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Hisbollah - Die neuen Helden der arabischen Welt
Vier Wochen nach dem Beginn der israelischen Angriffe auf den Libanon gilt der 45jährige Hassan Nasrallah in der gesamten arabischen Welt als Held. Viele stellen ihn auf eine Ebene mit dem letzten Vorkämpfer einer gesamtarabischen Nationalbewegung, dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, der 1970 starb. Nasrallah ist seit 1992 Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, der "Partei Gottes". Sein Vorgänger Abbas al-Musawi wurde am 16. Februar 1992 bei einem Überfall israelischer Kampfhubschrauber auf seine Fahrzeugkolonne gezielt ermordet. Mit ihm starben seine Frau, ein Sohn und vier weitere Menschen. Nasrallah hat mehrere israelische Mordanschläge überlebt. Zuletzt am 14. Juli, dem zweiten Kriegstag, als israelische Kampfflugzeuge Nasrallahs Hauptquartier und seinen Wohnsitz dem Erdboden gleich machten.
Die schiitische Hisbollah hat den israelischen Streitkräften jetzt schon länger widerstanden als jemals eine arabische Armee - sieht man vom ersten israelisch-arabischen Krieg 1948-49 ab. Mit dem Ansehen der Organisation in der arabischen Welt verbindet sich deshalb die Kritik an den autoritären, korrupten und pro-amerikanischen Regimes der Region.
Der militärische Erfolg der Hisbollah muss allerdings bei sachlicher Betrachtung etwas relativiert werden. Israel setzt, nach eigenen Angaben, bisher rund 10.000 Soldaten ein. Beim israelischen Überfall auf den Libanon 1982 waren es 60.000. Dennoch bleibt die Tatsache, dass den israelischen Streitkräften eine hoch motivierte, für den Verteidigungskrieg hervorragend bewaffnete und ausgebildete Truppe gegenübersteht. Israel hat in diesem Krieg bis zum Wochenende 58 Soldaten verloren. Damit sind ihre Verluste höher als die der US-Armee im Irak im selben Zeitraum. In der arabischen Welt herrscht das Gefühl vor, der Mythos von der Unbesiegbarkeit der israelischen Streitkräfte sei nachhaltig widerlegt worden.
Enge Beziehungen zum Irak
Die stärksten Reaktionen auf den Widerstand der Hisbollah zeigen die Schiiten Iraks. Das ist ganz natürlich. Zwar wird viel über die Unterstützung und angebliche Fernsteuerung der Hisbollah durch Iran und Syrien gesprochen. Aber die engsten, traditionellen Verbindungen bestehen zwischen den Schiiten Libanons und des Irak. Viele Libanesen haben, wie Nasrallah selbst, in Nadschaf und anderen religiösen Zentren Iraks studiert. Am Freitag voriger Woche demonstrierten in Bagdad Hunderttausende unter den Rufen "Nieder mit Israel", "Nieder mit den USA" ihre Solidarität mit dem libanesischen Widerstand. Aufgerufen hatte Muqtada al-Sadr, dessen Mahdi-Armee schon zwei Mal den Versuchen der US-Besatzer stand hielt, sie militärisch zu zerschlagen.
In Washington weiß man, was es bedeuten würde, wenn die bisher mehr oder weniger kooperative schiitische Mehrheit Iraks zum bewaffneten Widerstand übergehen würde. Schon lange behaupten US-amerikanische und israelische Kreise, dass die Hisbollah Ausbilder und sogar Kämpfer in den Irak geschickt habe. Die Organisation hat solche Gerüchte entschieden dementiert. Tatsächlich sprechen die Fakten dafür, dass erstens die Iraker weder Ausbilder noch ausländische Kämpfer brauchen, und dass zweitens die Hisbollah ihre Leute im eigenen Land benötigt.
Politisch noch beachtlicher als der "Millionen-Marsch" in Bagdad, wie Muqtada al-Sadr ihn nannte, war am Sonntag die Demonstration in der marokkanischen Stadt Casablanca. Mehrere hunderttausend Menschen - die Polizei sprach lediglich von 70.000 - füllten unter einem Wald von gelben Hisbollah-Flaggen, libanesischen und palästinensischen Fahnen die Straßen. Auf vielen Transparenten wurden die Reaktionen der arabischen Regierungen auf den Krieg als ängstlich und zögerlich kritisiert.
