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Sturmwolken am amerikanisch-russischen Himmel
"Verborgene politische Motive" vermutete Russlands Außenminister Sergej Lawrow am Montag hinter Berichten, ein russischer Diplomat habe Saddam Hussein im März 2003 während des Angriffs auf Irak Geheiminformationen über die amerikanische Planung geliefert.
Die Affäre gehört zu den zahlreichen Indizien für eine Trübung der Beziehungen zwischen USA und Russland. Es sei "unklar", warum seine Regierung von solchen Vorwürfen erst aus der Presse erfahren müsse, kritisierte der russische Außenminister so höflich wie nur möglich. Tatsächlich war das Verfahren ungewöhnlich, mit dem das US-Verteidigungsminister das Gerücht in Umlauf brachte, ohne den Sachverhalt vorher intern gegenüber Moskau anzusprechen. Am Freitag voriger Woche übergab das Pentagon den Medien einen 210 Seiten langen Bericht des Oberkommandos der Streitkräfte. Darin wird ausführlich aus irakischen Dokumenten zitiert, die den Amerikanern vor drei Jahren bei der Besetzung des Landes in die Hände gefallen waren. Aus diesen ergibt sich unter anderem, dass der damalige russische Botschafter in Bagdad, Wladimir Titorenko, die irakische Führung mit Geheiminformationen versorgt habe, die angeblich aus "russischen Quellen" im US-Hauptquartier in Katar stammten.
Tipps für Saddam Hussein?
Ein Sprecher der russischen Nachrichtendienste hatte diese Behauptung schon am Wochenende als "grundlos" dementiert. Angeblich sollen sich die Informationen auf konkrete Details wie den geplanten Termin für den Beginn des Angriffs auf Bagdad und die Stoßrichtung der US-Offensive bezogen haben.
Interessant ist, dass die meisten der angeblich übermittelten Informationen grob falsch waren. Somit erscheint nicht einmal ausgeschlossen, dass an der Geschichte vielleicht wirklich etwas dran ist. Sei es, dass die Amerikaner russischen Agenten gefälschte Pläne in die Hände spielten, um auf diesem Weg die Iraker in die Irre zu führen. Oder sei es vielleicht sogar, dass russische Stellen ein falsches Spiel gegenüber ihrem langjährigen Partner Saddam Hussein trieben: Indem sie nämlich in Kooperation mit den USA wissentlich Falschinformationen weiterleiteten, die den Angriff erleichterten. Das freilich wäre so schändlich und kompromittierend, dass die russische Regierung es kaum zugeben würde.
Lawrow wies am Montag darauf hin, dass zu der Sache noch keine amerikanische Anfrage in Moskau eingegangen sei. Außenministerin Condoleezza Rice werde das Thema vielleicht am Donnerstag ansprechen, wenn sie Lawrow zum nächsten Iran-Gespräch in Berlin trifft, oder vielleicht werde sie es auch in den kommenden Tagen telefonisch bereden, heißt es in den US-Medien. Mit der Klärung des Sachverhalts hat die US-Regierung es offensichtlich nicht eilig. Denn je länger die Gerüchte schmoren, umso besser für die Stimmungsmache. Rice setzte am Sonntag ihr bewährtes Dackelfalten-Gesicht auf und verkündete, es wäre "sehr besorgniserregend", wenn an der Geschichte etwas dran wäre. Das Timing muss als bewusste Infamie bewertet werden. So wird mit Sicherheit das Misstrauen und die mühsam unterdrückte Feindseligkeit großer Teile der politischen Klasse der USA gegenüber Russland weiter angeheizt.
Rückwärts in den kalten Krieg
"Die Beziehungen zwischen USA und Russland entwickeln sich eindeutig in eine falsche Richtung." "Streitigkeiten verdrängen die Übereinstimmungen. Die ganze Idee einer 'strategischen Partnerschaft' erscheint nicht länger realistisch." - So steht es in einem Anfang März veröffentlichten Strategiepapier des einflussreichen außerparlamentarischen Council on Foreign Relations (Rat für Außenpolitik). An der Spitze der Unterzeichner stehen mit dem Ex-Senator John Edwards (Demokraten) und dem Ex-Abgeordneten Jack Kemp (Republikaner) ein möglicher künftiger und ein ehemaliger Präsidentschaftskandidat. Das Unternehmen ist bewusst überparteilich angelegt. Viele Demokraten sind bemüht, die Bush-Regierung in Sachen Russland weit rechts zu überholen und sie demagogisch-populistisch anzugreifen.
