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Im Zweifel für Israel
Die Blockade des Gaza-Gebiets durch die israelischen Streitkräfte ist rechtmäßig. Israelische Angriffe auf Schiffe, die sich in internationalen Gewässern befinden, sind ebenfalls legal. Dass israelische Soldaten dabei von der Schusswaffe Gebrauch machen, ist legitime Selbstverteidigung. Dass am Ende neun türkische Fahrgäste eines Hilfsschiffs erschossen wurden, sieben von ihnen durch mehrere Schüsse in „sensible“ Teile des Körpers und in den Kopf, fünf mutmaßlich von hinten, und mindestens einer, als er schon verletzt am Boden lag – das freilich war „exzessive und unverhältnismäßige Gewaltanwendung“.
Letzteres wird die israelische Regierung wahrscheinlich als unfair verurteilen und darin wieder einmal einen Beweis sehen, dass die ganze Welt gegen sie ist. Ansonsten aber können Benjamin Netanjahu und seine Leute eigentlich zufrieden sein mit dem Palmer-Bericht, der am Freitag vorgelegt wurde.
Die von der UNO eingesetzte Kommission, die nach ihrem Vorsitzenden, dem früheren neuseeländischen Premierminister Geoffrey Palmer, benannt ist, hatte den Vorfall vom 31. Mai 2010 zu bearbeiten, bei dem israelische Soldaten ohne Vorwarnung die Mavi Marmara gestürmt hatten. Das Schiff war Teil einer Flottille, die symbolisch Hilfsgüter nach Gaza bringen sollte, um gegen die Blockade zu protestieren. Verhängt hatte Israel diese nach dem Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen vom 25. Januar 2006. Dass die Blockade den Waffenschmuggel nicht eindämmen kann, ist offensichtlich. Israelische Politiker haben nicht einmal verheimlicht, dass es sich bei dieser Maßnahme hauptsächlich um eine Kollektivstrafe gegen die palästinensische Bevölkerung handelt.
Und das soll von nun an für die UNO als legal gelten? Selbstverständlich nicht. Die Palmer-Kommission hatte kein Rechtsgutachten abzugeben, schon gar nicht aber sollte und konnte sie ein rechtskräftiges Urteil sprechen. Ihre Aufgabe bestand im Wesentlich darin, einen komplizierten Eiertanz zwischen den Regierungen Israels und der Türkei zu absolvieren, um beide Seiten einigermaßen zufrieden zu stellen und die seit dem Massaker gestörten bilateralen Beziehungen auf den Weg der Wiederannäherung zu bringen. Mindestens drei Mal wurde in Abstimmung mit Ankara und Tel Aviv der geplante Zeitpunkt für die Vorlage des Berichts verschoben, um vielleicht doch noch einen tragfähigen Vergleich zu erreichen.
Vergeblich. Die Türkei verlangt eine Entschuldigung, wo Israel nur ein Bedauern aussprechen will. Darüber hinaus ist die türkische Regierung nach wie vor der Ansicht, dass die Blockade des Gaza-Streifens illegal ist, folglich auch der Überfall auf die Mavi Marmara unrechtmäßig war. Die Palmer-Kommission hat sich letztlich der israelischen Seite zugeneigt. Die türkische Reaktion, Herunterstufung der diplomatischen Beziehungen auf die niedrigstmögliche Stufe und Androhung von Sanktionen, war vorhersehbar.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 3. September 2011