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Verhandeln als Selbstzweck
Am 30. Oktober 1991 wurden mit einer "Internationalen Konferenz" in Madrid arabisch-israelische Friedensverhandlungen eingeleitet. Dieses Treffen bestand aus einer allgemeinen Auftaktveranstaltung, bei der große Politikerreden gehalten wurden, und sich anschließenden bilateralen Gesprächen, jeweils zwischen einer israelischen und einer arabischen Delegation. Dabei waren die Palästinenser, israelischen Vorstellungen entsprechend, nur als Teil einer gemeinsamen Delegation mit Jordanien vertreten.
Diese erste, kurze Gesprächsrunde brachte noch nicht einmal in einfachsten formalen Fragen - wie etwa Zeit und Ort der nächsten Gespräche - eine Einigung. Der israelische Wunsch, die Gespräche möglichst schnell nur noch im Nahen Osten stattfinden zu lassen, am liebsten abwechselnd in den jeweiligen Hauptstädten, fand auf arabischer Seite keine Zustimmung. Man legt dort Wert auf einen gewissen "internationalen" Anstrich der Verhandlungen und auf eine direkte Vermittlerrolle der USA.
Tatsächlich war es dann die US-Regierung, die eigenmächtig ein Datum (4. Dezember) und einen Ort (Washington) für die zweite Runde bilateraler Gespräche festlegte. Die israelische Regierung, unterstützt von einer empörten Öffentlichkeit, fühlte sich übergangen und zeigte Selbstbewußtsein: nicht am 4., sondern erst am 9. Dezember sei man zu Verhandlungen bereit. Dieses Datum wurde, da Jahrestag des Beginns der Intifada, von arabischer Seite als Provokation zurückgewiesen. Ergebnis: Die arabischen Delegationen demonstrierten vom 4. Dezember an Präsenz in leeren Verhandlungsräumen, während Israels Vertreter auf sich warten ließen. Vom 10. Dezember an wurde dann mehr als eine Woche lang "verhandelt".
Soweit informiert wurde, ging es in den Gesprächen zwischen Israelis einerseits, Syrern und Libanesen andererseits im Wesentlichen nur um die hochinteressante Frage, an welchem Ort man sich beim nächsten Mal treffen würde. Selbst eine scheinbar so banale Frage wie die genaue Termingestaltung bot Gelegenheit zu zeitraubenden Disputen. Die israelische Regierung hat für die bilateralen Verhandlungen drei verschiedene Delegationen gebildet, um zu zeigen, daß es sich wirklich nicht um eine internationale Konferenz, sondern um säuberlich voneinander getrennte Verhandlungen handelt. Um das noch stärker zu unterstreichen, legte die israelische Seite Wert darauf, die drei Gespräche nicht gleichzeitig beginnen zu lassen. In dieser Frage gab es schließlich ein großes israelisches Zugeständnis. Ebenso verzichtete Israel auf seine Forderung, die Verhandlungsräume dürften nicht im gleichen Stockwerk liegen. Ernsthafte Schwierigkeiten bereitete übrigens auch die Frage, wer durch welche Tür eintreten durfte oder sollte.
Durchbruch im Korridor
Der interessanteste Teil der Gesprächsrunde im Dezember waren aber zweifellos die Treffen mit der palästinensisch-jordanischen Delegationsleitung im Korridor. Dabei ging es um das Interesse der Palästinenser, nachträglich ihren Status aufzubessern, nämlich auch als eigene Delegation, ohne die Jordanier, mit den Israelis sprechen zu dürfen. Die israelische Seite wollte zwar eine Kompromißregelung für die Behandlung bestimmter Einzelthemen akzeptieren, bestand aber darauf, daß die Palästinenser zuerst einmal als Teil der gemeinsamen Delegation den Verhandlungsraum betreten müßten. Als positives Hauptergebnis einer Woche im Korridor konnte immerhin die Einigung verbucht werden, die Gespräche Anfang Januar fortzusetzen, und zwar wieder in Washington.
Pünktlich zum festgelegten Datum sorgte Israel für neue Probleme, indem es die Ausweisung von zwölf Palästinensern aus den besetzten Gebieten bekanntgab. Die Zwölf sind namhafte Organisationsfunktionäre und waren offenbar von den israelischen Behörden mit Bedacht aus sämtlichen Teilen des politischen Spektrums zusammengestellt worden: Fünf von der PFLP, vier von der Fatah, zwei von der islamisch-fundamentalistischen Hamas, und einer von der DFLP. (Al Fajr, 6.1.92) Begründet wurde der Ausweisungsbeschluß mit der Behauptung, diese Zwölf seien verantwortlich für zunehmende Mordanschläge auf jüdische Siedler.
