KNUT MELLENTHIN

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Die UNO-Missionen in Somalia 1992-1995

Aus einer 1996 für die Bundestagsfraktion der PDS verfassten Studie über die UNO-Friedensmissionen seit 1947.

1992:

UN Operations in Somalia (UNOSOM I).

Einsetzung: Im April 1992 durch den UNO-Sicherheitsrat.
Aufgabe: Versorgung der Bevölkerung, Unterstützung der Versöhnung zwischen den Bürgerkriegsparteien, Überwachung der Waffenstillstandsvereinbarungen.
Kontext: Im Januar 1991 wurde der langjährige Diktator Siad Barre durch den Kampf mehrerer rivalisierender bewaffneter Organisationen gestürzt. Danach entbrannte zwischen diesen der Kampf um die Vorherrschaft in der Hauptstadt Mogadischu und in einzelnen Teilen des Landes. Am 23.1.92 beschloß der UNO-Sicherheitsrat ein Waffenembargo gegen alle somalischen Bürgerkriegsparteien und rief sie zu einem sofortigen Waffenstillstand auf, um ein "sicheres Umfeld" für die Verteilung von Hilfsgütern zu schaffen.Am 3.2.92 gaben die Hauptkontrahenten im Bürgerkrieg Boutros-Ghali die Zusage, die Kämpfe um Mogadischu sofort einzustellen und noch vor Ende Februar ein Waffenstillstandsabkommen zu unterzeichnen. Dieses kam am 3.3.92 zustande.Am 24.4.92 beschloß der Sicherheitsrat die Entsendung von 50 unbewaffneten Beobachtern zur Überwachung des Waffenstillstands. Ein Kontingent von 500 UNO-Soldaten zum Schutz von Lebensmittellieferungen sollte folgen.Aufgrund der instabilen Lage kam es zu Verzögerungen, sodaß die Waffenstillstandsbeobachter erst im Juli 1992 tätig werden konnten. Am 12.8.92 gab Boutros-Ghali grünes Licht für den Einsatz von 500 UNO-Soldaten, nachdem die Bürgerkriegsparteien deren Stationierung am Hafen und am Flughafen von Mogadischu zugestimmt hatten. Am 14.9.92 trafen die ersten UNO-Blauhelme in Mogadischu ein.Am 3.12.92 erteilte der Sicherheitsrat  den Mitgliedsstaaten das Mandat, die Auslieferung humanitärer Hilfsgüter auch mit militärischen Mitteln sicherzustellen. Das wurde damit begründet, daß bereits eine halbe Million Menschen durch Unterernährung gestorben seien, daß die humanitäre Hilfe kaum noch durchführbar sei und daß mehrere internationale Hilfsorganisationen einen stärkeren Schutz durch die UNO verlangt hätten. Die Neudefinition des Mandats durch den SR bedeutete zugleich das Ende der ersten UNOSOM-Mission.

1992-1993:

United Task Force (UNITAF), von den USA auch "Operation Recover Hope" genannt.

Unter Verweis auf die "Einzigartigkeit" der Lage autorisierte der UNO-Sicherheitsrat am 3.12.92 die Mitgliedstaaten, "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um "so bald wie möglich" die für die humanitäre Hilfe notwendigen "Sicherheitsbedingungen" zu schaffen. Die "humanitäre Tragödie" in Somalia wurde als "Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit" bezeichnet. Diese Formel aus der UNO-Charta eröffnet Optionen für Einsätze auch gegen den Willen von Betroffenen und letztlich auch für Kampfeinsätze. Zugleich begrüßte der SR ausdrücklich das "Angebot eines Ratsmitgliedes" (.d.h. die Absicht der USA), bei der Organisation und Steuerung der Operation in Somalia zeitweise die Führung zu übernehmen.

Ab 9.12.92 landete eine 30.000 Mann starke multinationale Truppe unter dem Kommando und mit hauptsächlicher Beteiligung der USA in Somalia. Ihre Funktion sollte darin bestehen, erstens der UNO eine Atempause zu verschaffen und die Zeit bis zum Aufbau einer größeren UNO-Friedenstruppe zu überbrücken, und zweitens die Ausgangsbedingungen für den Einsatz einer Blauhelm-Mission zu verbessern. Im Frühjahr 1993 sollte die planmäßige Ablösung der UNITAF durch eine zweite UNOSOM erfolgen.

1993-95:

UN Operations in Somalia (UNOSOM II).

