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Papst Ratzinger um Schadensbegrenzung bemüht
Papst Benedikt XVI, Joseph Ratzinger, hat am Montag die beim Vatikan akkreditierten Botschafter von 21 moslemischen Staaten in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo empfangen. Das Treffen dauerte 30 Minuten und bestand aus einer Ansprache Ratzingers und einer persönlichen Begrüßung aller anwesenden Diplomaten. Zeit für Erwiderungen oder gar eine Aussprache war nicht vorgesehen.
Insgesamt war dies der fünfte Versuch des Papstes, den Ärger in der moslemischen Welt über seinen Vortrag in der Universität Regensburg am 12. September zu besänftigen und Schadensbegrenzung zu üben. Nach einer Stellungnahme des Vatikan-Pressesprechers am 14. und einer langen, sorgfältig formulierten Erklärung des Vatikan-Staatssekretärs am 16. September hatte Papst Benedikt sich am 17. und am 20. September während öffentlicher Auftritte in Castel Gandolfo selbst geäußert: Er sei missverstanden worden, habe niemand beleidigen wollen, respektiere die Moslems und ihren Glauben, setze sich für den Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften ein.
In seinem Regensburger Vortrag hatte Ratzinger den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos (1350-1425) mit dem Satz zitiert: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." - Der Satz findet sich in einer um 1395 erschienenen Sammlung fiktiver Streitgespräche des Kaisers mit einem persischen Gelehrten. Faktisch handelt es sich um eine Propagandaschrift, die die geistige und moralische Überlegenheit des Christentums über den Islam dokumentieren sollte.
Er habe sich die Aussage des Kaisers nicht zueigen machen wollen, versichert Ratzinger seither immer wieder. Selbst ihm mild Gesonnene kritisieren jedoch, dass er seine Distanz zu dem Zitat überhaupt nicht deutlich gemacht habe. Die Lektüre des Vortrags zeigt darüber hinaus, dass der Papst den Byzantiner durchaus zustimmend zitiert hat, um nämlich seinen eigenen Diskurs über das Verhältnis zwischen Religion und Gewalt - die Ratzinger durch das Wort "Dschihad" eindeutig mit dem Islam identifizierte - einzuleiten. Dass Benedikt nicht wirklich guten Willens war, wird auch daran deutlich, dass er in seinem Vortrag zunächst die bekannte zweite Sure des Koran beiseite wischte, in der Mohammed eindeutig sagt, dass in Glaubensdingen kein Zwang geübt werden dürfe. Das sei, so Ratzinger, eine ganz frühe Sure, aus einer Zeit, "in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war". Islamkenner widersprechen: Es handele sich um eine Sure aus späterer Zeit, als Mohammed durchaus schon über Machtmittel verfügte.
Hätte Papst Ratzinger in Regensburg ernsthaft, ohne Vorurteile zu schüren, über das Verhältnis von Religion und Gewalt dozieren wollen, hätte er in der Geschichte des Christentums und der Päpste ausreichend Stoff gefunden. Davon in seinem Vortrag jedoch kein Wort. Der von zitierte Kaiser Manuel II Palaiologos herrschte über einen untergehenden Rumpfstaat und war nur noch ein Vasall des Türkenreichs. Aber zur gleichen Zeit war in Spanien die christliche "Reconquista" auf dem Vormarsch, die mit der gewaltsamen Vertreibung der Juden und Moslems von der Halbinsel endete. Der letzte der rund 300 Jahre währenden christlichen "Kreuzzüge" zur Eroberung des Nahen Ostens lag kaum drei Jahrzehnte zurück, als der Byzantiner sein Klagelied über den Dschihad anstimmte.
Für Ratzinger spricht, dass er seinen Fehler anscheinend begriffen hat und um Wiedergutmachung bemüht ist. Er handelt damit jedenfalls klüger als Politiker wie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der sich in der "Welt am Sonntag" beklagte, dass so wenig europäische Politiker die "Meinungsfreiheit" des Papstes verteidigt hätten, und der dort behauptete: "Das Problem sind nicht seine Äußerungen, sondern die Reaktionen der Extremisten."
Knut Mellenthin
Junge Welt, 26. September 2006