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Winograd-Bericht: Israels Streitkräfte müssen wieder kriegsfähig werden
Mit Regierungsbeschluss vom 17. September 2006 wurde eine Kommission eingesetzt., die den am 12. Juli begonnenen Libanonkrieg - nach Einschätzung vieler Experten die erste militärische Niederlage Israels in seiner Geschichte - untersuchen soll. Sie ist nach ihrem Vorsitzenden, dem Richter Elijahu Winograd, benannt.
Am Montag dieser Woche, dem 30. April, legte die Kommission einen Zwischenbericht in zwei Versionen vor. Zunächst eine Fassung für die Regierung, anschließend eine unter Geheimhaltungs-Gesichtspunkten bereinigte Version zur Veröffentlichung. In der Einleitung heißt es, die Winograd-Kommission habe darauf gehofft, in ihren Bericht auch schon die umfassenden Lehren aus diesem Krieg integrieren zu können. Es habe sich aber gezeigt, dass Politik und Militär bisher kaum Lehren gezogen, sondern offenbar das Erscheinen des Berichts abgewartet hätten. Deshalb habe sich die Kommission zum jetzigen Zeitpunkt für die Präsentation eines Zwischenberichts entschieden, um den überfälligen Lernprozess anzustoßen. Der jetzt veröffentlichte Report beschäftigt sich im Wesentlichen nur mit der Entscheidung zum Krieg, nicht mit dessen Verlauf. Ein vollständiger Bericht wird im August erwartet.
Die Entscheidung, nach der Entführung mehrerer israelischer Soldaten sofort einen großen Krieg gegen die Hisbollah zu eröffnen, habe zunächst breite Unterstützung innerhalb der Regierung, im Parlament und in der israelischen Öffentlichkeit gefunden, konstatiert die Kommission. Trotzdem liege die Hauptverantwortung für die Fehlentscheidungen aber bei Premierminister Ehud Olmert, Verteidigungsminister Amir Peretz und dem inzwischen zurückgetretenen Generalstabschef Dan Halutz.
Wörtlich heißt es im Winograd-Report: "Die Entscheidung, mit einem sofortigen, intensiven Militärschlag zu antworten, gründete nicht auf einem detaillierten, umfassenden und autorisierten Plan als Ergebnis einer sorgfältigen Untersuchung der komplexen Wesenszüge des Schauplatzes Libanon. Eine gründliche Untersuchung dieser Wesenszüge hätte Folgendes ergeben: Die Fähigkeit, militärische Ziele von erheblichem politisch-internationalen Gewicht zu erreichen, war begrenzt. Ein israelischer Militärschlag würde unvermeidlich zum Abschuss von Raketen auf zivile Ziele in Nordisrael führen. Auf solche Angriffe gab es keine andere wirksame Antwort als ausgedehnte und langwierige Bodenoperationen, um die Gebiete einzunehmen, aus denen die Raketen abgeschossen wurden. Das aber wäre sehr 'kostspielig' geworden und hätte keine breite Unterstützung gehabt. (...) Bei ihrer Entscheidung, den Krieg zu eröffnen, ließ die Regierung die Gesamtbreite der Optionen außer acht. Dazu gehörte die Möglichkeit, die Politik der 'Eindämmung' fortzusetzen. Oder die Verbindung politischer und diplomatische Reaktionen mit militärischen Schlägen unterhalb des 'Eskalationsniveaus'. Oder militärische Vorbereitungen ohne sofortige Aktion. Dadurch hätte Israel seine volle Bandbreite möglicher Antworten auf die Entführung behalten."
Die Hauptverantwortung für die fehlerhafte Entscheidung liege bei Olmert, heißt es im Winograd-Bericht. Er habe sich seine Meinung "überhastet" gebildet, obwohl ihm kein detaillierter Kriegsplan vorgelegt wurde und er einen solchen auch nicht angefordert habe. Der Premierminister habe "ohne systematische Beratung mit Anderen, insbesondere auch außerhalb der Streitkräfte" entschieden, "obwohl er in außerpolitischen und militärischen Angelegenheiten keine Erfahrung besaß". Noch vernichtender fällt das Urteil über Verteidigungsminister Peretz von der sozialdemokratischen Arbeitspartei aus: Neben vollständiger militärischer Ahnungslosigkeit wird ihm auch fehlende Kenntnis und Erfahrung "in politischen und Regierungsangelegenheiten" bescheinigt. Das war aber auch schon vor dem Libanonkrieg allgemein bekannt.
Wesentlich für die Zukunft dürfte die Einschätzung im Schlussteil des Berichts sein: "Israels Streitkräfte waren für diesen Krieg nicht bereit." - Einer der Gründe dafür sei, dass Teile der politischen und militärischen Eliten Israels zur Schlussfolgerung gekommen seien, Israel habe das Zeitalter der Kriege hinter sich. Es habe genug militärische Stärke und Überlegenheit, um andere davon abzuschrecken, Israel den Krieg zu erklären. Unter diesen Voraussetzungen sei die Notwendigkeit nicht mehr gesehen worden, die Bereitschaft für einen "echten" Krieg aufrecht zu erhalten und Israels "umfassende Sicherheitsstrategie" kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Die Lehre aus dem Libanonkrieg besteht also dem Winograd-Report zufolge jenseits des persönlichen Schicksals von Ehud Olmert vor allem darin, die militärische Effektivität der israelischen Streitkräfte, die seit einem Vierteljahrhundert keinen "echten" Krieg mehr geführt hatten, wiederherzustellen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 4. Mai 2007