KNUT MELLENTHIN

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Remilitarisierte Zone

Ägyptens Militärregime führt mit Zustimmung Israels Bürgerkrieg auf der Sinai-Halbinsel

Die ägyptischen Streitkräfte haben am Freitag eine Militäroperation im Nordosten der Sinai-Halbinsel begonnen. Ziel des Truppeneinsatzes im Küstengebiet zwischen El-Arisch und Rafa am Gaza-Streifen sind nach offiziellen Angaben „Al-Qaida-Zellen“ und „Kriminelle“. Bei fünf Zusammenstößen und Razzien sollen am Montag zehn „Verdächtige“ und sechs „gesuchte Verbrecher“ festgenommen worden sein. Ein Mann sei getötet worden. Nach Augenzeugenberichten sind neben anderen Armeefahrzeugen auch Panzer beteiligt. Der Umfang der für die „Operation Adler“ eingesetzten Kräfte wurde bisher nicht bekannt gegeben.

Aufgrund des 1979 abgeschlossenen Friedensvertrags mit Israel darf Ägypten in diesem Teil der Sinai-Halbinsel, der sogenannten Zone C, nur zivile Polizei unterhalten. Die entmilitarisierte Zone erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung vom Mittelmeer bis nach Scharm El-Scheikh am Roten Meer. Die ägyptischen Streitkräfte dürfe in diesem Gebiet nur mit Zustimmung Israels operieren. Diese Genehmigung liegt Presseberichten zufolge vor. Israel soll das Kairoer Militärregime sogar zu einem härteren Vorgehen gegen die „Extremisten“ gedrängt haben. Schon im Februar hatte es in Absprache und angeblich auch in Zusammenarbeit mit Israel ähnliche Aktionen der ägyptischen Armee in der Zone C gegeben.

Bei den „Extremisten“ handelt es sich um Beduinen, die auf der Sinai-Halbinsel leben und ihr Einkommen zum Teil aus dem Warenschmuggel beziehen. Angeblich sollen aber auch Palästinenser und sogar islamistische Kämpfer aus anderen arabischen Ländern beteiligt sein. Israel verdächtigt diese Kräfte zum einen, dass sie bei der Versorgung des blockierten Gaza-Gebiets helfen und unter anderem auch Waffen dorthin schaffen. Darüber sollen sie aber auch Angriffe auf die Pipeline verübt haben, durch die Erdgas aus Ägypten nach Israel gepumpt wird. In den vergangenen Monaten soll es mindestens fünf Anschläge auf die Leitung gegeben haben, die zum Teil zu Unterbrechungen der Versorgung führten. Israel erhält auf diesem Weg normalerweise etwa 40 Prozent seines Erdgas-Bedarfs.

Nach israelischen Presseberichten herrscht im entmilitarisierten Teil des Sinai seit dem Sturz Mubaraks „Anarchie“. Angeblich hat sich die Polizei nach einer Serie von Attacken auf ihre Stationen ganz aus der Zone C zurückgezogen. Die rechte Tageszeitung Jerusalem Post behauptete schon Ende Februar, dass der Iran dabei, auf der Halbinsel eine „neue Infrastruktur aufzubauen“, „die dazu benutzt werden kann, moderne Waffen in großen Mengen in den Gaza-Streifen zu schmuggeln“. Die israelische Regierung fürchte darüber hinaus, dass Hamas den Sinai zum Ausgangspunkt für Raketenangriffe gegen Israel machen wolle.

Hintergrund der damaligen Berichte war, dass Ägypten mit israelischer Zustimmung 1000 Soldaten nach Scharm el-Scheikh und Rafa geschickt hatte. Angeblich handelte es sich um den ersten derartigen Einsatz seit Abschluss des Friedensvertrages 1979.

Im Mai warnte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, dass Ägypten dabei sei, die Kontrolle über den Sinai an „internationale Terrororganisationen“ zu verlieren. Hamas habe wegen der Unruhen in Syrien begonnen, Kräfte von dort nach Ägypten und insbesondere auf den Sinai zu verlegen. Zur gleichen Zeit phantasierten anonyme ägyptische Quellen, die anscheinend dem Militärregime nahe standen, dass auf der Halbinsel 400 „Al-Qaida-Mitglieder“ aktiv seien.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 17. August 2011