Die Initiatoren hatten sich für die Veröffentlichung ihres Papiers - Titel: "Russlands falsche Richtung: Was die USA tun können und sollten" - ein extrem symbolträchtiges und provozierendes Datum ausgewählt: den 50. Jahrestag der Rede des konservativen britischen Politikers Winston Churchill in Fulton (Missouri, USA). Churchill hatte dort am 5. März 1946, gerade mal zehn Monate nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, in einer strategische Rede das Ende der Anti-Hitler-Koalition und den Übergang zum kalten Krieg verkündet. Berühmt wurde Churchills Ausspruch, durch Europa ziehe sich "ein eiserner Vorhang". Churchill, Premierminister während des zweiten Weltkriegs, war 1946 Oppositionsführer.
Die wichtigsten Kritikpunkte des Strategiepapiers des Council on Foreign Relation sind:
- In Russland finde ein Prozess der Ent-Demokratisierung statt. "Während der Präsident der Vereinigten Staaten die Demokratie zum Ziel der amerikanischen Außenpolitik gemacht hat, wird Russlands politisches System immer autoritärer."- Als Folge verringere sich "Russlands Fähigkeit, grundlegenden Sicherheitsinteressen der USA und ihrer Verbündeten Rechnung zu tragen". "Viele Bereiche der Zusammenarbeit - von der Sicherung atomaren Materials bis zum Austausch zwischen den Geheimdiensten - sind untergraben."
- Russland versuche, den Zugriff der USA und der NATO auf Stützpunkte im post-sowjetischen Zentralasien einzuschränken. Das sei ein Zeichen für den Rückzug Russlands von der Idee, "dass ein Erfolg in Afghanistan im gemeinsamen Interesse liegt".
- Russland benutze den Export von Öl und Erdgas als außenpolitische Waffe. Gemeint ist damit vor allem der im Winter ausgetragene Preis-Streit mit der Ukraine. Die Wiederverstaatlichung der russischen Energiekonzerne, die unter Präsident Jelzin zur leichten Beute einiger Multimilliardäre geworden waren, finden die Autoren besonders besorgniserregend.
"Selektive Konkurrenz"
In dem Strategiepapier werden unter anderem folgende Handlungsvorschläge präsentiert:
- Die Finanzmittel zur Förderung regierungsfeindlicher russischer Organisationen müssten erhöht statt gesenkt werden, vor allem mit Blick auf die Präsidentenwahl in zwei Jahren. Die US-Regierung plant bisher eine Mittelkürzung, weil sie die Ausgaben für Auslandspropaganda insgesamt von Osteuropa in den Nahen und Mittleren Osten umschichtet. Der Haushaltsentwurf sieht vor, die Ausgaben für das russische "Demokratie-Programm" von 44,2 auf 31,6 Millionen Dollar zu senken und die russischsprachigen Sendungen des Propagandasenders Voice of America einzustellen. Es zeichnet sich ab, dass der Kongress diese Kürzung ablehnen wird.
- Die russische Regierung müsse zu öffentlichen Erklärungen und konkreten Taten verpflichtet werden, dass die 2008 anstehenden Wahlen "offen, verfassungsgemäß und pluralistisch" verlaufen.
- Die USA und ihre Verbündeten müssten eine gemeinsame energiepolitische Strategie entwickeln. Konkret gemeint ist in erster Linie eine Verringerung des russischen Anteils an der Energieversorgung Europas.
- Die Verhandlungen über die Aufnahme Russlands in die Welthandelsorganisation (WTO) müssten dazu genutzt werden, mehr Zugeständnisse zu erpressen, wie etwa hinsichtlich der "Liberalisierung" der russischen Wirtschaft.
- Nach einem voraussehbaren Scheitern der Verhandlungen mit Teheran müsse Russland gezwungen werden, die gesamte atomare Zusammenarbeit mit dem Iran einzustellen. Das gelte auch für den mit russischer Hilfe gebauten Reaktor Buschehr, dessen Fertigstellung ungefähr im Herbst dieses Jahres erwartet wird.
- Die USA dürften bei der Gestaltung ihrer Beziehungen zu Russlands Nachbarn keine Rücksicht auf russische Interessen nehmen. Das gelte insbesondere für die wirtschaftliche und militärische Integration der postsowjetischen Staaten in die westlichen Systeme. "Post-sowjetische Staaten, die Amerikas Einstellung zu den wichtigsten internationalen Problemen teilen und zu deren Lösung beitragen können, sollten mit größerer Unterstützung rechnen können."
