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Mit Morden ins neue Jahr
Die US-Regierung hat das neue Jahr mit weiteren Drohnen-Morden begonnen. Bei vier Einsätzen gegen Ziele im pakistanischen Nordwasiristan wurden am Sonnabend mindestens 19 Menschen getötet. In einem Fall richtete sich der Angriff gegen Dorfbewohner, die die Opfer einer zwei Stunden zuvor erfolgten Raketenattacke zu bergen versuchten. Das ist eine häufig angewendete Taktik des Auslandsgeheimdienstes CIA, der die Einsätze der unbemannten Flugkörper steuert. Die CIA und die US-Regierung geben grundsätzlich keinerlei Erläuterungen zu den allgemeinen Einsatzregeln ihres Mordprogramms und zu den Ergebnissen einzelner Aktionen.
Schon am Montag und Dienstag voriger Woche waren innerhalb von 24 Stunden bei mehreren Angriffen mindestens 45 Menschen getötet worden. Sechs von ihnen kamen ums Leben, als ein Rettungsfahrzeug zerstört wurde, das Verletzte abtransportierte. Alle Ziele lagen ebenfalls in Nordwasiristan. Insgesamt gab es im zu Ende gegangenen Jahr nach unterschiedlichen Zählungen zwischen 118 und 122 Drohnenattacken, bei denen ungefähr 1000 Menschen getötet wurden. In seinem ersten Amtsjahr 2009 hatte Präsident Barack Obama 53 Angriffe fliegen lassen. Das waren bereits mehr als sein Vorgänger George W. Bush in seiner gesamten achtjährigen Amtszeit zu verantworten hatte.
Die Opfer der Raketenschläge sind neben vielen unbewaffneten Dorfbewohnern hauptsächlich örtliche Stammeskrieger. Genauere Erkenntnisse sind nicht möglich, weil die pakistanischen Behörden fast niemals Untersuchungen vornehmen. Die veröffentlichten Opferzahlen stammen in der Regel von anonymen Verwaltungsbeamten und Polizeioffizieren, die keine direkten Informationen haben.
In Pakistan hat sich inzwischen eine Protestbewegung der Opfer – durch Angriffe Verletzte und Angehörige Getöteter – gebildet. Ihre Appelle an die Weltgemeinschaft, von ihren Leiden Notiz zu nehmen, verhallten bisher jedoch weitgehend ungehört. Zwar legte im Juni 2010 eine von Philip Alston geleitete Untersuchungsgruppe der UNO einen detaillierten Bericht vor, der aber den Sicherheitsrat nicht interessierte. Auch Russland und China hüllen sich in Schweigen. Das Alston-Team hatte neben der grundsätzlichen juristischen Problematik der Drohnenattacken besonders beklagt, dass es nicht die geringste Rechenschaftslegung gegenüber der internationalen Gemeinschaft gibt.
Die pakistanische Regierung hat viele Male erklärt, dass sie die Angriffe nicht nur als rechtswidrig, sondern auch als politisch absolut kontraproduktiv ansieht. Sie hat aber andererseits bisher wenig getan, um sich glaubwürdig gegen die US-amerikanische Unterstellung zu wehren, sie billige insgeheim doch das Mordprogramm der CIA. In einer Ansprache am Sonnabend wies Premier Syed Yousuf Raza Gilani die Forderung der Opposition nach Gegenmaßnahmen gegen die Drohneneinsätze als „unverantwortlich“ zurück. Seine Regierung halte an dem Versuch fest, Obama durch Argumente von seiner Strategie abzubringen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 3. Januar 2011