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Israel und Palästina - ein Rückblick
Nach dem ersten Weltkrieg übertrug der Völkerbund, der Vorläufer der UNO, Palästina als Mandatsgebiet an Großbritannien, mit der Maßgabe, dort eine jüdische "Heimstätte" zu schaffen. Zwischen 1922 und 1936 wuchs der jüdische Bevölkerungsanteil im Mandatsgebiet von 86.000 (11 Prozent) auf 400.000 (30 Prozent).
Der am 29. November 1947 beschlossene UNO-Teilungsplan sah die Bildung eines jüdischen und eines arabischen Staates vor. Während nicht viel mehr als ein Drittel der Bevölkerung Palästinas Juden waren, sollte der jüdische Staat 54 Prozent des Territoriums erhalten. Als Hintergrund dieser Resolution ist zu sehen, dass nach dem Völkermord des deutschen Nationalsozialismus an den europäischen Juden der internationale Rückhalt für die Bildung eines lebensfähigen jüdischen Staates mit einem aufnahmefähigen Territorium sehr groß war.
Der UNO-Teilungsplan von 1947 bedeutete aber auch, dass zahlreiche Dörfer und mehrere Städte mit ausschließlich arabischer Bevölkerung (insgesamt rund 500.000 Menschen) gegen ihren Willen dem Staat Israel zugeschlagen werden sollten. Das war voraussehbar ohne militärische Gewalt nicht zu verwirklichen.
Ein unrealistischer Teilungsplan führte zum ersten israelisch-arabischen Krieg
Problematisch an dem UNO-Vorschlag war auch, dass jeder der beiden Staaten aus drei voneinander getrennten bzw. nur durch enge Korridore miteinander verbundenen Teilgebieten bestehen sollte. Angesichts der Tatsache, dass die Feindseligkeit zwischen beiden Bevölkerungsgruppen sehr hoch war - gerade damit begründete die UNO ihren Teilungsbeschluss! - waren mit dieser Landkarte Konflikte programmiert.
Nicht nur die arabische Seite lehnte den UNO-Teilungsplan ab. Auch die von den späteren israelischen Regierungschefs Begin und Schamir geführten rechten Milizen Irgun und Lehi erklärten, der Vorschlag sei illegal und für das jüdische Volk nicht bindend. Als unmittelbare Reaktion auf die UNO-Teilungsresolution verschärfte sich die bewaffnete Konfrontation zwischen den Bevölkerungsgruppen. Anfang April 1948 begannen die zionistischen Milizen eine koordinierte Großoffensive gegen die überwiegend arabisch besiedelten Gebiete. In wenigen Wochen erreichten sie fast vollständig die im Teilungsplan vorgesehenen Linien. Eine Massenflucht der arabischen Bevölkerung setzte ein, besonders nachdem das von den rechtszionistischen Milizen begangene Massaker im Dorf Deir Jasin bekannt wurde.
Als am 14. Mai 1948 das britische Mandat endete und der Staat Israel offiziell proklamiert wurde, griffen die arabischen Nachbarstaaten, insbesondere Jordanien und Ägypten, in die Kämpfe ein. Entgegen immer noch verbreiteten falschen Darstellungen - Israel habe gegen eine 25-fache Übermacht um seine nackte Existenz kämpfen müssen - setzten die arabischen Staaten zu keiner Zeit mehr als insgesamt 50.000 Soldaten ein. Das waren weniger, als Israel selbst zu dieser Zeit mobilisieren konnte. Die arabische Intervention stellte für die Streitkräfte des jungen Staates kein wirkliches militärisches Problem dar.
Als Ergebnis des Krieges von 1948/49 vergrößerte Israel sein Territorium gegenüber dem UNO-Teilungsplan um rund 50 Prozent. 600.-700.000 Araber wurden während des Krieges gewaltsam vertrieben oder flohen vor den Kampfhandlungen. Eine Rückkehr wurde ihnen nach dem Krieg von Israel verweigert. Jordanien annektierte im geheimen Einverständnis mit der israelischen Regierung das Westjordanland einschließlich Ostjerusalems, Ägypten kontrollierte den Gaza-Streifen.
