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Verstimmung in Islamabad
Ärger über zunehmende US-Angriffe. Pakistan warnt vor einer Gefährdung des Nachschubs für den Afghanistankrieg.
Aus der Luft gegriffene Geschichten über geplante Anschläge in Europa sollen offenbar die massiv gesteigerten US-amerikanischen Angriffe auf pakistanisches Gebiet rechtfertigen. Die meisten westlichen Mainstream-Medien berichteten am Mittwoch über „eine verheerende Anschlagserie“ (Spiegel Online) gegen Ziele in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die von Pakistan aus vorbereitet werde. Die Drohnenattacken des US-Geheimdienstes CIA gegen Nordwestpakistan, deren Zahl in letzter Zeit stark erhöht wurde, hätten nicht zuletzt auch den Planern dieser Anschläge gegolten.
Die Gerüchte bestanden jedoch hauptsächlich aus heißer Luft. Als erster in die Welt gesetzt hatte sie ein Auslandsredakteur des britischen Fernsehsenders Sky News, Tim Marshall, der keinerlei Quellen für seine Vermutungen genannt hatte. Selbst die nicht näher bezeichneten „westlichen Geheimdienste“, von denen die „Warnungen“ ausgegangen sein sollen, waren offenbar eine spätere Zutat anderer Medien. Sind solche Legenden aber erst einmal in Umlauf, wird jede Regierung sich hüten, sie rundum als falsch und unbegründet zurückzuweisen. Dann kommt es zu gewundenen Stellungnahmen wie der des deutschen Innenministeriums: Zwar gebe es „keine konkreten Hinweise auf unmittelbar bevorstehende Anschläge“, aber „längerfristig“ gebe es bei Al-Qaida natürlich Pläne.
Indessen ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Aktionen in Europa ausgerechnet in den abgelegenen Bergdörfern Nordwasiristans geplant werden, die das Hauptziel der Drohnenangriffe sind. Im September gab es 20 solcher Attacken, bei denen mindestens 90 Menschen getötet wurden. Die Höchstzahl von Angriffen innerhalb eines Monats hatte bisher bei elf im Januar dieses Jahres gelegen. Schon von der großen Zahl der Opfer her ist klar, dass es sich bei den meisten nicht um hochrangige Kommandanten, sondern höchstens um sogenannte low-level-fighter, einfache Stammeskrieger, handelt. Dass oft auch Unbeteiligte zu Sc haden kommen, wird in Kauf genommen und von der CIA nicht einmal kommentiert.
Seit Freitag voriger Woche haben auch US-amerikanische Kampfhubschrauber in mindestens drei Fällen pakistanisches Gebiet beschossen. Die Zahl der Getöteten – angeblich alles Angehörige des in Afghanistan kämpfenden „Haqqani-Netzwerks“ wird unterschiedlich mit mindestens 30 und bis zu 50 angegeben. Eine Sprecherin der ISAF-Besatzungstruppen hatte zunächst behauptet, die Hubschrauber hätten flüchtende Kämpfer über die Grenze verfolgt, die vorher einen vorgeschobenen Posten auf afghanischem Gebiet angegriffen hätten. Das galt allerdings höchstens für die erste Aktion am Freitag, aber nicht für die folgenden am Sonnabend und Montag.
Das pakistanische Außenministerium bezeichnete die Übergriffe in ungewöhnlich scharfer Form als „klare Verletzung und Bruch des UN-Mandats, unter dem ISAF operiert“. Das Ministerium widersprach auch der Behauptung US-amerikanischer Stellen, dass es eine Absprache über Grenzverletzungen in Fällen von „hot pursuit“ (Verfolgung auf frischer Tat) gebe. „Wenn es nicht zu sofortigen korrigierenden Maßnahmen kommt, wird Pakistan gezwungen sein, über Reaktionsmöglichkeiten nachzudenken“, hieß es abschließend in der Stellungnahme. Einige Medien des Landes interpretierten das als Warnung vor einer Einschränkung der Nachschubtransporte für den NATO-Krieg in Afghanistan, die zu 80 Prozent durch Pakistan laufen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 30. September 2010