Fazit: Statt Partnerschaft mit Russland sei eine zweckentsprechende Kombination von "selektiver Zusammenarbeit und selektiver Konkurrenz" erforderlich.
Die Autoren des Papiers gehen nicht so weit wie der republikanische Senator John McCain, der sich erfolgreich als Sprecher der aggressivsten anti-russischen Kräfte im Kongress zu profilieren versucht. Der Senator rief auf der internationalen Münchner "Konferenz zur Sicherheitspolitik" im Februar dazu auf, die westlichen Führer sollten die Sitzung der G8 im Juli boykottieren. Denn das Jahrestreffen des Gremiums der wichtigsten Industrienationen findet erstmals unter russischem Vorsitz in St. Petersburg statt. "Unter Putin ist Russland weder eine Demokratie noch eine der führenden Wirtschaften der Welt", begründete McCain in München seinen Boykottaufruf. Russland hätte den USA und Europa helfen sollen, nach dem Ende des kalten Krieges "die Welt umzugestalten", klagte der Senator. "Aber der Kreml zeigt kein Interesse an einer solchen Beziehung. Stattdessen verfolgt er weiter eine Außen- und Innenpolitik, die unseren Interessen und Werten krass widerspricht."
Mit anderen Worten: Russland macht russische Politik statt amerikanische. Die Zahl der Senatoren und Abgeordneten, die das empörend und unerträglich finden, ist erheblich. Zwar sieht es nicht danach aus, als würden westliche Politiker dem Aufruf zum Boykott des Petersburger G8-Gipfels folgen. Aber vermutlich werden sie dessen Stellenwert öffentlich demontieren, indem sie sich vorher in Gestalt des alten, rein kapitalistischen G7-Gipfels treffen, um klarzustellen, dass Russland in der erlauchten Runde nur ein bedingt geduldeter Außenseiter ist, auch wenn es diesmal den Zeremonienmeister spielen darf.
Russische Sonderwege
Viele amerikanische Politiker kreiden Russland auch "Sonderwege" an, bei denen es sich hauptsächlich um eine auf Regierungsebene abgesprochene Arbeitsteilung mit den USA handelt.
Zu denken ist in diesem Zusammenhang an erster Stelle an die russischen Kontakte zur Hamas, die nach ihrem in dieser Eindeutigkeit überraschenden Wahlsieg die nächste palästinensische Regierung stellen wird. Das Wahlergebnis sei "ein schwerer Schlag für die amerikanische Außenpolitik", kommentierte Präsident Putin zutreffend. Russland hat, im Gegensatz zu USA und EU, die Hamas nie als "Terrororganisation" verteufelt. Es kann daher ohne Selbstbeschränkung und Vorbelastung die Rolle übernehmen, den Kontakt nicht abreißen zu lassen, Hamas nach Möglichkeit zu beeinflussen und eine vollständige Isolierung der palästinensischen Führung zu verhindern.
Daran sind im Grunde nicht nur USA und EU, sondern auch zentrale Kräfte Israels interessiert, selbst wenn sie öffentlich das Gegenteil behaupten und jeden Kontakt zur Hamas als "Dolchstoß" diffamieren.
Im Versuch, ihre Gespräche gegen Angriffe zu rechtfertigen, haben Außenminister Lawrow und andere russische Politiker als Hauptzweck in den Vordergrund gestellt, sie wollten Hamas überzeugen, sich gemäß den Forderungen des sogenannten Quartetts (USA, EU, Russland und UNO) zu verändern. Also Israel anzuerkennen, sämtliche früher geschlossenen Vereinbarungen zu respektieren und sogar, sich zum Roadmap-"Friedensplan" von Präsident Bush zu bekennen, obwohl Israel diesen längst für tot erklärt hat. Lawrow ging soweit zu behaupten, es gebe bereits hoffnungsvolle Anzeichen, dass Hamas bereit sei, sich in diese Richtung zu bewegen.
Realistisch ist das jedoch nicht. Hamas wird nicht einfach die opportunistische Politik übernehmen, die wesentlich zur Wahlniederlage der Fatah beigetragen hat. Äußerungen führender Hamas-Politiker lassen zwar erkennen, dass es letztlich eine Anerkennung Israels geben könnte. Aber nur als Endergebnis eines Prozesses, bei dem sich auch die Gegenseite bewegen müsste. Und ganz sicher nicht in der jetzigen Situation, wo die israelische Regierung sich offen darauf vorbereitet, in einer neuen einseitigen Aktion zentrale Teile der besetzten Westbank definitiv zu annektieren und damit dem Projekt eines "lebensfähigen" palästinensischen Staates den Todesstoß zu versetzen.