Im Juni-Krieg 1967, den Israel mit einem "Präventivschlag" gegen Ägypten, Jordanien und Syrien ausgelöst hatte, besetzten israelische Truppen das Westjordanland und das Gebiet von Gaza. Erneut flüchteten mehrere hunderttausend Palästinenser in die Nachbarländer.
Im November 1967 beschloss der UNO-Sicherheitsrat die Resolution 242, die seither die Grundlage aller Friedensverhandlungen wurde. Die Hauptpunkte sind: 1. Rückzug Israels aus den Gebieten, die es im Juni-Krieg besetzt hatte. 2. Einstellung aller kriegerischen Erklärungen und Handlungen. Anerkennung und Respektierung der Souveränität und Integrität aller Staaten der Region. 3. "Eine gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems".
Resolution 242 spricht also nicht von der Gründung eines palästinensischen Staates - die sich nur auf die Resolution 181 aus dem Jahre 1947, den UNO-Teilungsplan, berufen kann. Deshalb und wegen der Anerkennung Israels, die auch als Anerkennung aller seit 1947 geschaffenen Fakten interpretiert wurde, weigerte sich die PLO jahrelang, bis 1988, die Resolution 242 zu akzeptieren. Auf israelischer Seite lehnten der Likud und die rechten Parteien die Resolution ebenfalls ab. Die Sozialdemokraten erkannten sie zwar formal an, aber nur mit einem sinnentstellenden Trick: Weil die englische Version nur von einem "Rückzug aus besetzten Gebieten" statt von einem "Rückzug aus d e n besetzten Gebieten" spricht, stellte sich die israelische Arbeitspartei auf den Standpunkt, die Resolution 242 verlange gar nicht den Rückzug aus a l l e n besetzten Gebieten, sondern überlasse es Israel selbst, wieweit es sich zurückziehen möchte. Diese Interpretation ist aber im Kontext der Resolution eindeutig unzulässig. Denn diese besagt auch eindeutig, im Einklang mit der UNO-Charta, "dass es nicht zulässig ist, Territorium durch Krieg zu erobern".
Siedlungspolitik sollte Besetzung unumkehrbar machen
Gleich nach Ende des Juni-Kriegs begann die damals regierende sozialdemokratische Arbeitspartei mit einer systematischen Siedlungspolitik, um die Besetzung des Westjordanlands und des Gaza-Gebietes praktisch unumkehrbar zu machen. Die Siedlungen wurden strategisch so geplant, dass sie die wichtigsten Verbindungslinien kontrollierten und das von Palästinensern bewohnte Gebiet in viele Inseln aufsplitterten. Menachem Begin, dessen rechte Likud-Partei 1977 die Regierung übernahm, steigerte diese Siedlungspolitik noch weiter.
Was künftig mit den besetzten Gebieten geschehen sollte, blieb unklar. Konsens der meisten israelischen Parteien war und ist, sie nicht in das Staatsgebiet zu integrieren, da man den Palästinensern sonst auf Dauer nicht die Bürgerrechte verweigern könnte. Das aber würde die klare jüdische Bevölkerungsmehrheit und Prägung Israels gefährden. Konsens war zweitens, keinen palästinensischen Staat zuzulassen. Während die rechte Likud-Partei und die mit ihr verbündeten Religiösen "keinen Quadratmeter" der besetzten Gebiete jemals wieder räumen wollten, waren die Sozialdemokraten immerhin bereit, über die Übergabe von Teilen des Westjordanlands an Jordanien zu verhandeln.
Erst mit der im Dezember 1987 begonnenen Aufstandsbewegung, der Intifada, begann sich die politische Situation der Palästinenser zu verbessern. Ein knappes Jahr später, Mitte November 1988, beschloss der Nationalrat, das palästinensische Parlament, die Gründung eines eigenen Staates. Mit deutlicher Mehrheit akzeptierte das Gremium die bis dahin umstrittene UNO-Resolution 242 , die die Anerkennung des Existenzrechts Israels einschließt. Damit war von palästinensischer Seite der Weg zu gleichberechtigten Verhandlungen frei.
