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Notwehr oder Doppelmord?
Der Streit um einen in Pakistan unter Mordverdacht inhaftierten US-Bürger macht wieder einmal deutlich, wie extrem angespannt und empfindlich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind, die sich offiziell als enge Verbündete bezeichnen. Der Amerikaner, dessen Name von pakistanischen Medien mit Raymond Davis angegeben wird, hatte am vorigen Donnerstag in der Stadt Lahore zwei Männer erschossen. Angeblich waren sie seinem Auto auf einem Motorrad gefolgt und hatten ihn mit Schusswaffen bedroht. Erste Aussagen von Polizeibeamten schienen Davis' Behauptung zu bestätigen, dass er die beiden Männer für Straßenräuber gehalten habe. Bei den Leichen sollen Pistolen gefunden worden sein. Ein dritter, vermutlich an dem Vorfall nicht beteiligter Pakistaner wurde tödlich durch ein Fahrzeug mit Amerikanern verletzt, die Davis anscheinend zu Hilfe kommen wollten.
Obwohl der Todesschütze behauptete, in Notwehr gehandelt zu haben, und sich darauf berief, als Angestellter des amerikanischen Konsulats unter diplomatischer Immunität zu stehen, wurde er zunächst in Untersuchungshaft genommen. Im Laufe dieser Woche muss entschieden werden, ob gegen ihn Anklage wegen zweifachen Mordes erhoben wird. Die Polizei will außerdem die Insassen des zweiten beteiligten Fahrzeugs vernehmen, die nach dem Unfall geflüchtet waren.
Am Sonnabend meldete sich das US-Konsulat zu Wort und verlangte die sofortige Freilassung von Davis. Als Begründung wurde angegeben, dass er ein Mitglied des „technischen und Verwaltungspersonals“ der Vertretung sei. Nach Artikel 37 der Wiener Konvention stehe er deshalb ebenso wie Diplomaten unter Schutz vor Strafverfolgung.
Die Intervention des Konsulats hat eine baldige Freilassung von Davis eher unwahrscheinlicher gemacht als erleichtert. In der Provinz Pundschab, zu der Lahore gehört, herrscht die Moslemliga (PML-N), die stärkste Oppositionspartei des Landes. Der von Islambad ernannte Gouverneur der Provinz ist hingegen Mitglied der Pakistan regierenden Volkspartei (PPP). Jetzt traten der Chef der Provinzregierung und der Gouverneur, die ansonsten öffentliche Fehden austragen, gemeinsam vor die Presse und verkündeten, dass man sich nicht dem amerikanischen Druck beugen, sondern streng nach Recht und Gesetz handeln werde. Am Sonntag fand in Lahore eine von islamistischen Parteien organisierte Kundgebung mit 15.000 bis 20.000 Teilnehmern statt, auf der Parolen wie „Bestraft den amerikanischen Mörder“ und „Jeder Freund Amerikas ist ein Verräter“ gerufen wurden.
Inzwischen haben US-Medien ermittelt, dass Davis ein Angestellter der privaten Sicherheitsfirma Hyperion Protective Consultants ist, die ihren Sitz in Orlando (Florida) hat. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand soll Davis die beiden Männer durch Schüsse in den Rücken getötet haben. Pakistanische Medien berichteten außerdem, dass das zweite an dem Zwischenfall beteiligte Fahrzeug ein gefälschtes Nummernschild gehabt habe. Diese Praxis von in Pakistan tätigen US-Bürgern hatte schon in der Vergangenheit mehrfach für Ärger gesorgt.
Knut Mellenthin
1. Februar 2011