Jetzt kehrte sich die Situation vom Dezember um: Die Israelis saßen zum festgelegten Termin allein in den Räumen, während die arabischen Delegationen auf sich warten ließen. Allzu ernst gemeint war dieses Zeichens des Protests aber offenbar nicht. Denn nachdem einige Tage später der UN-Sicherheitsrat mit Zustimmung der USA die Ausweisung "verurteilt" hatte, was Israel wie üblich ignorierte, erschienen auch die arabischen Vertreter in Washington. Nun blieben aber, da die israelische Delegation darauf beharrte, am festgelegten Datum abzureisen, nur noch drei Tage für die Gespräche.
Hauptergebnis dieser Runde war trotzdem ein "Durchbruch" in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen: Es können nun Unterausschüsse zu einzelnen Themen gebildet werden, bei denen sich auf der einen Seite elf Israelis und auf der anderen neun Palästinenser plus zwei Jordanier gegenübersitzen sollen. Aus israelischer Sicht bleibt damit gewährleistet, daß es sich immer noch um eine gemischte Delegation handelt. Die Palästinenser hingegen können es so darstellen, daß die zwei jordanischen Aufpasser nur symbolische Bedeutung haben und daß sie nun de facto als eigenständige Delegation anerkannt sind.
Vereinbart wurde außerdem "im Prinzip", daß die bilateralen Gespräche im Februar fortgesetzt werden sollen. Offen ist aber noch das genaue Datum sowie die heiß umstrittene Frage des Ortes.
Eine andere Verhandlungsrunde fand Ende Januar in Moskau statt. Dabei handelte es sich um die erste einer Reihe von beabsichtigten "Regionalkonferenzen", die unabhängig von den anderen Verhandlungen verlaufen sollen. Es geht dabei um allgemeine Probleme des Nahen Ostens, nämlich die Einzelpunkte Rüstungskontrolle und Sicherheit, Wasserversorgung, Umwelt, wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie - gegen anfängliches Sträuben Israels auf die Tagesordnung gesetzt - Flüchtlinge. Zu diesen fünf Themenbereichen wurde in Moskau die Bildung von Arbeitsgruppen vereinbart. Sie sollen voraussichtlich im April oder Mai in unterschiedlichen Städten tagen. Über Umweltfragen soll beispielsweise in Tokio gesprochen werden, während Brüssel als Schauplatz für Wirtschaftsgespräche unter Obhut der EG vorgesehen ist.
"Frieden gegen Frieden"
Israel scheint die Verhandlungen bisher mit zwei Zielen zu führen: Erstens an Formalstreitigkeiten Zeit zu gewinnen, um in den besetzten Gebieten verstärkt demographische Tatsachen zugunsten der jüdischen Besiedlung zu schaffen. Zweitens mittelfristig mit einzelnen arabischen Staaten zu separaten Regelungen zu kommen und radikalere Kräfte - vor allem die Palästinenser, daneben vermutlich auch Syrien - zu isolieren. Vorbild ist dabei der Friedensvertrag mit Ägypten von 1978/79.
Ein wesentlicher Unterschied zur damaligen Situation besteht allerdings darin, daß Israel mit der Rückgabe der Sinai-Halbinsel einen realen Preis anzubieten hatte. Die jetzigen Verhandlungen sind zwar von amerikanischer Seite auch unter das Motto "Land gegen Frieden" gestellt worden, aber die israelische Regierung hat dieses Prinzip ausdrücklich nicht akzeptiert. Schamir hat sich im Gegenteil von vornherein darauf festgelegt, daß kein einziger Quadratkilometer besetztes Gebiet geräumt werden wird. Neben die seit langem bekannten Argumente - erstens das in der Bibel begründete Recht auf das "ganze Land Israel", zweitens die militärische Sicherheit - ist inzwischen ein weiteres getreten: Israel brauche die neuen Gebiete, da sonst die Masseneinwanderung von Juden aus der Sowjetunion nicht zu bewältigen sei. (Schamir lt. "Frankfurter Rundschau" vom 18.11.91)
Gemäß dieser Logik hat Israel nur "Frieden gegen Frieden " anzubieten. Nämlich die gegenseitigen Vorteile einer engen wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit zwischen Israel und den arabischen Staaten. In bunten Farben wird ausgemalt, wie diese teils sehr armen, allesamt aber jedenfalls ganz rückständigen Länder dank der Hilfe der weit überlegenen israelischen Technologie und Organisationsfähigkeit aufblühen könnten. In erster Linie scheinen diese Visionen auf die nicht direkt am Konflikt beteiligten Staaten der arabischen Halbinsel sowie auf Ägypten abzuzielen.