Einsetzung: Am 26.3.93 durch den UNO-Sicherheitsrat.
Aufgabe: Beiträge zur Beendigung des Bürgerkriegs in Somalia; Gewährleistung humanitärer Hilfslieferungen.
Kontext: Am 26.3.93 beschloß der Sicherheitsrat einstimmig, vom 1. Mai an eine neue Friedenstruppe nach Somalia zu schicken und damit die von den USA geführten internationalen Streitkräfte (UNITAF) zu ersetzen.

  • Am 28.3.93 vereinbarten die Bürgerkriegsparteien unter Vermittlung der UNO einen Waffenstillstand. Alle Milizen sollten innerhalb der nächsten 90 Tage gleichzeitig und vollständig entwaffnet werden. Danach sollte ein regierendes Übergangsgremium gebildet werden, in dem alle Gruppen vertreten sein sollten. Innerhalb von zwei Jahren sollten Wahlen stattfinden.
  • Am 4.5.93 übernahm die UNO offiziell von den USA das Kommando über die internationale Truppe.
  • Als Teile von UNOSOM II versuchten - unter Berufung auf das Waffenstillstandsabkommen - die Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien selbst vorzunehmen, stießen sie auf teilweise heftigen Widerstand. Am 5.6.93 wurden bei einem Gefecht 23 pakistanische UNO-Soldaten getötet, angeblich durch Milizen Aidits. Pakistan forderte eine Strafaktion, und Boutros-Ghali sprach sich für eine "entschlossene und schnelle Aktion" aus.
  • Am 6.6.93 forderte der UNO-Sicherheitsrat einstimmig die Festnahme und Bestrafung der Verantwortlichen für die "vorsätzlichen bewaffneten Angriffe". Zugleich bekräftigte er die Absicht, alle somalischen Milizen zu entwaffnen.
  • Am 12.6.93 begannen UNO-Truppen unter Führung der USA sechstägige "Vergeltungsschläge" gegen Aidids Milizen. Dabei wurden u.a. das Hauptquartier Aidits in Mogadischu und der von ihm benutzte Rundfunksender vorübergehend besetzt. UNOSOM-Vebände durchkämmen ganze Stadtteil nach Aidit; Kampfflugzeuge bombardieren angebliche Stellungen Aidits. Am 12. und 13.6.93 eröffneten pakistanische Soldaten das Feuer auf Demonstranten und töteten insgesamt mindestens 24 Menschen.
  • Am 12.7.93 unternahmen UNO-Truppen einen weiteren Luftangriff auf einen angeblichen Miliz-Stützpunkt im Süden Mogadischus, wobei Dutzende von Zivilisten ums Leben kommen. Die Gefechte zwischen UNOSOM-Truppen und Aidit-Milizen hielten in den folgenden Tagen an.
  • Am 12.8.93 kündigte Italien die Verlegung seines 2.500 Mann starken Kontingents in den Norden Somalias an, wo es kaum Kämpfe gab: Zwar sei der Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung des Friedens zu akzeptieren, aber nicht Gewalt als Selbstzweck, wie sie in den vergangenen Tagen und Wochen vorgekommen sei.
  • Im August und Anfang September 1994 gab es weitere Zwischenfälle, bei denen US-amerikanische Truppen in demonstrierende Menschenmengen schossen. Bei einem solchen Vorfall am 9.9.93 wurden 200 Frauen und Kinder getötet. Am folgenden Tag forderte der US-Senat, daß die Regierung klare Ziele für den Somalia-Einsatz festlegen müsse. Das Repräsentantenhaus beschloß am 28.9.93, daß die Regierung einen Rückzugstermin festsetzen und vor Stationierung zusätzlicher Soldaten in Somalia die Genehmigung des Parlaments einholen müsse.
  • Gleichzeitig forderte Boutros-Ghali vergeblich, die 28.000 Mann umfassende UNOSOM-Truppe um 3.000 Mann zu verstärken, um die Entwaffnung der Milizen in den nördlichen und zentralen Regionen des Landes vornehmen zu können. Stattdessen beschloß der Sicherheitsrat am 22.9.93, den Einsatz von UNOSOM II im März 1995 zu beenden. Nachdem Anfang Oktober 1993 bei einem Gefecht 12 amerikanische Soldaten getötet und 78 verletzt worden waren, kündigte Präsident Clinton am 7.10.93 an, daß bis zum 31.3.94 alle US-Truppen abgezogen werden sollten. Die deutsche Bundesregierung schloß sich diesem Termin an.
  • Am 16.11.93 setzte der UNO-Sicherheitsrat offiziell den im Juni gegen Aidit verhängten "Haftbefehl" aus und gestand damit das Scheitern der Konfrontationspolitik ein. In seinem Bericht vom 6.1.94 an den SR empfahl Boutros-Ghali eine drastische Einschränkung des UNOSOM-Einsatzes, da nach dem bevorstehenden Rückzug großer Kontingente die Entsendung von Ersatztruppen durch andere Staaten nicht zu erwarten sei. Die Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien solle nur noch auf freiwilliger Basis angestrebt werden. - Angeblich hatte der UNO-Generalsekretär sich zuvor an 40 Regierungen mit der Bitte gewandt, sich an UNOSOM II zu beteiligen, jedoch von keiner der angesprochenen Regierungen einen positiven Bescheid erhalten.
  • Am 4.2.94 beschloß der Sicherheitsrat eine Veränderung der Ziele der UNO-Mission in Somalia. Hauptaufgabe von UNOSOM II sollte nunmehr die Unterstützung eines politischen Prozesses zur Lösung der internen Konflikte sein. Geschützt werden sollten lediglich Häfen, Flughäfen und die wichtigsten Straßenverbindungen, um die Durchführung humanitärer Hilfsmaßnahmen für die Zivilbevölkerung sicherzustellen. Die Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien wurde nicht mehr als Inhalt des Auftrags genannt. UNOSOM II wurde stufenweise abgebaut und bestand nunmehr in erster Linie aus Soldaten afrikanischer und asiatischer Staaten.
  • Anfang März 1995 verließen die letzten 2.400 Blauhelme (aus Pakistan und Bangla Desch) sowie die zivilen Mitarbeiter der UNO das Land.


