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Gerüchte gegen Russland
US-Regierung will Syrien dem IS ausliefern. Großbritannien, Frankreich und Australien steigen ein.
Die NATO verstärkt ihr militärisches Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg. Als Ablenkungsmanöver dienen Gerüchte über russische Truppenverlegungen. Am Montag teilte die britische Regierung dem Parlament mit, dass die Luftwaffe am 21. August erstmals gegen ein Ziel in Syrien eingesetzt worden sei. Mit Hilfe einer bewaffneten Drohne seien zwei britische Staatsbürger, 21 und 26 Jahre alt, getötet worden, die sich dem „Islamischen Staat“ (IS) angeschlossen hätten. Es habe sich um einen „völlig legalen Akt der Selbstverteidigung“ gehandelt, behauptete Verteidigungsminister Michael Fallon, da die beiden Männer „barbarische Angriffe“ auf britischem Boden geplant hätten. „Wir würden nicht zögern, wieder so vorzugehen.“
Das Parlament in London hatte Militäraktionen gegen syrisches Gebiet vor zwei Jahren abgelehnt, aber im September 2014 eine Beteiligung am Luftkrieg gegen den IS im Irak genehmigt. Nach dem Drohnenangriff vom 21. August wird erwartet, dass die britische Regierung das Thema Syrien erneut zur Abstimmung bringen wird. Der französische Präsident Francois Hollande gab am Montag bekannt, dass er „den Verteidigungsminister beauftragt“ habe, „Aufklärungsflüge über Syrien durchzuführen, die Luftschläge gegen den IS ermöglichen sollen“. Das hatte die Regierung in Paris bisher abgelehnt. Auch Australien will an der Intervention in Syrien teilnehmen. Premierminister Tony Abbott kündigte am Sonntag an, dass die Luftwaffe seines Landes, die schon Angriffe gegen Ziele im Irak fliegt, ihr Einsatzgebiet „innerhalb von Tagen“ auf Syrien ausdehnen könnte.
Im US-Senat haben Vertreter beider großen Parteien einen Resolutionsentwurf auf den Weg gebracht, der die Regierung ausdrücklich zur Kriegführung gegen den IS ermächtigen soll. Die Vorlage schließt den Einsatz von Bodentruppen nicht grundsätzlich aus und sieht keine geographische Beschränkung des Kriegsgebiets vor. Die US-Regierung könnte, gestützt auf diese Resolution, beispielsweise auch militärische Aktivitäten in Libyen anordnen. Bisher legitimiert Washington den „Krieg gegen den Terror“ nur mit einer strapazierfähigen Kongressresolution, die kurz nach dem 11. September 2001 beschlossen wurde, aber von vielen Parlamentariern und Juristen für nicht mehr ausreichend gehalten wird.
Ein großer Teil der US-amerikanischen Medien, Allen voran die ehemals liberale Tageszeitung Washington Post, beklagen die „Inaktivität“ und „Schwäche“ der Obama-Administration und fordern ein wesentlich umfangreicheres Eingreifen in Syrien. Als aktuelle Begründung werden die seit zehn Tagen kursierenden Gerüchte über russische Truppenbewegungen herangezogen. Ynet, die Online-Ausgabe der meistgelesenen israelischen Tageszeitung Jediot Acharonot, hatte am 31. August ohne relevante Quellen behauptet, russische Soldaten und Pioniere hätten auf einem Luftwaffenstützpunkt in Syrien eine „vorgeschobene Operationsbasis“ errichtet. „In den kommenden Wochen“ würden „Tausende von russischen Militärangehörigen“ folgen. Darunter „Berater, Instrukteure, Nachschubpersonal, technisches Personal“ und Piloten, die demnächst Luftangriffe gegen den IS fliegen würden. Zahlreiche Internetblogs, darunter auch solche, die sich selbst für „antizionistisch“ halten, verbreiteten die von Russland umgehend dementierten Gerüchte aus Israel weiter.
Inzwischen hat die US-Regierung mehrere verbündete Staaten aufgefordert, ihren Luftraum für russische Flüge zu sperren. Bulgarien gehorchte sofort, Griechenland soll angeblich abgelehnt haben, doch ist das nicht offiziell bestätigt. Außenminister John Kerry „warnte“ seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow am Wochenende telefonisch vor einer „Eskalation“. Die Obama-Administration verlangt von Russland, jede Unterstützung der syrischen Regierung einzustellen. Die voraussehbare Folge wäre der Zusammenbruch aller staatlichen und militärischen Strukturen, das totale Chaos und in kurzer Zeit der Sieg des IS.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 10.9.2015