Das israelische Kalkül, die arabischen Kräfte entlang unterschiedlicher Interessen aufzuspalten, könnte auch diesmal aufgehen. Bisher jedenfalls haben die arabischen Staaten und die PLO es nicht einmal vermocht, sich auf eine gemeinsame Verhandlungsstrategie zu verständigen. In der Praxis sind sie bereits gespalten, wie das Fernbleiben Syriens und Libanons von der Moskauer "Regionalkonferenz" Ende Januar zeigte. Die syrische Regierung erklärte, daß sie sich an diesem Teil der Gespräche nur beteiligen würde, wenn Israel zuvor Bereitschaft zur Rückgabe der besetzten Gebiete erkennen läßt. Zur Unterstützung mobilisiert sie nun wieder stärker die von ihr abhängigen verbal-maximalistischen Palästinenserorganisationen, um gegen die "Verratspolitik" der PLO zu protestieren.
Diese Entwicklung hatte sich schon während der Konferenz in Madrid im letzten Jahr angedeutet. Die syrische Delegation hatte sich anfangs geweigert, sich mit den Israelis zum bilateralen Teil der Konferenz zusammenzusetzen. Als Begründung wurde gesagt, es stehe von vornherein fest, daß Israel über eine Rückgabe der besetzten Gebiete nicht verhandeln wolle. Israel sei nur an einem Friedensschluß interessiert, der seine Kriegseroberungen international legitimiert. - Die libanesische Delegation hatte die Gesprächsaufnahme in Madrid ebenfalls abgelehnt, weil die israelische Luftwaffe als "Begleitmusik" zum Verhandlungsbeginn gerade wieder einmal Ziele im Südlibanon bombardierte. - Beide Delegationen nahmen nur unter amerikanischem Druck schließlich doch noch im Verhandlungsraum Platz.
Eine Zwischenstellung nehmen die Palästinenser ein. Auch sie beteiligten sich nicht an der "Regionalkonferenz" in Moskau. Dies jedoch - nach kontroverser Debatte in der PLO-Führung - nicht mit grundsätzlichen Argumenten. Offiziell hatte die PLO sich schließlich dazu durchgerungen, eine Teilnahme zu befürworten. Knackpunkt wurde jedoch die Zusammensetzung der palästinensischen Delegation: für sie waren mehrheitlich Personen nominiert worden, die aus Jerusalem stammen oder die außerhalb von Israel/Palästina leben. Real geht es vor allem darum, Politiker wie Hanan Aschrawi, Faisal Husseini und Sari Nusseibeh, die derzeit als externe "Beratungsgruppe" praktisch sowieso schon die Verhandlungsleitung innehaben, auch als offizielle Delegierte akzeptieren zu lassen. Damit soll zugleich demonstriert werden, daß die Delegation wirklich alle Palästinenser repräsentiert, und nicht nur jenes Drittel von ihnen, das in den besetzten Gebieten lebt.
Israel hatte vor der Madrider Konferenz darauf bestanden, mit Palästinensern aus Jerusalem oder aus der "Diaspora" auf gar keinen Fall zu verhandeln. Diese Haltung war von den USA unterstützt worden. Die PLO hatte sich auf diese an sich diskriminierende Vorbedingung - und auf etliche weitere - eingelassen. Im Hintergrund stand die Hoffnung, im Verlauf der Verhandlungen schrittweise bessere Konditionen durchsetzen zu können. In Moskau scheiterte das schon am Widerspruch der Konferenz-Schirmherren USA und Rußland, ohne daß die israelischen Vertreter selbst Stellung nehmen mußten. Daraufhin erklärten die Palästinenser ihre Nichtteilnahme. Es bleibt abzuwarten, ob dies nur ein geplatzter Testballon der PLO war oder ob sie es in Zukunft auch bei den bilateralen Gesprächen "drauf ankommen lassen" will.
PLO: Viel erreicht, nichts erreicht?
