KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Russische Vergeltungsschläge?

Wie würde Russland reagieren, wenn die USA – wozu Präsident Barack Obama fest entschlossen scheint – in den nächsten Tagen Syrien militärisch angreifen? Außenminister Sergeij Lawrow warf den USA auf einer Pressekonferenz am 26. August „Kanonenbootdiplomatie“ vor, betonte aber auch absolut eindeutig: „Krieg führen, das wollen wir gegen niemand.“ Im Gegenteil: „Wir wollen auf jeden Fall vermeiden, dass es zu einem 'Krieg der Zivilisationen' kommt. Wir sind für den Dialog, die Allianz der Zivilisationen.“

Im Widerspruch dazu stehen Gerüchte und Vermutungen, dass Russland zu militärischen Maßnahmen greifen könnte, falls die US-Administration ihre Ankündigungen wahr macht, und dass dann vielleicht sogar ein größerer militärischer Konflikt drohen könnte. In manchen oberflächlichen Betrachtungen fällt sogar der Begriff „3. Weltkrieg“.

In den vergangenen Tagen wurde im Internet nicht etwa nur als Gerücht, sondern als angeblich sichere Tatsache verbreitet, dass das Büro des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Mittwoch den Streitkräften den Befehl übermittelt habe, im Fall einer westlichen Aggression gegen Syrien mit einem „massiven Militärschlag“ gegen Saudi-Arabien zu reagieren. Falschmeldungen dieser Art entwickeln aufgrund der heutigen Kommunikationstechnologie in rasendem Tempo eine Eigendynamik, weil manche an sich seriösen und rationalen Personen und Gruppen nichts dabei finden, sie ungeprüft weiterzugeben und sich damit, scharf gesagt, zu nützlichen Idioten von Desinformationszentren zu machen.

Die eben erwähnte „Ente“ lässt sich leicht zum Internet-Portal EU-Times zurückverfolgen. Dieses beschäftigt sich, warum und in wessen Dienst auch immer, fast ausschließlich mit der Produktion von Lügen. Auffallend oft geht es dabei um angebliche russische Absichten, sich gegen Provokationen und Zumutungen des Westens mit militärischen Mitteln zur Wehr zu setzen.

Russen, die mit diesen Desinformationen vertraut sind, versichern, wenn sie danach gefragt werden, immer wieder, dass Allen, wirklich Allen Richtungen des politischen Spektrums in ihrem Land solche Überlegungen so fern liegen, dass darüber nicht einmal diskutiert wird. Russland kann und will sich mit dem Westen nicht militärisch konfrontieren – auf keinen Fall unter den gegenwärtigen Voraussetzungen. Dass Russland künftig vor der Notwendigkeit stehen könnte, eigene „rote Linien“ zu formulieren und gegebenenfalls auch zu verteidigen, ist eine langfristig zu behandelnde Frage, aber keine aktuelle.

Seinen „Flottenstützpunkt“ im syrischen Tartus, von dem in diesem Zusammenhang oft die Rede ist, hat Russland schon im Juni praktisch geschlossen, indem es sein gesamtes Personal von dort abzog. Ein Stützpunkt im westlichen Sinn war Tartus ohnehin nicht. Russische Kriegsschiffe können ihn zur Aufnahme von Proviant und Treibstoff oder auch für Reparaturen anlaufen, aber mehr nicht. Russland spricht offiziell von einem „Materiell-Technischen Unterstützungspunkt“. Russische Kriegsschiffe, die erstmals seit dem Ende der Sowjetunion wieder in größerer Zahl regelmäßig das Mittelmeer befahren, könnten im Fall eines militärischen Konflikts mit dem Westen in keinem Küstenland – abgesehen von Syrien – landen. Zudem hat Russland keine Kampfflugzeuge in der Region. Das bedeutet: Diese Flotte ist ein politisches Symbol, aber kein militärisches Instrument. 

Das heißt selbstverständlich nicht, dass Russland nach einem eventuellen Überfall auf Syrien so tun würde, als wäre nichts geschehen. In diesem Sinn muss man den Kommentator Jewgenij Schestakow verstehen, der oft die Sichtweise des Außenministeriums wiedergibt und der am Freitag in der Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta schrieb: "Russland wird sich nicht direkt in den syrischen Konflikt einmischen. Dass es nicht einverstanden ist mit der Position des Westens, wird es auch weiterhin auf diplomatischem Wege äußern. Jedoch wird das offene Ignorieren der Position Moskaus durch eine Reihe europäischer Hauptstädte und Washington gewiss nicht der Zusammenarbeit im Rahmen der UNO dienen, was andere für den Westen wichtige Probleme angeht. Etwa bei für unsere Partner so wichtigen Fragen wie Waffenlieferungen an dritte Länder oder dem iranischen Atomprogramm. Je demonstrativer Washington die russische Position gegenüber Syrien nicht berücksichtigt, desto weniger wird das Weiße Haus die Möglichkeit haben, sich mit dem Kreml über irgend etwas zu verständigen."

Knut Mellenthin

Junge Welt, 31. August 2013