Aber immer noch weigerte sich Israel, direkt mit den Palästinensern zu sprechen. An der Konferenz in Madrid im November 1991, die den Auftakt einer langen Reihe von überwiegend in den USA und Norwegen geführten bilateralen Verhandlungen bildete, durften nur von Israel zugelassene Palästinenser als Teil einer jordanischen Delegation teilnehmen.
Doch danach schien es zunächst erstaunlich schnell voranzugehen. Am 9. und 10. September 1993 kam es zur gegenseitigen Anerkennung zwischen der PLO und Israel. Damit war der Weg frei zum ersten Abkommen, der Grundsatzerklärung zur palästinensischen Autonomie, das am 13. September 1993 in Washington unterzeichnet wurde. Es wird auch als Oslo-Abkommen (I) bezeichnet, weil es dort ausgehandelt wurde.
Oslo I sah die Bildung einer palästinensischen Übergangsregierung durch freie Wahlen unter internationaler Beobachtung vor. Zuvor sollten sich die israelischen Truppen schrittweise aus Allen Städten und Bevölkerungszentren des Westjordanlands und Gazas zurückziehen. Das Abkommen sollte für eine Übergangsperiode von höchstens fünf Jahren gelten und bis dahin zu einer dauerhaften Lösung auf Grundlage der UNO-Resolution 242 führen. Die zweite Etappe der Verhandlungen, über die gemeinsame Gestaltung einer endgültigen Regelung, sollte 1996 beginnen.
Die Anfangsschritte schienen erfolgsversprechend zu verlaufen. Am 13. Mai 1994 kam Jericho als erste Stadt der besetzten Gebiete unter palästinensische Verwaltung. Am 18. Mai 1994 war der Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Gaza-Gebiet abgeschlossen. Am 28. September 1995 unterzeichneten der sozialdemokratische Ministerpräsident Rabin und PLO-Chef Arafat in Washington ein neues Abkommen, das den Zeitplan für den Rückzug Israels aus sechs weiteren Städten vorgab.
Nur wenige Wochen später, am 4. November 1995, wurde Rabin von einem jüdischen Fanatiker ermordet. Die Parlamentswahlen im Mai 1996 brachten Netanyahu, den Vertreter der extremen Position innerhalb der rechten Likud-Partei, an die Regierung. Die von den Palästinensern als Provokation gewertete Öffnung eines antiken Tunnels am Tempelberg, in der Nähe der Al-Aksa-Moschee, führte zu Massenprotesten, die blutig unterdrückt wurden. Während der dreitägigen Auseinandersetzungen wurden 57 Palästinenser und 15 Israelis getötet.
Baraks "großzügiges Angebot" war eine Enttäuschung
Der Wahlsieg des Sozialdemokraten Barak im Mai 1999 veränderte das Verhandlungsklima nur geringfügig zum Positiven. Im September 1999 konnte endlich die zweite Gesprächsphase, über eine endgültige Regelung beginnen, drei Jahre später als im 1. Oslo-Abkommen vorgesehen. Inzwischen war schon die 1993 vereinbarte fünfjährige Übergangsperiode ergebnislos abgelaufen, auf die nach palästinensischen Vorstellungen eigentlich der vollständige Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten und die volle staatliche Unabhängigkeit hätten folgen sollen. Tatsächlich hatte sich die Armee zwar aus den Städten zurückgezogen, kontrollierte aber immer noch den größten Teil des Westjordanlandes. Die Autonomie-Verwaltung erstreckte sich auf kaum 20 Prozent der Gebiete, wenn auch auf über 90 Prozent der palästinensischen Bevölkerung.
Im Juli 2000 legte Barak bei den Verhandlungen in Camp David das nach israelischer Interpretation denkbar "großzügigste" Angebot vor. Die Ablehnung dieses Vorschlags wird häufig als Beweis angeführt, dass die palästinensische Seite an einer konstruktiven Lösung gar nicht wirklich interessiert sei, sondern nichts geringeres als die Zerstörung Israels anstrebe. Den Palästinensern musste dieses "großzügige Angebot" jedoch wie Hohn erscheinen. Indem Barak damit das Höchstmaß des überhaupt mit Israel verhandelbaren markierte, machte er deutlich, dass die Hoffnung vieler Palästinenser, auf dem bisherigen Verhandlungsweg einen eigenen Staat zu erreichen, nur auf Illusionen und Täuschung beruhte.