Dass sich Sunniten mit der schiitischen Hisbollah solidarisieren, ist alles andere als selbstverständlich. Die religiöse Spaltung, die schon kurz nach Mohammeds Tod entstand, wird vor allem von fundamentalistischen Sunniten geschürt. Sie verteufeln alle Schiiten als Ketzer und Ungläubige, gegen die der "heilige Krieg" geführt werden müsse. Darin sind sich die regimetreuen Anhänger der saudischen Variante, des Wahhabismus, weitgehend einig mit den Nachfolgern Bin Ladens und deren irakischem Ableger. Dieser sektiererischen Engstirnigkeit der sunnitischen Fundamentalisten steht auf Seiten der Schiiten nichts Vergleichbares gegenüber. Dort betont man vielmehr die Bedeutung der Ummah, der Gemeinschaft aller Moslems, gleich welcher Glaubensrichtung und Nationalität.
Zu Beginn der israelischen Angriffe, vor vier Wochen, warben westliche Medien um Verständnis für die Aggression mit der Meldung, sogar die "gemäßigten" arabischen Staaten gäben dem "unüberlegten Abenteurertum" der Hisbollah die Hauptschuld an der Entwicklung. Die "Gemäßigten" waren drei autoritäre bis diktatorische Regimes, deren Hauptangst der Entwicklung des Widerstands im eigenen Land gilt: Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten.
Saudi-Arabien als Zentrum des alles andere als gemäßigten Wahhabismus bemühte die offiziellen anti-schiitischen Klischees. Regierungstreue Geistliche lieferten Fatwahs, mit denen sie jede Unterstützung der Hisbollah verurteilten. Saudi-Arabien hat im Osten des Landes, wo sich ein Großteil der Ölvorkommen befinden, eine mehrheitlich schiitische Bevölkerung, deren Widerstand das Saudi-Regime fürchtet.
Der zweite im Bunde der "Gemäßigten", Ägyptens Präsident Husni Mubarak, hatte kurz zuvor die Loyalität der Schiiten mit ihren arabischen Heimatländern grundsätzlich in Frage gestellt. Die Schiiten seien in erster Linie keine Araber, sondern Agenten des Iran, so die unausgesprochene Tendenz von Mubaraks beleidigender Äußerung. Anscheinend hoffte er, damit bei der sunnitisch-fundamentalistischen Moslembruderschaft, seinen innenpolitischen Hauptgegnern, punkten zu können. Der Schuss ging jedoch nach hinten los, Mubarak musste seine Attacke mit einer Entschuldigung zurücknehmen.
In der vierten Woche seit Beginn der israelischen Angriffe ist es in den westlichen Medien sehr still um die drei "gemäßigten" Kronzeugen Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien geworden. Angesichts der hohen Zahl der Opfer der israelischen Bombardements unter der Zivilbevölkerung einerseits und der militärischen Widerstandskraft von Hisbollah andererseits haben die "Gemäßigten" es vorgezogen, rhetorisch die Seiten zu wechseln.
Es begann 1982
Die Anfänge der Hisbollah liegen im Sommer 1982. Israel hatte am 6. Juni jenes Jahres den Libanon überfallen und war schnell bis Beirut vorgestoßen, das von israelischen Streitkräften abgeriegelt und wochenlang heftig beschossen wurde. Der Vorwand für diesen Krieg bestand in nichts weiter als einem Mordanschlag auf den israelischen Botschafter in London. Ausgeführt hatte ihn die mysteriöse Gruppe von Abu Nidal, deren Hauptaktivität in der Ermordung verhandlungswilliger PLO-Politiker bestand.
Im August 1982 verließen nach einem von der US-Regierung vermittelten Abkommen Jassir Arafat, die PLO-Spitze und Hunderte von palästinensischen Kämpfern die eingeschlossene libanesische Hauptstadt. Im Libanon wurde eine internationale "Friedensstreitmacht", bestehend aus Amerikanern, Franzosen und Italienern, stationiert. Angeblich sollte sie zum Schutz der libanesischen Bevölkerung, vor allem der palästinensischen Flüchtlinge dienen. Tatsächlich begannen aber amerikanische und französische Truppen schon bald, sich als Besatzungsarmee aufzuführen und sich mit Militäraktionen in den seit 1975 geführten libanesischen Bürgerkrieg einzumischen.
