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Ernsthafte Gefahr
Nach der Annullierung der Präsidentenwahl drohen in Südossetien gewaltsame Auseinandersetzungen.
Nach der Stichwahl zum Präsidentenamt, die am Sonntag stattfand, zeichnet sich in Südossetien eine harte Konfrontation ab. Während die Anhänger der mutmaßlichen Siegerin am Dienstag in der Hauptstadt Tschinwali feierten und demonstrierten, hat ihr Gegner die Wahl angefochten. Der Oberste Gerichtshof der kleinen Republik, die 2008 ihre Unabhängigkeit von Georgien erlangte, aber nur von Russland, Nikaragua, Venezuela und drei Südseestaaten anerkannt ist, gab dem Antrag am Dienstag statt. Die Wahl wurde für null und nichtig erklärt.
Die Stichwahl war erforderlich geworden, weil im ersten Wahlgang am 13. November keiner der elf Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hatte. Der bisherige Präsident Eduard Kokoity durfte nach zwei Amtsperioden nicht noch einmal antreten. Er hatte seine Unterstützung für Notstandsminister Anatoli Bibilow signalisiert, der zudem auch als Favorit der russischen Regierung galt. Mit 25,44 Prozent führte Bibilow das Feld an, dicht gefolgt von der Lehrerin Alla Dschiojewa, auf die 25,37 Prozent der Stimmen entfielen. Dschiojewa hatte der Kokoity-Regierung von 2002 bis 2008 als Erziehungsministerin angehört und war entlassen worden, als sie Korruptionsvorwürfe gegen leitende Beamte erhob.
Nach diesem Ergebnis erfolgte am vergangenen Sonntag eine Stichwahl zwischen Bibilow und Dschiojewa. Am Montag gab die Zentrale Wahlkommission bekannt, dass die Oppositionskandidatin nach Auszählung von 74 der 85 Wahlbezirke mit 56,74 Prozent deutlich vor ihrem Gegner lag, für den 40 Prozent der rund 27.000 Wähler gestimmt hatten. Bibilow rief daraufhin den Obersten Gerichtshof an. Er wirft seiner Gegnerin Bestechung und Einschüchterung von Wählern sowie Verstoß gegen das Wahlgesetz vor. Angeblich hatten einige Wahlkämpfer noch am Sonntag Werbung für Dschiojewa betrieben, obwohl das verboten ist.
Aufgrund von Bibilows Antrag verbot der Gerichtshof der Wahlkommission am Montag, weitere Ergebnisse zu veröffentlichen. Noch während das Gericht am Dienstag tagte, feierten Hunderte von Dschiojewas Anhängern auf dem zentralen Platz von Tschinwali ihren Sieg und forderten vor dem Büro der Wahlkommission die Bekanntgabe des Endergebnisses. Nach dem Maßstab der kleinen Republik handelte es sich um eine ungewöhnlich große Menschenmenge. Kenner der Verhältnisse schätzen, dass in Südossetien nur noch zwischen 20.000 und 30.000 Menschen leben.
Zehntausende sind wegen der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Lage Südossetiens nach Russland, hauptsächlich nach Nordossetien, ausgewandert, haben allerdings in der Regel ihr Bürger- und Wahlrecht behalten. In Tschinwali sind viele Häuser, die während der georgischen Aggression im August 2008 zerstört wurden, noch nicht wieder aufgebaut. Ein erheblicher Teil der russischen Hilfsgelder in Millionenhöhe sind in privaten Taschen südossetischer Regierungs- und Verwaltungsbeamter gelandet.
Die Kommunistische Partei Südossetiens hat in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung ihre „Besorgnis angesichts der nach den Wahlen entstandenen Lage" ausgedrückt und alle politischen Kräfte aufgerufen, "ausschließlich verfassungsmäßige und gesetzliche Mittel zur Problemlösung" anzuwenden. Es bestehe die "ernsthafte Gefahr", dass "die Lage im Land außer Kontrolle gerät". An die derzeitige Führung der Republik richtete die KP den dringenden Appell, „von verfassungsfeindlichen Versuchen des Machterhalts Abstand zu nehmen".
Genau diese Gefahr scheint zu drohen: Der Oberste Gerichtshof hat verfügt, dass Alla Dschiojewa zur Neuwahl, die in zwei Monaten stattfinden soll, nicht wieder antreten darf.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 30. November 2011