Funktionen für die Darstellung
Seitenpfad
Zweck soll Mittel heiligen
Immer weniger Flüchtlinge aus Afrika erreichen Europa. Für die Gründe dieses „Erfolgs“ will Merkel nicht verantwortlich sein.
Die „Festung Europa“ will ihre Außenposten zur Abwehr von afrikanischen Flüchtlingen und Migranten weiter vorschieben. Darum ging es am Montag bei einem Treffen in Paris, zu dem Präsident Emmanuel Macron eingeladen hatte. Außer dem Gastgeber nahmen von europäischer Seite die Regierungschefs von Deutschland, Spanien und Italien sowie die Außenpolitik-Verantwortliche der EU, Federica Mogherini, teil. Als Vertreter afrikanischer Länder waren die Präsidenten des Niger und des Tschad und der zwar international anerkannte, aber fast machtlose Führer der von außen eingesetzten libyschen Regierung, Fajes al-Serradsch, erschienen.
Großbritannien hielt sich im Zeichen des bevorstehenden EU-Austritts vom Pariser Treffen fern und geht bereits eigene Wege. Außenminister Boris Johnson hatte in der letzten Woche die libysche Hauptstadt Tripoli besucht und finanzielle Unterstützung in Höhe von ein paar Millionen Pfund versprochen. Von der sogenannten Flüchtlingskrise ist das Vereinigte Königreich kaum betroffen.
Als zentrales Ziel der EU stand schon vor dem Treffen am Montag die Errichtung und der Betrieb von „Aufnahmelagern“ in Niger und Tschad fest. Sie sind die wichtigsten Durchgangsländer für Flüchtende und Migranten aus anderen afrikanischen Ländern. In diese Außenstellen wollen die EU-Staaten die Verfahren verlagern, in denen über die Anerkennung von Asylanträgen entschieden wird. Damit verbunden wäre eine Entrechtlichung und Verdunkelung der Verfahren. Die juristischen Vorgänge ebenso wie die Zustände, unter denen die Antragsteller interniert sind, würden den Blicken der europäischen Öffentlichkeit weitgehend entzogen.
Anders als manche vollmundigen Erklärungen der beteiligten EU-Politiker, insbesondere Macrons, vermuten lassen, sind bis zur Umsetzung dieses Vorhabens noch Hindernisse zu bewältigen. Die am Montag in Paris veröffentlichte gemeinsame Erklärung gibt keine konkreten Vereinbarungen oder praktischen Schritte an, sondern sieht nur die Entsendung prüfender und vorbereitender Arbeitsgruppen nach Niger und Tschad vor. Beide Staaten sind gezwungen, sich gegenüber den Forderungen der EU-Hauptmächte gefügig zu verhalten, da sie auf ständige Finanzhilfe angewiesen sind. Im internationalen „Index der menschlichen Entwicklung“ rangieren sie auf den Plätzen 186 und 187 unter den Schlusslichtern. Zum Vergleich: Sogar Libyen, das alle Kennzeichen eines „failed state“ aufweist, erreicht in dieser Liste immerhin Platz 94. Im privaten Bereich wäre das Vorgehen der EU als schwerer Missbrauch von Abhängigen zu verurteilen.
Aber der „Erfolg“ scheint Macron und Angela Merkel „Recht“ zu geben: Die Zahl der Flüchtlinge, die von Nordafrika aus Italien erreichen, ging schon im Juli stark zurück und ist in diesem Monat noch einmal rasant gesunken. Vom 1. bis zum 25. August kamen nur knapp 3.000 Menschen in Italien an. Im selben Zeitraum 2016 waren es sieben Mal so viel. Der leichte Anstieg der Zahl der Flüchtenden, die in Spanien registriert wurden, macht den großen Rückgang in Italien bei weitem nicht wett.
Die Ursachen dieser Entwicklung liegen nicht nur in Libyen. Schon im Durchgangsland Niger kamen zuletzt 80-85 Prozent weniger Flüchtende an als im Vorjahr. In Libyen selbst macht sich vor allem die enorm verstärkte Tätigkeit der Küstenwacht bemerkbar, die von der EU – Italien an erster Stelle – durch Lieferung von Schnellbooten und Ausbildungskurse aufgerüstet und in Form gebracht wurde.
Außerdem berichten internationale Medien seit einer Woche über eine neu formierte Bande aus Polizisten, Soldaten und Milizionären, die im Bereich der westlibyschen Küstenstadt Sabratha Jagd auf Flüchtende und professionelle Fluchthelfer macht. Die Hintergründe sind vorerst undurchsichtig. Diese „Brigade 48“ ebenso wie die Küstenwache lassen viele der von ihnen Aufgegriffenen in Lagern verschwinden, für die sich weder Merkel noch Macron in der Verantwortung sehen wollen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 30. August 2017