Am 18. April 1983 zerstörte eine Sprengstoffexplosion die US-Botschaft in Botschaft. 63 Menschen, darunter der CIA-Stab für den ganzen Nahen Osten, wurden getötet. Am 23. Oktober 1983 verwüsteten fast gleichzeitige Bombenanschläge die Hauptquartiere der amerikanischen und französischen Truppen in Beirut. Insgesamt wurden 298 Menschen getötet, darunter 241 US-Marines. Die Anschläge wurden von Selbstmordattentätern verübt, die mit Sprengstoff beladene LKWs auf die Zielgelände steuerten. Sie werden der Hisbollah zugeschrieben, obwohl diese sie nie für sich in Anspruch genommen hat. Das Ergebnis war jedenfalls, dass die "Friedensstreitmacht" sehr schnell das Land wieder verließ.
Die Entstehung der Hisbollah war eine Reaktion auf die Politik der Organisation, die damals Libanons Schiiten repräsentierte, der Amal. Die Partei besaß, wie damals alle größeren politischen Gruppen, eine eigene Miliz. An der Spitze der Amal stand schon damals der jetzige Parlamentspräsident Nabih Berri. Wie nahezu alle Politiker Libanons war Berri korrupt und prinzipienlos. Amal wechselte im Verlauf des Bürgerkriegs mehrmals die Seiten. 1982 paktierte Berri mit den israelischen Invasoren und mit deren engstem Bündnispartner, den rechtextrem-"christlichen" Falangisten des Gemajel-Clans.
Hisbollah entstand im Protest gegen dieses Verhalten, unter anderem aus Abspaltungen von der Amal. Hisbollahs Basis waren vor allem die armen schiitischen Vororte von Beirut, später auch die Schiiten Südlibanons. Wieweit dabei die 1000 oder 15000 Angehörigen der Revolutionären Garden , die der Iran 1982 in das südostlibanesische Bekaa-Tal geschickt hatte, eine Rolle spielten, ist umstritten.
Der Gegensatz zwischen Amal und Hisbollah verschärfte sich, als die Amal - damals Syriens Hauptverbündete - 1985 eine Offensive gegen die palästinensischen Flüchtlingslager begann, die bis 1987 dauerte. Die Milizen der Amal stürmten auch das weltweit bekannte Flüchtlingslager Schatila: Es war im September 1982 Schauplatz eines Massakers gewesen, das die Falangisten mit Duldung Israels verübt hatten. Hisbollah verurteilte das Vorgehen der Amal als "Teil einer internationalen Verschwörung". Sie unterstützte die Palästinenser nicht nur mit humanitärer Hilfen, sondern gelegentlich auch mit bewaffneten Einsätzen. Im April und Mai 1988 versuchte Amal mit einer umfassenden Offensive gegen die Stützpunkte und Hochburgen der Hisbollah eine militärische Entscheidung zu erzwingen - und verlor. Viele Amal-Kommandanten liefen zur Hisbollah über.
Neuorientierung nach dem Ta'if-Abkommen
1989 wurde der libanesische Bürgerkrieg durch das Abkommen von Ta'if offiziell beendet. Das seit den 40er Jahren bestehende, eingefrorene Proporzsystem zwischen den Religionsgemeinschaften wurde nur geringfügig verändert. Dieses System begünstigt die christlichen Parteien und benachteiligt die moslemischen, insbesondere die Parteien der Schiiten, die mittlerweile stärkste Bevölkerungsgruppe des Landes sind. Seit 1932 hat keine Volkszählung mehr stattgefunden, um die Überrepräsentation der Christen nicht ganz offensichtlich werden zu lassen. Nach vorsichtigen Schätzungen sind heute nur noch 35 Prozent der Libanesen christlich. Die moslemische Mehrheit verteilt sich danach auf Schiiten (35 Prozent), Sunniten (25 Prozent) und Drusen (5 Prozent). Nach anderen Schätzungen machen die Schiiten 40 Prozent aus, vielleicht sogar schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung.
Im Ta'if-Abkommen wurde festgeschrieben, dass das Parlament sich je zur Hälfte aus christlichen und moslemischen Abgeordneten zusammensetzen soll. Das wird den realen Verhältnissen zwar immer noch nicht gerecht, ist aber eine Verbesserung gegenüber dem früheren Zustand. Es blieb jedoch bei der alten Regelung, dass der libanesische Präsident stets ein Christ, der Regierungschef stets ein sunnitischer Moslem sein muss. Den Schiiten bleibt nur das Amt des Parlamentssprechers.
