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Neue Drohungen der USA gegen Syrien
Nach Iran gerät nun auch Syrien verstärkt unter Druck. Im Unterausschuss des amerikanischen Abgeordnetenhauses für den Nahen Osten und Mittelasien fand am Dienstag und Mittwoch (16./17. September) eine Anhörung zum Thema "Syrien : Auswirkungen auf die Sicherheit der USA und die regionale Stabilität" statt. Das soll voraussichtlich den Weg zur Verabschiedung des Syria Accountability and Lebanese Sovereignty Restoration Act öffnen, der schon jetzt von der Mehrheit der Abgeordneten und Senatoren unterstützt wird.
Das Gesetz wird Syrien mit einem umfangreichen Forderungskatalog konfrontieren:
- Syrien muss "sofort und bedingungslos" seine Unterstützung für den Terrorismus einstellen und die Büros der schiitischen Hisbollah sowie der Hamas und anderer palästinensischer Organisationen schließen.
- Syrien muss sofort seine Bereitschaft erklären, seine Truppen aus dem Libanon abzuziehen und dafür einen Zeitplan vorlegen. Die Syrer haben aufgrund eines Abkommens mit der Beiruter Regierung etwa 20.000 Mann im Libanon stationiert.
- Syrien muss die Entwicklung und Aufstellung von Kurz- und Mittelstreckenraketen einstellen. - Kein Irrtum: Syrien soll nicht einmal Kurzstreckenraketen besitzen dürfen, die sogar dem Irak nach dem ersten Krieg 1991 noch erlaubt worden waren - mit der Begründung, dass diese Raketen von Syrien aus Israel treffen könnten.
- Syrien muss die Entwicklung und Produktion biologischer und chemischer Waffen einstellen. Dass es tatsächlich solche Waffen besitzt oder anstrebt, ist bisher nicht bewiesen worden.
Das angestrebte Gesetz würde die US-Regierung verpflichten, Damaskus bei Nichterfüllung dieser Forderungen als "feindliches Regime" zu behandeln, was letztlich einem Ermächtigungsgesetz zu Kriegshandlungen gleichkäme. Zunächst einmal aber würde das Gesetz wirtschaftliche und andere Sanktionen gegen Syrien zur Folge haben.
Die jetzt durchgeführte Anhörung sollte schon im Juli stattfinden, wurde jedoch ganz kurzfristig, ohne Angabe von Gründen und ohne neue Terminsetzung, abgesagt. Ein Grund könnte sein, dass damals in USA und international starke Zweifel an den Begründungen für den Irak-Krieg diskutiert wurden. In dieser Situation wären Äußerungen über angebliche Massenvernichtungswaffen Syriens vermutlich nicht sehr effektiv gewesen.
John Bolton, Staatssekretär im Außenministerium und notorischer Hardliner, bediente nun in der Anhörung das Thema reichlich. Nach seinen Aussagen besitzt Syrien "eine der fortgeschrittensten Chemiewaffen-Kapazitäten unter den arabischen Staaten". Unter anderem habe es einen Vorrat des Nervengases Sarin und könne diesen Kampfstoff mit Flugzeugen oder Raketen wie der Scud D einsetzen, die einen großen Teil Israels erreichen könne. Damaskus arbeite außerdem an noch wirkungsvolleren Chemiewaffen. Vermutlich wolle Syrien auch biologische Waffen entwickeln. Die US-Regierung sei außerdem besorgt über das syrische Atomprogramm.
Zusammenfassend warf Bolton Syrien vor, es baue seine Kapazitäten an Massenvernichtungswaffen aus und unterstütze nach wie vor den internationalen Terrorismus. Er schloss mit einem ursprünglich auf den Irak gemünzten Zitat von Präsident Bush: "Wir können nicht zulassen, dass die gefährlichsten Waffen der Welt in die Hände der gefährlichsten Regimes der Welt fallen."
In seinem Vortrag sprach Bolton davon, dass die USA zu diesem Zweck letztlich jedes verfügbare Mittel anwenden würden. Neben weitreichenden Wirtschaftssanktionen deutete er auch die Option an, Lieferungen an Syrien zu beschlagnahmen und zu verhindern, was auf eine harte Blockade hinauslaufen würde.
Vor Bolton hatte die Ausschussvorsitzende Ileana Ros-Lehtinen, republikanische Abgeordnete und Mitinitiatorin des Syria Accountability and Lebanese Sovereignty Restoration Act, gesprochen. Es fiel auf, dass ihre Behauptungen über angebliche syrische B- und C-Waffen sehr viel detaillierter und brisanter als die Aussagen Boltons waren. Während dieser beispielsweise nur kurz gesagt hatte, man "glaube", dass Syrien an der Entwicklung biologischer Waffen arbeite, zitierte Ros-Lethinen anonyme "Berichte", wonach Syrien bereits waffenfähige Anthrax-, Cholera- und Pocken-Erreger besitze. Sie behauptete sogar, die einzelnen Produktionsstätten zu kennen.
Teile der amerikanischen Neokonservativen drängen auf eine schnelle militärische "Lösung". Ihr Sprachrohr ist das US-Komitee für einen freien Libanon (USCFL), das auf seiner Internetseite verkündet: "Eine militärische Aktion zur Erzwingung eines Regimewechsels in Syrien und im Libanon ist unbedingt nötig, um einen dauerhaften Frieden in der Region durchzusetzen." - Im prominenten Unterstützerkreis des USCFL, dem Golden Circle, sind unter anderem der Vordenker der Neokonservativen, Richard Perle, und der demokratische Abgeordnete Eliot Engel, Mitinitiator des Syria Accountability and Lebanese Sovereignty Restoration Act, vertreten. Auch mehrere Regierungsmitglieder gehörten bis zu ihrem Amtsantritt dem Golden Circle an, unter ihnen der stellvertretende Verteidigungsminister Douglas Feith.
Knut Mellenthin
Neues Deutschland, 18. September 2003