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Bombenbeschaffungsmaßnahme
Am Montag gab die US-Regierung bekannt, dass ihre Sicherheitskräfte Ende April einen geplanten Anschlag durchkreuzt hätten, bei dem ein Passagierflugzeug mit Hilfe einer „Unterhosenbombe“ gesprengt werden sollte. Am Dienstag ereiferte sich Außenministerin Hillary Clinton über die „Terroristen“, die „immer perversere und schrecklichere Methoden ausprobieren“ würden, „um unschuldige Menschen zu töten“. Wenige Stunden später wurde deutlich, dass der groß gemeldete Anschlagsversuch nur eine Inszenierung der CIA gewesen war.
Als erste Zeitung berichtete die Los Angeles Times, dass der verhinderte Attentäter in Wirklichkeit ein „Informant“ des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes gewesen sei, der gleichzeitig auch für dessen saudi-arabische Kollegen arbeitete. Die CIA habe ihren V-Mann als „Möchtegern-Selbstmordattentäter“ bei der jemenitischen Al-Qaida eingeschleust. Sein Auftrag habe darin bestanden, diese „dazu zu bringen, ihm eine neue Art einer nicht-metallischen Bombe auszuhändigen, die von den Terroristen entworfen wurde, um leicht durch die Flughafen-Sicherungsmaßnahmen hindurch zu kommen“. Anschließend habe der V-Mann den Sprengkörper „an US-amerikanischen und andere Geheimdienststellen übergeben, die in einem anderen Land warteten“, heißt es etwas mysteriös und verworren in diesem Bericht. Die Bombe werde jetzt in einem Labor der Bundespolizei FBI in Quantico untersucht. Es scheine sich um eine Weiterentwicklung der „Unterhosenbombe“ zu handeln, mit der ein Nigerianer im Dezember 2009 auf dem Flug nach Detroit erwischt wurde. Auch damals kam der Sprengsatz, der nur qualmte statt zu zünden, angeblich aus einer jemenitischen Werkstatt.
Bis Mittwoch war keine US-amerikanische Dienststelle bereit, die Darstellung der Los Angeles Times, der sich mittlerweile auch andere Blätter mit eigenen Berichten angeschlossen hatten, zu kommentieren. Es gibt daher noch keine Klarheit, in welcher Reihenfolge der Agent für welche Dienste gearbeitet hat und was ganz genau seine Mission war. Insbesondere ist nicht sicher, ob das „durchkreuzte“ Bombenattentat wirklich von Anfang an eine Auftragsarbeit der CIA war oder ob der Geheimdienst sich vielleicht nur in bereits vorbereitete Pläne einschaltete.
Die Wahrscheinlichkeit spricht indessen dafür, dass die Idee dieses „Anschlagsversuchs“ in der Geheimdienstzentrale in Langley, wenn nicht sogar in irgendeinem Regierungsgremium in Washington entstand. Seit dem 11. September 2001 wird in den USA mit Allen möglichen Kunstgriffen der Mythos einer ständigen Bedrohung durch Al-Qaida aufrecht erhalten, obwohl es seither keine nennenswerten Attentate mehr gab. Nach einer im Februar 2011 veröffentlichten Analyse starben in den USA im zurückliegenden Jahrzehnt höchstens 33 Menschen infolge von Gewalttaten mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund. In keinem einzigen Fall gab es einen organisierten oder gar internationalen Zusammenhang. Mittlerweile sind rund 90 Prozent aller gemeldeten Anschlagversuche in den USA sogenannte Sting-Operationen, zumeist des FBI. Gemeint sind damit Pläne, die von US-Dienststellen erdacht und für die dann mögliche „Täter“ in einschlägigen Internetforen angeworben werden. Diese Personen, die meist zwischen schlichtem Gemüt und schweren Verhaltensstörungen angesiedelt sind, bekommen von ihren Auftraggebern Bombenattrappen ausgehändigt, mit denen sie schließlich medienwirksam am „Tatort“ festgenommen werden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 10. Mai 2012