Funktionen für die Darstellung
Seitenpfad
Wieder Hunderttausende Flüchtlinge in Pakistan
Am dritten Tag der Offensive in Südwasiristan hat die pakistanische Armee ihren Vormarsch unterbrochen und fünf provisorische Stützpunkte rund um das von Aufständischen kontrollierte Gebiet bezogen. Schwerer Artilleriebeschuss und Luftangriffe auf vermutete Taliban-Stellungen in den Bergen sollen die schwierige Phase des Bodenkriegs in unwegsamem Gelände vorbereiten. Die Pressestelle der Streitkräfte behauptete am Montagnachmittag, dass seit Beginn der Kämpfe 78 Taliban und neun Soldaten getötet worden seien. Unabhängige Berichte aus dem Kriegsgebiet gibt es nicht, da das Militär die Arbeit von Journalisten nicht zulässt.
Ebenfalls am Montag hat sich Premierminister Jusuf Rasa Gilani mit der Bitte um finanzielle Unterstützung zur Verhinderung einer „humanitären Katastrophe“ an die internationale Gemeinschaft gewandt. Wie schon vor den Militäraktionen in der Nordwestprovinz im April und Mai dieses Jahres hat die pakistanische Regierung kaum Vorbereitungen zur Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge getroffen. Die meisten haben zunächst bei Angehörigen ihrer Großfamilie oder ihres Clans in der Umgebung Südwasiristans Aufnahme gefunden. Andere, die Ersparnisse besitzen, mieten Wohnungen oder Häuser. In jedem Fall reichen die Mittel aber nur wenige Monate aus.
Nach Angaben der Streitkräfte, die mit den Berechnungen von UN-Stellen übereinstimmen, sind derzeit rund 100.000 Menschen aus Südwasiristan als Flüchtlinge registriert. 80.000 seien schon vor der am Sonnabend begonnenen Offensive gezählt worden; seither seien 22.000 hinzugekommen. Es wird befürchtet, dass die Zahl in den nächsten Tagen auf 200.000 ansteigen könnte. Andere Quellen sprechen jetzt schon von 150.000 Flüchtlingen. Vor den Einfällen der Armee nach Südwasiristan - der jetzige ist der vierte seit 2004 – hatte das Gebiet ungefähr 500.000 Einwohner.
Die meisten Flüchtlinge haben derzeit in den Bezirken Tank und Dera Ismail Khan Aufnahme gefunden, die an Südwasiristan grenzen und zur Nordwestprovinz gehören. In beiden Bezirken wurden die Sicherheitsmaßnahmen erhöht, um das Einsickern von Taliban oder den Ausbruch von Unruhen zu verhindern. Die Straßen, die aus Dera Ismail Khan in das angrenzende Pundschab führen, werden schärfstens kontrolliert. Pundschab ist die bevölkerungsreichste Provinz Pakistans und gilt als „Herz“ des Landes. In letzter Zeit sind dort zunehmend Gruppen aktiv, die mit den Taliban sympathisieren und zusammenarbeiten. Mehrere Beteiligte an den Angriffen und Anschlägen der letzten Zeit, wie gegen das Armee-Hauptquartier in Rawalpindi, sollen aus dem Pundschab gekommen sein.
Unterdessen hat die Polizei am Montag mehrere religiöse Schulen und andere Unterrichtsanstalten in der Hauptstadt Islamabad durchsucht, die vom Geheimdienst verdächtigt werden, Verbindungen zu den Taliban zu unterhalten und sie zu unterstützen. Ebenso wie in Rawalpindi und Lahore wurden auch in Islamabad Dutzende von „Verdächtigen“, darunter viele aus Afghanistan stammende Menschen, festgenommen. Die Polizeiaktionen sollen in den nächsten Tagen fortgesetzt werden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 20. Oktober 2009