Es ließe sich plausibel argumentieren, daß die Palästinenser auf der formalen Ebene eigentlich eine ganze Menge erreicht haben, wenn man die israelischen Ausgangspositionen dagegen hält. In der internationalen Öffentlichkeit wird zur Kenntnis genommen, daß die PLO-Führung die palästinensischen Delegierten nominiert hat, daß sie während der Verhandlungen in permanenter Kommunikation mit der Delegationsleitung steht, daß sie die Verhandlungslinie festgelegt hat und daß sie vor jeder noch so geringfügigen Entscheidung zu Rate gezogen wird. De facto verhandeln die Israelis also mit der PLO, obwohl sie das offiziell nach wie vor schärfstens ablehnen.
Andererseits gibt es aber auf palästinensischer Seite Einwände, man habe sich viel zu sehr den diskriminierenden Forderungen Israels unterworfen. Auch diese Position läßt sich plausibel begründen. Es sei daran erinnert, daß der Nationalrat - das palästinensische Exilparlament - auf seinem Treffen Ende September 1991 zwar die endgültige Entscheidung über die Teilnahme an den Verhandlungen an den Zentralrat delegierte, aber zugleich einige Bedingungen formulierte. Dazu gehörte ausdrücklich "das Recht der PLO als einzig legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes, die palästinensische Delegation aus Persönlichkeiten von innerhalb und außerhalb der Heimat - einschließlich Jerusalem - zu bilden". Außerdem wurde als "unverzichtbare Notwendigkeit für den Beginn des Friedensprozesses" gefordert, die Besiedlung der besetzten Gebiete, einschließlich (Ost-) Jerusalems, einzustellen. "Es müssen auch internationale Garantien für die Beendigung der Besiedlung gegeben werden." (Palästina Bulletin, 11.10.91)
Im Zentralrat der PLO fiel schließlich die Entscheidung zur Teilnahme an der Madrider Konferenz erst zwölf Tage vor deren Beginn, nach langer kontroverser Debatte und nur mit der minimalen Mehrheit von 16 gegen 15 Stimmen. Arafat teilte diesen Beschluß in einem einzigen dürren Satz mit. (Palästina Bulletin, 25.10.91) Eine entsprechende Resolution mit politischer Begründung wurde entweder nicht beschlossen oder jedenfalls nicht veröffentlicht. Das kann als Indiz dafür interpretiert werden, daß es auch unter den Verhandlungs-Befürwortern keinen inhaltlichen Konsens gibt. So heißt es beispielsweise, daß einige Fatah-Vertreter zunächst dafür waren, eine Teilnahme von mehreren Essentials abhängig zu machen, entsprechend dem Beschluß des Nationalrats; am Ende hätten sie sich dann der "Disziplin" unterworfen und mit der Mehrheit gestimmt. (Interview mit Abdel Latif Gheith, News from Within, 5.12.91)
Aus dem knappen Abstimmungsergebnis läßt sich die Vermutung herleiten, daß die palästinensische Delegation auch PLO-intern unter erheblichem Erfolgsdruck steht. Von ihr wird erwartet, sich permanent und nachdrücklich für eine Aufwertung ihres Status und für einen sofortigen Siedlungsstopp, möglichst noch vor Beginn substantieller Verhandlungen, einzusetzen.
Die ersten Reaktionen auf die Madrider Konferenz in den besetzten Gebieten waren zwar von enthusiastischer Zustimmung geprägt, was sich in jubelnden Empfängen für die heimkehrenden Delegierten ausdrückte. Grund dafür war wohl vor allem die spontane Genugtuung, sich endlich einmal auf internationaler Ebene als gleichwertige und beachtete Partner präsentiert zu sehen - ein Erlebnis, das es seit dem Auftreten Arafats in der UNO-Vollversammlung 1974 nicht mehr gegeben hatte.
