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"Früchte des Friedensprozesses"
Israelische Regierungsmitglieder fordern Beendigung der Freilassung palästinensischer Häftlinge. Hilfsaktion europäischer Diplomaten in den besetzten Gebieten verhindert.
Nachdem am Wochenende zwei Soldaten ermordet wurden, stellen israelischen Politiker die Verhandlungen mit der Palästinenserführung in Frage.
Die beiden Gewalttaten waren offenbar völlig unabhängig voneinander und haben keinen erkennbaren organisierten Hintergrund. Der Unteroffizier Tomer Hazan war am Freitag zunächst als verschwunden, dann als entführt gemeldet worden. Seine Leiche wurde am Sonntag in einem Brunnen gefunden. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen war er von einem palästinensischen Arbeitskollegen in dessen Wohnung eingeladen und dann von diesem ermordet worden. Angeblich wollte der Täter im Tausch gegen Hazans Leiche die Freilassung seines inhaftierten Bruders erreichen. Ein anderer Unteroffizier, Gal Kobi, wurde am Sonntag von einem unbekannten Scharfschützen durch einen Schuß in den Nacken getötet, als er an einer Straßensperre bei Hebron im besetzten Westjordanland Dienst tat.
Verteidigungsminister Mosche Ja'alon berief daraufhin für Montag eine Sitzung des Sicherheitskabinetts ein. Auf einer internationalen Konferenz rechter, prozionistischer christlicher Abgeordneter in Jerusalem wetterte Ja'alon, die Mordtaten seien „die Früchte des Friedensprozesses“. Der Minister, der der Likud-Partei von Regierungsschef Benjamin Netanjahu angehört, ist für seine extremen Äußerungen bekannt. So sprach er wiederholt von der „palästinensischen Bedrohung“ als einem „Krebsgeschwür“, gegen das er zur Zeit „die Chemotherapie“ anwende, aber das man auch „amputieren“ könne. Ja'alon drängt auf eine militärische Konfrontation mit dem Iran und hat von Anfang an kein Geheimnis daraus gemacht, dass er die neue Runde der Gespräche mit der Palästinenserführung, die im August begann, als bloße Geste gegenüber der US-Regierung betrachtet.
Wirtschaftsminister Naftali Bennett und Verkehrsminister Jisrael Katz forderten Netanjahu am Wochenende unter Hinweis auf die Morde an den zwei Soldaten auf, keine weiteren palästinensischen Gefangenen frei zu lassen. Bennett ist Chef der Partei HaBajit HaJehudi, die noch rechts vom Likud steht. Katz gehört dem Likud an.
Die Entlassung von insgesamt 104 Langzeithäftlingen hatte Netanjahu auf Drängen der US-Regierung versprochen, um Palästinenserpräsident Mahmud Abbad ein Argument für die Wiederaufnahme der total festgefahrenen „Friedensverhandlungen“ mit Israel zu liefern. Im August waren kurz nach Beginn der neuen Gesprächsrunde 26 Gefangene freigelassen worden. Die nächsten Entlassungen sollen voraussichtlich Ende Oktober erfolgen.
Avi Roeh, der Vorsitzende des Jescha-Rates, des Dachverbandes der jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, ging noch einen Schritt weiter als die beiden Minister: Er verlangte, neben dem Ende der Haftentlassungen, auch den Abbruch der Verhandlungen mit Abbas. Diese würden von der Palästinensern nur als Zeichen der Schwäche gedeutet und hätten die Bluttaten vom Wochenende „ermutigt“, behauptete Roeh.
Am Freitag wurden EU-Diplomaten von israelischen Soldaten gewaltsam daran gehindert, eine Wagenladung mit Hilfsgütern an Bewohner der besetzten Gebiete zu übergeben. Es handelte sich um Zelte und andere dringend erforderliche Gegenstände für Palästinenser, deren Häuser und Ställe einige Tage zuvor von den Besatzungsbehörden zerstört worden waren. Auch ein Kindergarten wurde abgerissen. Angeblich waren die Gebäude ohne Genehmigung errichtet worden. Etwa 120 Menschen hatten dort bisher gelebt und sind nun obdachlos.
Vertreter der EU kritisierten die Beschlagnahme der Hilfsgüter und verlangten von der israelischen Regierung eine Erklärung für das Vorgehen der Soldaten. Das israelische Außenministerium wies die EU-Stellungnahme als „einseitig“ zurück und behauptete, die Hilfsaktion der Diplomaten stelle eine „offene Verletzung der Gesetze“ dar.
Die EU hatte im Juli entschieden, dass israelische Körperschaften in den besetzten Gebieten keine finanziellen Zuwendungen aus Geldern der Gemeinschaft bekommen dürfen. Israel hatte daraufhin Hilfsaktionen der EU für die palästinensischen Bewohner des Westjordanlands verboten.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 24. September 2013