Inhalt des Mandats: Zu den Aufgaben von UNOSOM II gehörten die Räumung von Minen, der Aufbau einer Polizeiorganisation, der Wiederaufbau der Wirtschaft, Vorbereitungen zur Bildung einer neuen Regierung, Rückführung der Flüchtlinge. Der Sicherheitsrat autorisierte die Friedenstruppe, "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um den Schutz von Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen zu gewährleisten.
Personalstärke: UNOSOM II sollte aus rund 28.000 Soldaten (davon 8.000 Angehörige logistischer Einheiten) und 2.800 Zivilisten bestehen. Sie war damit "die bisher umfangreichste und anspruchsvollste Mission" in der Geschichte der UNO.

An der Friedenstruppe waren 23 Nationen beteiligt. Das Kommando führte ein türkischer General. Die BRD entsandte ein verstärktes Nachschub- und Transportbataillon mit 1.700 Soldaten, das in Belet Huen stationiert war. Der Auftrag bestand in der Versorgung und logistischen Unterstützung italienischer Einheiten sowie der Leistung "humanitärer Hilfe" für die Bevölkerung.
Die USA stellten auch nach dem Ende von "Restore Hope" das stärkste Kontingent. Außerdem wurde (außerhalb der Kommandostrukturen von UNOSOM II) eine 1.300 Mann starke "schnelle Eingreiftruppe" der US-Marineinfanterie auf einem Schiff vor der Küste stationiert.

Kosten: Insgesamt ungefähr $1,66 Mrd.
Ergebnis: Teile von UNOSOM, insbesondere das US-amerikanische Kontingent, sahen ihre Aufgabe wesentlich darin, militärisch in den somalischen Bürgerkrieg einzugreifen und eine Entwaffnung der Kriegsparteien gewaltsam durchzusetzen. Offenbar war dieses Vorgehen Resultat einer Fehleinschätzung der Kampfstärke und Organisiertheit der Milizen sowie ihres Rückhalts in Bevölkerungsteilen. Ermutigt wurde dieses Vorgehen durch UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali, der für Somalia - absolut konträr zu seiner Politik im früheren Jugoslawien - "friedenserzwingende" Einsätze direkt forderte.

Nachdem sich herausgestellt hatte, daß zumindest schnelle Erfolge der militärischen Konfrontationstaktik in Somalia nicht möglich waren, traten insbesondere die USA sehr schnell den vollständigen Rückzug an.

Es muß bezweifelt werden, ob das "kurzatmige" Eingreifen der UNO in Somalia überhaupt irgend etwas Positives bewirkt hat. Möglicherweise hat es in einer sehr kritischen Phase die Auswirkungen einer Hungerkatastrophe etwas abgedämpft, aber selbst das ist umstritten. Nach Berichten zu Anfang 1996 stand Somalia erneut vor einer Hungersnot.