Mit dem Ta'if-Abkommen verpflichteten sich außerdem alle Parteien zur Auflösung ihrer Milizen. Einzige Ausnahme: Hisbollah. Ihr wurde aufgrund ihrer maßgeblichen Rolle beim Widerstand gegen die anhaltende Besetzung der südlibanesischen Pufferzone durch Israel das Recht eingeräumt, ihren militärischen Zweig zu behalten.
Zugleich zeigte sich die Umwandlung der Hisbollah in eine politische Organisation darin, dass sie sich 1992 erstmals an der Parlamentswahl beteiligte. Sie gewann 12 der 128 Abgeordnetensitze. 1996 waren es 10, vier Jahre später nur noch 8, und bei der Wahl im vorigen Jahr 14 Sitze. Die Mandate werden nach einem unendlich komplizierten, kaum durchschaubaren System zwischen den Parteien und Religionsgemeinschaften ausgehandelt. Bis zum Abzug ihrer Truppen und Geheimdienstleute im vorigen Jahr hatten dabei auch die Syrer ein gewichtiges Wort mitzusprechen.
Im Mai 2000 zog die israelische Regierung, damals geführt vom Sozialdemokraten Ehud Barak, die Streitkräfte aus der südlibanesischen Pufferzone ab. Diese Maßnahme wurde von den Rechten heftig angegriffen und im Grunde nie akzeptiert. Sie bereiteten langfristig die Rückkehr in den Libanon vor.
Der Rückzug Israels entzog der Existenz Hisbollahs weitgehend das bisherige Argument des Widerstands gegen die Besatzung. Aus libanesischer Sicht - darüber sind sich alle Parteien einig - hält Israel allerdings mit den Schebaa-Farmen immer noch ein kleines Stück libanesisches Territorium besetzt. Israel jedoch stellt sich auf den Standpunkt, es handle sich dabei um einen Teil der syrischen Golan-Höhen. Die hat Israel im Juni-Krieg 1967 besetzt und im Dezember 1981 unter Missachtung mehrerer UNO-Resolution förmlich annektiert, also dem israelischen Staat einverleibt. Obwohl Syrien den libanesischen Standpunkt bezüglich der Schebaa-Farmen teilt, gab UNO-Generalsekretär Kofi Annan nach dem israelischen Rückzug aus der Pufferzone eine Erklärung ab, dass Israel nunmehr kein libanesisches Gebiet mehr besetzt halte. Der Sicherheitsrat schloss sich dieser Auffassung ausdrücklich an - ohne dann aber wenigstens auf Räumung der besetzten Golan-Höhen zu drängen.
Seit Mai 2000 beschränkte sich Hisbollah auf die Bekämpfung israelischer Militärstellungen im Gebiet der Schebaa-Farmen. Soweit dabei in wenigen Ausnahmefällen nordisraelisches Gebiet in Mitleidenschaft gezogen wurde, ergab es sich unmittelbar aus den Kampfhandlungen. Die Darstellung der israelischen Propaganda, die auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel übernommen wurde, Hisbollah habe schon seit Monaten Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung geschossen, ist völlig falsch. Das ist erst eine Reaktion auf die israelischen Luftangriffe gegen zivile Ziele und gegen die Strukturen Libanons.
Neue Umfrageergebnisse zeigen, dass Hisbollah mit ihrem Widerstand gegen Israels Angriffe den Respekt aller Teile der libanesischen Bevölkerung gewonnen hat. 87 Prozent der Libanesen unterstützten bei einer Umfrage Ende Juli Hisbollahs Kampf gegen Israel. Im Februar waren es 30 Prozent weniger gewesen. 80 Prozent der Christen und sogar 89 Prozent der Sunniten erklärten sich mit Hisbollah solidarisch. Die Spaltung der libanesischen Bevölkerung, auf die die US-Regierung mit ihrem Projekt einer "Zederrevolution" im vorigen Jahr gesetzt hatte, scheint zumindest für den Moment weitgehend überwunden. Mehr jedenfalls, als zu irgend einem früheren Zeitpunkt der turbulenten Geschichte Libanons.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 10. August 2006