KNUT MELLENTHIN

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Blumen für den Attentäter

Nach der Ermordung des Gouverneurs der pakistanischen Provinz Punjab wird über eine „politische Verschwörung“ als Tathintergrund spekuliert. Salman Taseer, ein Mitglied der regierenden Volkspartei (PPP), war am Dienstag von einem Angehörigen der zu seinem Schutz abgestellten Spezialeinheit durch 26 Schüsse getötet worden. Grund des Anschlags war offenbar das Eintreten des pro-westlichen Multimillionärs für eine Revision der „Blasphemie“-Gesetze. Diese gelten als die rigidesten der moslemischen Welt und sehen unter anderem die Todesstrafe für Schmähungen des Propheten Mohammed vor. Zwar wurde noch nie ein solches Urteil vollstreckt, aber mehrere Angeklagte wurden nach ihrem Prozess durch Attentäter oder durch einen Lynchmob ermordet.

Pakistan „verdankt“ diese Gesetzgebung dem General Muhammad Zia-ul-Haq, der sich 1977 an die Macht putschte und alle gesellschaftlichen Bereiche einer radikalen Islamisierung unterwarf. Der Militärdiktator hatte die volle Unterstützung der US-Regierung unter Ronald Reagan, mit der er auch bei der Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin engstens zusammenarbeitete. Heute sind die „Blasphemie“-Gesetze in Pakistan so total unantastbar, dass nicht einmal die schärfsten Kritiker ihre Abschaffung fordern. Taseer beispielsweise hatte ausdrücklich die geltenden Gesetze unangetastet lassen und sie lediglich durch eine Bestimmung zur Eindämmung von Missbrauch ergänzen wollen.

Die Vermutung, dass hinter der Tötung des Gouverneurs eine Verschwörung stecken könnte, wird unter anderem damit begründet, dass der Attentäter wegen seiner Kontakte zu religiösen Fundamentalisten bereits mehrfach als Sicherheitsrisiko eingestuft worden war. Der 26jährige Malik Mumtaz Qadri war 2002 in den Polizeidienst eingetreten. Erstmals 2004 und nochmals 2008 war er zeitweise von Personenschutz-Aufgaben ausgeschlossen worden.

Als weiteres Verdachtsmoment wird angeführt, dass keiner der zusammen mit Qadri eingesetzten Polizisten eingriff, während der Attentäter sein Magazin leerschoss. Es wird sogar behauptet, er habe seine Kollegen zuvor über seine Absicht informiert, um sicherzustellen, dass er lebend gefangen genommen würde. Die Polizei von Rawalpindi, der die Einheit unterstand, hat eine Untersuchungskommission eingesetzt. Nach pakistanischen Zeitungsberichten gehören ihr auch Mitarbeiter des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA an.

Die erste Vorführung des Attentäters vor einem Gericht der Provinzhauptstadt Lahore gestaltete sich zu einem triumphalen Empfang. Mehrere hundert Menschen, darunter auch zahlreiche Anwälte, jubelten Qadri zu, überschütteten ihn mit Rosenblättern und hingen ihm Blumengirlanden um. Die Menge rief: „Ein Knecht Mohammeds nimmt auch den Tod auf sich“, und Qadri antwortete: „Gott ist groß!“

Über 500 Geistliche der sunnitischen Religionsgemeinschaft Jamaat Ahle Sunnat riefen in einer gemeinsamen Erklärung dazu auf, kein Bedauern über den Tod des Gouverneurs zu zeigen und keine Gebete aus diesem Anlass zu sprechen. Der Vertreter einer anderen religiösen Gruppe warnte alle Gläubigen, der Beisetzung Taseers, die am Mittwoch stattfand, fern zu bleiben. „Wer sich für Gotteslästerer einsetzt, ist selbst einer“, war nicht nur von diesem Geistlichen zu hören. Fast wortgleich äußerte sich unter anderem auch Maulana Fazalur Rehman, der Führer der Jamiat Ulema Islam-Fazal (JUI). Diese Partei gilt sogar in Analysen der amerikanischen Botschaft als „gemäßigt“ und gehörte bis vor wenigen Wochen der Regierungskoalition an.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 7. Januar 2011