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Ausnahmezustand
Die somalische Übergangsregierung versucht, ihre eigenen kriminellen Truppen durch harte Maßnahmen in den Griff zu kriegen.
Über eine Woche nach dem Rückzug der islamistischen Al-Schabab aus Mogadischu ist die Lage in der somalischen Hauptstadt weiterhin instabil. Ein Sprecher der Organisation hatte am vorigen Sonnabend den Abzug aller Kampfeinheiten bekannt gegeben und dies mit einem militärischen Taktikwechsel begründet. Inzwischen ist offensichtlich, dass zahlreiche bewaffnete Mitglieder und Anhänger von Al-Schabab in Mogadischu zurückgeblieben sind. In den vergangenen Tagen überfielen sie mehrfach Soldaten der sogenannten Übergangsregierung und der afrikanischen Interventionstruppe AMISOM an und zogen sich dann schnell wieder zurück. In der Vergangenheit hatten die Islamisten versucht, in der Hauptstadt einen regulären Stellungskrieg zu führen, hatten aber aufgrund ihrer waffentechnischen Unterlegenheit schwere Verluste erlitten.
Zu Kämpfen kommt es jetzt auch beim Vordringen der Regierungstruppen in bisher von Al-Schabab kontrollierte Viertel. Diese „Säuberungsaktionen“ sind mit Festnahmen und Erschießungen, aber auch mit kriminellen Übergriffen gegen die Bevölkerung verbunden. Al-Schabab wirft den Soldaten der Übergangsregierung insbesondere Plünderungen und organisierten Straßenraub nach der Besetzung des Viertels um den Bakara-Markt, das größte Verkaufsgelände der Stadt, vor.
Der Präsident der Übergangsregierung, Scharif Scheikh Ahmed, verhängte am Sonnabend den Ausnahmezustand über alle bisher von Al-Schabab kontrollierten Gebiete. Er soll zunächst für drei Monate gelten. Die Rechtsprechung während des Ausnahmezustands wird durch Militärtribunale ausgeübt. Der Präsidenten drohte Allen, die beim Töten, Rauben oder Vergewaltigen gefasst werden, mit härtesten Strafen. Es wird damit gerechnet, dass die Tribunale auch Todesstrafen aussprechen und vollstrecken werden. In den örtlichen Medien wird berichtet, dass in den vergangenen Tagen „einige Männer, die in Militäruniformen gekleidet waren“, schwere Verbrechen gegen die Bevölkerung, insbesondere auch gegen Hunger-Flüchtlinge, begangen hätten.
Die Verhängung des Ausnahmezustands richtet sich aber erklärtermaßen auch gegen das Tätigwerden von „Clan-Milizen“ in den von Al-Schabab geräumten Teilen der Hauptstadt. Nach dem Erlass des Präsidenten sind solche Milizen strikt verboten. Zur Begründung heißt es, die Regierungstruppen hätten „die Fähigkeit und die Autorität“, mit sämtlichen kriminellen Aktivitäten allein fertig zu werden. Das ist jedoch definitiv unwahr, zumal die schlecht bezahlten Soldaten, denen der Sold oft monatelang vorenthalten wird, selbst wesentliche Träger der Gewaltkriminalität sind. Das Auftauchen von bevölkerungsnahen Milizen ist nicht zuletzt eine Reaktion auf diese Zustände.
In der Realität geht es ohnehin hauptsächlich um Milizen des in Mogadischu dominierenden Hawiye-Clans, dessen Älteste sich in der Vergangenheit meist recht oder schlecht mit den Islamisten zu arrangieren versuchten und den wechselnden Übergangsregierungen eher skeptisch gegenüberstehen. Äußerungen des bekanntesten Hawiye-Sprechers deuten darauf hin, dass der militärische Rückzug von Al-Schabab unter anderem auch aufgrund einer Absprache mit den Clan-Ältesten und mit Rücksicht auf die seit Jahren unter dem Bürgerkrieg leidende Bevölkerung erfolgte.
Indessen hat die AMISOM am Sonnabend angekündigt, dass in nächster Zeit 2000 Mann Verstärkung aus Uganda zu erwarten seien. Die von der Afrikanischen Union mandatierte Friedenstruppe, die ausschließlich aus ugandischen und burundischen Soldaten besteht, ist derzeit 9000 Mann stark.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 16. August 2011