Baraks "großzügiges Angebot" sah vor, dass Israel 10 Prozent des Westjordanlands mit den wichtigsten Siedlungen, darunter den Großraum von Ostjerusalem, direkt annektieren würde.
Darüber hinaus wollte Israel "aus Sicherheitsgründen" weitere 10 Prozent des Westjordanlands auf unbegrenzte Zeit militärisch besetzt halten, darunter das gesamte Grenzgebiet nach Jordanien. Das Westjordanland wäre dadurch in vier Einzelgebiete aufgesplittert worden, die nur durch schmale, jederzeit von Israel leicht zu unterbrechende Korridore verbunden wären. Das palästinensische Territorium hätte keine eigenen Außengrenzen, sondern wäre ringsum von "militärischen Sicherheitszonen" Israels umgeben.
Dafür hätten sich die Palästinenser auch noch verpflichten müssen, die fast vollständige Annexion Ostjerusalems ausdrücklich zu akzeptieren. Ferner hätten sie offiziell auf das Rückkehrrecht der über 2,5 Millionen Flüchtlinge verzichten müssen, die zur Zeit außerhalb Palästinas leben. Das ist in Wirklichkeit keine praktische Frage, da Gaza und Westjordanland, wo jetzt schon mehr als eine Million Menschen in Flüchtlingslagern leben, gar nicht aufnahmefähig wären. Aber der politische Stellenwert des Streits ist hoch: Offizielle Preisgabe des Rückkehrrechts würde so interpretiert werden, dass die Flüchtlinge außerhalb Palästinas abgeschrieben werden. Als zusätzlich ungerecht wird dabei von den Palästinensern empfunden, dass Israels eigenes "Rückkehr"-Gesetz ganz selbstverständlich jedem auf der Welt, der nach fragwürdigen und umstrittenen Kriterien als Jude gilt, das Niederlassungsrecht auf seinem Staatsgebiet zugesteht.
Ein Staat auf dem zersplitterten, winzigen, ringsum von israelischen Truppen eingeschlossenen Territorium, das Baraks "großzügiges Angebot" vorsah - nicht einmal halb so groß wie Schleswig-Holstein, aber mit etwas mehr als der gleichen Einwohnerzahl -, wäre weder politisch souverän noch wirtschaftlich lebensfähig. Sein Funktionieren wäre permanent von der Gnade Israels abhängig, das schon in der Vergangenheit immer wieder aus unterschiedlichen Anlässen Teile der besetzten Gebiete abgeriegelt hat.
Die Frustration der Palästinenser ist nicht nur dadurch bedingt, dass die Verhandlungen nach hohen Anfangserwartungen schon seit mehreren Jahren festgefahren sind. Sie haben darüber hinaus erlebt, dass seit Beginn der Verhandlungen vor zehn Jahren die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten noch stärker ausgeweitet wurden als je zuvor, um unumkehrbare Fakten zu schaffen. Seit Unterzeichnung des ersten Oslo-Abkommens 1993 hat sich die jüdische Bevölkerung in den besetzten Gebieten mehr als verdoppelt. Gleichzeitig befand sich die Wirtschaft der besetzten und von Israel isolierten Gebiete schon vor der militärischen Eskalation der letzten Monate auf einem Tiefpunkt.
Am 28. September 2000 begann die sogenannte zweite Intifada. Auslöser war ein provokatorischer Auftritt Scharons am Tempelberg, in der Nähe der Al-Aksa-Moschee. Innerhalb der ersten drei Wochen wurden bei den Unruhen 135 Menschen getötet, darunter 127 Palästinenser.
Die vorgezogenen Parlamentswahlen im Februar 2001 brachten Hardliner Scharon an die Regierung. Schon vorher hatte Barak sein "großzügiges Angebot" zurückgezogen, mit der Begründung, es sei nach der Ablehnung durch die Palästinenser nicht mehr verhandelbar.
Knut Mellenthin
Neues Deutschland, 4. April 2002