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Terror gegen Schiiten
Pakistan ist einer der Schauplätze des vom saudischen Regime finanzierten Religionskriegs.
Bei drei Bombenattentaten wurden am Sonntag in Pakistan 52 Menschen getötet. Die Zahl kann weiter steigen, da mehrere der über 100 Verletzten am Montag noch in Lebensgefahr waren.
Der erste Anschlag ereignete sich in Peschawar, der Hauptstadt der im Nordwesten nahe der Grenze zu Afghanistan gelegenen Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Hier wurden 18 Menschen getötet und 46 verletzt. Die ferngesteuerte Explosion eines Fahrzeugs, in dem sich 40 bis 50 Kilo Sprengstoff befanden, galt offenbar einem Konvoi des paramilitärischen Grenzkorps. Sie traf aber fast ausschließlich Zivilisten auf einem Markt – einkaufende Frauen mit Kindern, Gemüse- und Obstverkäufer aus Dörfern der Umgebung, und Passanten. Drei Angehörige des Grenzkorps, das bis auf seine Offiziere nur aus Bewohnern der Region rekrutiert wird, wurden verletzt. Militärkonvois auf der Straße von Peschawar nach Kota im Swat-Tal wurden in letzter Zeit häufig angegriffen.
Ein zweiter Anschlag wurde etwas später von einem Selbstmordattentäter in Quetta, der Hauptstadt der Provinz Belutschistan, verübt, der seine Bombe im Bezirk Hazara Town nahe bei einer Moschee zündete. Am Montagmorgen lag die Zahl der Toten bei 30, während mindestens 65 Verletzte in Krankenhäusern behandelt wurden. Die meisten Opfer gehören zur mongolischstämmigen, überwiegend schiitischen Volksgruppe der Hazara, die sowohl in Pakistan als auch in Afghanistan lebt. Hunderte von pakistanischen Schiiten, darunter viele Hazara, die sich von anderen Pakistanis meist äußerlich unterscheiden und auch deshalb Diskriminierungen ausgesetzt sind, wurden in den letzten Jahren von sunnitischen Terroristen ermordet. Pakistan gehört damit zur Front des hauptsächlich vom saudischen Regime finanzierten und angeheizten Religionskrieges gegen die Schiiten und andere religiöse Minderheiten innerhalb des Islam.
Ebenfalls am Sonntag wurden in Nordwasiristan, einem Bezirk der sogenannten Stammesgebiete, vier Soldaten durch eine ferngesteuerte Bombe getötet, die unter oder neben ihrem Fahrzeug explodierte.
„Bekennererklärungen“ gab es zunächst zu keinem der drei Anschläge. Die Polizei machte jedoch am Montag drei namentlich genannte Mitglieder der TTP, der bedeutendsten Organisation der pakistanischen Taliban, für das Attentat in Peschawar verantwortlich.
In Quetta waren zuletzt am 15. Juni insgesamt 23 Menschen, darunter vier mutmaßlich Terroristen, bei mehreren Überfällen und Anschlägen getötet wurden. Unter den Toten waren 14 Studentinnen und Dozentinnen einer Frauenuniversität, die bei der Explosion einer Bombe in ihrem Bus starben. Weitere Opfer, darunter vier Mitglieder des Grenzkorps, starben, als bewaffnete Männer einen Krankenhauskomplex besetzten, wobei sie Patienten und Ärzte als Geiseln in ihre Gewalt brachten.
In Peschawar wurden am 21. Juni 15 Menschen bei einem Selbstmordanschlag in einem schiitischen Wohngebiet getötet.
Pakistan hat seit vorigem Monat eine neue Regierung, an deren Spitze Nawaz Sharif von der konservativen Muslimliga (PML-N) steht. Die Anschläge vom Sonntag ereigneten sich während des Besuchs des britischen Premierministers David Cameron in Islamabad. Sharif und sein Gast erklärten ihre gemeinsame Absicht, „Extremismus und Terrorismus auszurotten“ und diese Aufgabe „mit erneuerter Kraft“ anzupacken. Sharif hatte im Wahlkampf versprochen, eine politische Lösung des Konflikts mit den Talibangruppen anzustreben, doch sind dafür gegenwärtig die Voraussetzungen angesichts der Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung schlecht.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 2. Juli 2013