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Streit ums Öl
Die kurdische Regionalregierung im Norden Iraks treibt mit eigenen Verkäufen ihre Unabhängigkeit voran.
Der Streit um die Kontrolle über die Ölvorkommen im Nordirak spitzt sich zu. Premier Nuri al-Maliki hat der kurdischen Regionalregierung am Sonntag gedroht, ihren Anteil am Staatshaushalt zu kürzen, wenn sie weiter ohne Zusammenarbeit mit Bagdad Öl in die Türkei liefert.
Seit dem Sturz Saddam Husseins durch die US-Intervention im März 2003 ist die Verteilung der irakischen Ressourcen, vor allem der Erdöl- und Erdgas-Vorkommen, nicht endgültig rechtlich geregelt. Die von Washington immer wieder dringend vorgetragene Forderung nach der Verabschiedung eines Gesetzes zu diesem Thema blieb bis heute unerfüllt. Immerhin gibt es inzwischen eine Vereinbarung, dass Kurdistan, wo ungefähr ein Viertel der Reserven liegen könnte, 17 Prozent der staatlichen Einnahmen aus der Ausfuhr dieser Rohstoffe erhalten soll. Im Gegenzug hat die kurdische Regionalregierung in Arbil eingewilligt, ihren Export ausschließlich über den zentralstaatlichen Apparat abzuwickeln.
In der Praxis hat das noch nie reibungslos und vollständig funktioniert. Zum einen gibt es immer wieder Streit um den Preis und die Details der Lieferverträge mit ausländischen Ölkonzernen. Darüber hinaus haben die Kurden Abkommen mit mehreren Firmen geschlossen, durch die diesen die Erforschung und Entwicklung von Erdöl- und Gasvorkommen ermöglicht wurde. Darunter sind Exxon Mobil, die eigens zu diesem Zweck gegründete staatliche Turkish Energy Company und angeblich auch die russische Gazprom. Die ausländischen Geschäftspartner wollen selbstverständlich für ihre Investitionen irgendwann, möglichst in nicht allzu ferner Zukunft, auch Profite sehen. Schon seit einiger Zeit verkauft Irakisch-Kurdistan unkontrolliert Erdöl, das mit Tankwagen in die Türkei transportiert wird – in einer nicht sehr bedeutenden Größenordnung von etwa 40.000 Barrel pro Tag. Andererseits haben die Kurden schon seit Dezember 2012 kaum noch Öl an das zentrale irakische Verteilernetz geliefert.
Am vorigen Mittwoch gab die Regionalregierung bekannt, dass erstmals eine große Menge Erdöl durch eine neu gebaute, von Bagdad nicht kontrollierte Pipeline in die Türkei geflossen sei. Die Leitung führt zum Mittelmeerhafen Ceyhan, wo auch eine aus Aserbaidschan kommende, durch Georgien verlaufende Pipeline endet. Empfänger ist, offiziellen Angaben der Beteiligten an dem Deal zufolge, nicht die Türkei, sondern das in Ceyhan zwischengelagerte Öl aus dem Nordirak soll dieser Tage ausländischen Unternehmen zum Kauf angeboten werden.
Der Umfang der ersten Lieferung wird mit zwei Millionen Barrel angegeben. Das entspricht dem irakischen Exportvolumen an einem einzigen schlechten Tag. Die kurdische Regionalregierung will, Presseberichten zufolge, dauerhaft zunächst 300.000, später 400.000 und schließlich eine Million Barrel pro Tag nach Ceyhan pumpen lassen. Zum Vergleich: Das ist ungefähr die derzeitige Exportmenge Irans, die aufgrund der US-Sanktionen stark reduziert ist. Vor drei Jahren führte Iran etwa 2,5 Millionen Barrel pro Tag aus.
Die Ankündigung aus Arbil kam nicht überraschend: Schon Ende November 2013 war der Abschluss eines entsprechenden Vertrags zwischen der Regionalregierung und der Türkei bekanntgeworden und hatte zu intensiven, teilweise auch heftigen diplomatischen Aktivitäten zwischen Bagdad und Ankara geführt. Die türkische Regierung behauptet bisher, dass sie in Ceyhan keine Geschäfte zulassen werde, die nicht mit dem Irak abgestimmt sind. Das entspricht auch der offiziellen Haltung Washingtons. Wie weit das ehrlich gemeint ist und ob es dabei bleibt, muss sich zeigen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 15. Januar 2014