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Zu Kreuze gekrochen
Pakistans Regierungschef hält eine Schaufensterrede fürs westliche Ausland.
Die pakistanische Regierung will den Streit mit den USA nach der angeblichen Tötung Bin Laden möglichst schnell beilegen. In einer Rede, die er am Montag Abend im Parlament hielt, sandte Premierminister Syed Yousuf Raza Gilani eindeutige Signale Richtung Washington, während er die Erwartungen der pakistanischen Bevölkerung enttäuschte. Schon der Umstand, dass Gilani seine Rede auf Englisch statt auf Urdu hielt – rechtlich sind beides offizielle Amtssprachen, aber Urdu ist Nationalsprache -, drückte aus, dass seine Ausführungen hauptsächlich für das westliche Ausland bestimmt waren.
Während vorher verheißungsvoll angekündigt war, der Regierungschef wolle die Bevölkerung „ins Vertrauen ziehen“ über die Umstände der amerikanischen Operation vom Montag voriger Woche und die fehlenden Reaktionen des eigenen Militärs, ließ er darüber nur wenige Sätze fallen. Darin behauptete er, die Streitkräfte hätten „so reagiert, wie wir es von ihnen erwarten“. Flugzeuge der Luftwaffe seien aufgestiegen, Bodentruppen seien „schnell“ vor Ort gewesen. Nur leider alles zu spät, um noch einzugreifen. Beiläufig gab Gilani zu, die „ technische Fähigkeit der USA, unserem Radar zu entgehen“, sei „nicht zu leugnen“.
Breite Teile der Bevölkerung und alle Oppositionsparteien werten das ungehinderte Agieren des amerikanischen Killerkommandos auf pakistanischem Boden als Warnzeichen, dass die USA mit ähnlicher Leichtigkeit auch die Atomwaffen des Landes angreifen und ausschalten könnten. Die Armeeführung hat deshalb am Donnerstag voriger Woche eine gründliche Untersuchung angeordnet, wieso die Amerikaner ihre insgesamt mehr als eine Stunde dauernde Operation durchführen konnten, ohne bemerkt zu werden. Der Premierminister ging darauf mit keinem Wort ein, sondern kündigte lediglich die von der US-Regierung geforderte Untersuchung an, warum der Aufenthalt Bin Ladens in Abbottabad jahrelang nicht bemerkt wurde.
Alle Sorgen über das derzeitige Verhältnis zwischen beiden Ländern seien unbegründet, behauptete Gilani. „Pakistan misst seinen Beziehungen zu den USA hohe Bedeutung bei. Wir haben eine strategische Partnerschaft, von der wir glauben, dass sie unseren beiderseitigen Interessen dient. Sie ist gegründet auf gegenseitigem Respekt und gegenseitigem Vertrauen. Pakistan und die USA befinden sich in strategischer Übereinstimmung. Die Missklänge, die von den Medien hochgespielt werden, drehen sich um operative und taktische Themen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es unterschiedliche Ansichten über die Methoden zur Erreichung gemeinsamer Ziele gibt.“
Dass der Premier nebenbei die Aktion in Abbottabad mit einem einzigen Satz als „Verletzung der Souveränität“ Pakistans kritisierte, war in diesem Kontext als unglaubwürdige Pflichtübung zu erkennen. Oppositionsführer Chaudry Nisar von der Moslemliga-N warf anschließend dem Regierungschef vor, seine Rede habe nicht das im Land vorherrschende Gefühl der Unsicherheit widergespiegelt. Gilani hätte eine klare Botschaft an die Welt richten müssen, „dass es strenge Vergeltung geben wird, wenn so ein Angriff nochmals vorkommt“. Pakistan müsse die amerikanische Militäroperation vor die UNO und in den Sicherheitsrat bringen. Alle Aspekte dieses Vorgangs müssten schnellstens von einer unabhängigen Kommission untersucht werden. Nisar forderte außerdem, amerikanische Drohnen, die regelmäßig Ziele in Nordwestpakistan angreifen, künftig abzuschießen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 11. Mai 2011