Das Dilemma Russland besteht in diesem Fall darin, dass es seine vom Westen abweichende Politik mit Argumenten rechtfertigen will, die der Wirklichkeit nicht standhalten. Was es verspricht, nämlich die "Bekehrung" der Hamas in absehbarer Zeit, wird es höchstwahrscheinlich nicht liefern können. Und was folgt danach? Es fehlt an einer offensiven Begründung für eine strategisch fundierte eigenständige russische Außenpolitik, die sich nicht nur als verlängerter Arm des Westens und Partner in einem abgekarteten Spiel mit verteilten Rollen darzustellen versucht.
Ähnlich steht es um Russlands Politik im Streit mit Iran wegen dessen zivilem Atomprogramm. Der sogenannte "russische Kompromissvorschlag", Iran mit AKW-Brennstoff zu beliefern, sofern Teheran auf Uran-Anreicherung verzichtet, ist in Wirklichkeit gar kein Kompromiss. Denn die gesicherte Versorgung Irans mit Brennstäben war auch schon Teil des "Angebotpakets", das im August 2005 vom EU-Trio vorgelegt und von Teheran als unzureichend zurückgewiesen wurde. Dabei war nur offen gelassen, ob Europa oder Russland die Lieferung übernimmt. Weil Iran es sich nicht leisten kann, den "russischen Kompromissvorschlag" in der vorliegenden Form abzulehnen, tun beide Seiten nun schon seit Monaten so, als würden sie verhandeln. Eine Perspektive könnten diese Gespräche aber nur haben, wenn Russland bereit wäre, der iranischen Forderung nach einem begrenzten Forschungs- und Entwicklungsprogramm im eigenen Land entgegen zu kommen. Das wäre tatsächlich ein Kompromiss, den aber vermutlich die US-Regierung ablehnen würde.
Stattdessen hat sich Russland öffentlich darauf festgelegt, die westliche Forderung nach einem totalen Anreicherungsverzicht Irans uneingeschränkt mitzutragen. Auch in diesem Fall ist Russland folglich im Dilemma, dem Westen das Versprochene nicht liefern zu können. Was übrig bleibt, sind taktische Verzögerungsversuche, die die militärischen Pläne der US-Regierung vielleicht um ein paar Monate verschieben, aber zu deren Verhinderung letztlich nichts beitragen.
"Eingefrorene Konflikte"
Am ehesten scheint Russland in der eigenen Peripherie, auf dem Territorium der früheren Sowjetunion, zu wirklichen Konfrontationen mit USA und EU bereit. Das wurde gerade wieder an der sehr unterschiedlichen Bewertung der Präsidentenwahl in Belarus deutlich. Konfliktfeld könnten in den nächsten Monaten die sogenannten eingefrorenen Konflikte werden: Territorialstreitigkeiten, die sich während des Zusammenbruchs der Sowjetunion ergaben und die seither einer einvernehmlichen Lösung keinen Schritt näher gekommen sind. In drei der Territorien - dem von Moldowa abgespaltenen Transnistrien und den von Georgien getrennten Republiken Abchasien und Südossetien - sind seit den Kämpfen Anfang der 90er Jahre russische Friedenstruppen stationiert. Sowohl Moldowa als auch Georgien stellen deren weitere Präsenz in Frage. Es gibt erste Anzeichen, dass sie dabei von den USA und der EU unterstützt werden könnten. Im Gegenzug drohen russische Politiker mit der Option, dem langjährigen Begehren der Abchasen und Südosseten nach Aufnahme in die Föderation nachzukommen. Anders stellt sich die Frage für Transnistrien, das keine gemeinsame Grenze mit Russland hat. Im vierten "eingefrorenen Konflikt" schließlich, um die überwiegend von Armeniern bewohnte Enklave Nagorny Karabach, droht ein von der US-Regierung stillschweigend tolerierter Revanchekrieg Aserbaidschans. Denn das Land hat inzwischen dank der Einnahmen aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft militärisch aufgeholt.
Alle vier "eingefrorenen Konflikte" haben das Potential, bei einer Eskalation die schon angeschlagenen Beziehungen zwischen USA und Russland erheblich zu verschlechtern.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 30. März 2006