eigenen Land einher.
Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft den kenianischen Sicherheitskräften schwere Übergriffe gegen die im Land lebenden Somalis und andere ethnische Gruppen vor. Betroffen sind sowohl kenianische Staatsbürger – es gibt dort eine starke somalische Minderheit – als auch Flüchtlinge aus dem Nachbarland. Allein im größten der Flüchtlingslager, Dadaab, leben mehr als 460.000 Menschen.
Die von HRW beklagten Verbrechen und Misshandlungen – die Rede ist von „Vergewaltigungen, Prügel, Plündern, Demütigungen und willkürlichen Festnahmen“ – sind eine Begleiterscheinung des Eingreifens in den somalischen Bürgerkrieg. Im Oktober hatte Nairobi mehrere tausend Angehörige seiner Streitkräfte über die Grenze geschickt, um in drei Regionen Südsomalias gegen die islamistische Organisation Al-Schabab zu kämpfen. Vorwand für die Intervention war die Entführung mehrerer ausländischer Touristen und Experten in Kenia. Al-Schabab bestritt jedoch von Anfang an jede Beteiligung an diesen Taten. Die Umstände sprechen eher dafür, dass sie von einheimischen Kriminellen ohne politischen Hintergrund begangen wurden.
Die kenianische Invasion ist bis jetzt kaum vorangekommen. Insbesondere hat sie ihre erklärten Nahziele, die Eroberung der Städte Kismajo – mit einem wirtschaftlich und finanziell bedeutenden Hafen – und Afmadow nicht erreicht. Stattdessen terrorisieren kenianische Kampfhubschrauber und Flugzeuge die Zivilbevölkerung. Bevorzugt attackiert werden öffentliche Struktureinrichtungen wie Schulen, Flüchtlingslager, Hospitäler und Lebensmittel-Ausgabestellen. Immer wieder gibt es Berichte von Augenzeugen über getötete und verletzte Kinder und Frauen. Das kenianische Militär hat die Bevölkerung wiederholt aufgerufen, sich von Allen Einrichtungen fernzuhalten, die von der Al-Schabab-Verwaltung betrieben werden. Kenia hat darüber hinaus gedroht, die Luftangriffe auch auf somalische Städte außerhalb des Operationsgebiets seiner Streitkräfte auszudehnen, bis in die Umgebung der Hunderte Kilometer weiter nördlich gelegenen Hauptstadt Mogadischu.
Al-Schabab hat als Reaktion eine Reihe bewaffneter Operationen auf kenianischem Gebiet und anscheinend auch im Flüchtlingslager Dadaab unternommen. Vor wenigen Tagen wurden bei einem solchen Angriff auf einen Polizeiposten im Grenzgebiet mehrere Angehörige der kenianischen Sicherheitskräfte und der örtlichen Verwaltung getötet oder gefangen genommen. Die von HRW beklagten Menschenrechtsverletzungen sind teilweise als direkte Repressalien, teilweise aber auch als Ausdruck eines allgemeinen Misstrauens der kenianischen Staatsorgane gegen alle Somalis zu sehen. Ethnische Diskriminierung, über die auch früher schon oft berichtet wurde, hat im Gefolge des Einmarsches ins Nachbarland stark zugenommen.
In ihrem jüngsten Bericht beschreibt HRW mehrere Übergriffe, die unmittelbar im Zusammenhang mit mutmaßlichen Al-Schabab-Aktionen stattfanden. So hätten Polizei und Militär nach zwei Angriffen in den nordkenianischen Städten Garissa und Mandera „Hunderte von Verdächtigen zusammengetrieben. Sie wurden so heftig geschlagen, dass einige von ihnen Knochenbrüchen erlitten.“ Auch in den folgenden Tagen seien viele Somalis willkürlich festgenommen und in einem Militärlager mit Schlägen zu demütigenden „Übungen“ gezwungen worden. Als unmittelbare Reaktion auf die Explosion einer Mine im Flüchtlingslager Dadaab seien mindestens sieben Frauen von kenianischen Soldaten vergewaltigt worden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 19. Januar 2012