Dieser Anfangsbonus scheint aber auf Dauer nicht tragfähig genug zu sein. Das Erfolgserlebnis ist konsumiert, das Gestern noch Sensationelle wurde zum Gewöhnlichen, und das Interesse wendet sich inzwischen mehr der Frage zu, was bei diesen Gesprächen eigentlich konkret passiert, wo ihre Möglichkeiten und Aussichten liegen. Kritiker der Verhandlungen argumentieren, daß diese nicht nur eine PR-Tätigkeit ohne praktischen Nutzen seien, sondern daß sich die Lage in den besetzten Gebieten tatsächlich immer mehr verschlechtere. Statistisches Material, wie es u.a. auch von israelischen Oppositionskreisen veröffentlicht wurde, belegt, daß in den letzten Monaten der Bau neuer Wohnungen und Siedlungen in beispielloser Weise vervielfacht wurde. Die "Gefahren", die sich vielleicht doch aus dem begonnenen Verhandlungsprozeß ergeben könnten, werden offenbar von der israelischen Regierung als Ansporn interpretiert, sich mit dem Schaffen vollendeter Tatsachen zu beeilen.
Formal wohl nicht zu Unrecht weisen Kritiker der Verhandlungen auch auf die Beschlußlage der Nationalratstagung im letzten September hin, die wörtlich genommen beim Stand der Dinge eine palästinensische Beteiligung ausschließen müßte. Überdies können die Kritiker sogar mit einer ziemlich radikalen Rede argumentieren, die der PLO-Vorsitzende Arafat wenige Wochen vor der Nationalratstagung gehalten hatte. Die amerikanischen Vorschläge, so Arafat damals, enthielten mehrere "extrem gefährliche" Elemente. Dazu gehöre, daß nicht über Jerusalem verhandelt werden solle und daß keine Palästinenser aus Jerusalem delegiert werden dürften. Wenn man sich diesen Forderungen unterwürfe, akzeptiere man den "israelischen Erpressungsversuch", akzeptiere man "die Annexion und die Israelisierung der Stadt". Im Grunde gehe es der amerikanischen Regierung vor allem darum, eine zwischenstaatliche "Normalisierung der arabisch-israelischen Beziehungen" auf den Weg zu bringen, auf Kosten der Palästinenser. Eine palästinensische Teilnahme an den Verhandlungen sei nur erwünscht, um diesem zentralen Ziel "Rückendeckung" zu verschaffen. "... Unser Volk wird in ein Labyrinth von Verhandlungen verstrickt, an denen wir nicht gleichberechtigt teilnehmen dürfen, und die zu einer sogenannten Selbstverwaltung führen sollen." Diese würde in der Praxis aber nur "auf eine Legitimierung der Besetzung" hinauslaufen. (Palästina Bulletin, 13.9.91)
Jetzt eine Denkpause?
Für eine Beteiligung an den Verhandlungen spricht, so gesehen, eigentlich keine Erwartung auf positive praktische Ergebnisse, sondern nur das realpolitische Argument, daß sich alle radikalen Parolen erschöpft haben und daß wohl auch die Intifada am Ende ihrer Wirkungsmöglichkeiten angekommen ist oder einem solchen Punkt jedenfalls recht nahe ist. Ein Rückzug aus den Verhandlungen könnte den Palästinensern keinerlei Vorteil bringen, würde ihnen aber vermutlich international beträchtlich schaden und der israelischen Seite wertvolle Argumente liefern, beispielsweise beim Einwerben neuer Finanzhilfen aus den USA.
Es bleibt die Tatsache, daß die PLO sich in diesem Stadium der Verhandlungen auf einen Konflikt um die Zusammensetzung ihrer Delegation eingelassen hat. Dieser Streit ist noch keineswegs ausgestanden. Wie wird er sich künftig entwickeln? Einige PLO-Politiker scheinen zu hoffen, daß sich Israel mit Hilfe amerikanischen Drucks zu einem intern vertretbaren Kompromiß bewegen läßt. Eine andere hypothetische Möglichkeit wäre, daß die palästinensische Seite ihren Anspruch erst einmal fallen läßt und vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt erneut vorträgt. Das würde aber vermutlich die ohnehin schon vorhandene Kritik beträchtlich verstärken. Eine dritte Variante wäre, an dieser Frage den Ausstieg aus den Verhandlungen in Kauf zu nehmen und den "Schwarzen Peter" in der Hand zu behalten.
So scheint einiges für die von manchen Kräften vorgeschlagene "Denkpause" zu sprechen: Bilanzierung der bisherigen Gespräche, Überprüfung der Einschätzungen und Beschlüsse, neue Beschlußfassung. Eine außerordentliche Einberufung des Nationalrats wäre dafür ein passendes Forum, denn die PLO-Führung braucht für ihre nächsten Schritte auf jeden Fall ein erneuertes demokratisches Mandat und eine breite Unterstützungsbasis.
Knut Mellenthin
analyse & kritik, 10. Februar 1992