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Betreute Dauerkrise
Libyen unter Druck ausländischer Ratgeber. Alle drängen auf Einigung mit Warlord Haftar.
Am gestrigen Donnerstag sollte sich der „international anerkannte“ libysche Regierungschef Fajes Serradsch in Kairo mit dem Warlord Khalifa Haftar treffen, der den Ostteil Libyens kontrolliert. Ob die Begegnung wirklich zustande kam und welche Ergebnisse erreicht wurden, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Es wäre das zweite Gespräch der beiden, nachdem sie sich am 2. Mai in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Emirate, getroffen hatten.
Damals gab es nur zwei getrennte Stellungnahmen, die zwar einen Trend zur Verständigung signalisieren sollten, aber keine praktischen Vereinbarungen erkennen ließen. Haftar und die mit ihm verbundene Gegenregierung in Tobruk werden vor allem vom ägyptischen Militärregime und von den Emiraten unterstützt. Dabei werden trotz eines UN-Embargos auch Waffen geliefert, ohne dass sich die internationale Gemeinschaft darum kümmert. Andererseits erhält die „international anerkannte“ Regierung in der Hauptstadt Tripoli Militärhilfe aus dem kleinen Fürstentum Katar auf der arabischen Halbinsel und von der Türkei.
Die Tripoli-Regierung ist das Produkt eines Abkommens, das den Libyern im Dezember 2015 von der UNO und der EU aufgenötigt wurde. Viele wichtige Akteure des Landes, das seit dem Sturz Muammar al-Gaddafis 2011 ohne Zentralmacht ist, wurden in dieses Abkommen nicht einbezogen. Die von außen eingesetzte, demokratisch nicht legitimierte Regierung, die am 30. März 2016 aus dem tunesischen Exil nach Tripoli zurückkehrte, residiert aus Sicherheitsgründen immer noch in einem Flottenstützpunkt. Sie verfügt über keine eigenen Streitkräfte, sondern bedient sich einer Vielzahl von rivalisierenden Söldnertruppen, denen der Schutz des Stützpunkts und der Regierungsgebäude in der Hauptstadt anvertraut ist. Der Einfluss dieser „international anerkannten“ Regierung ist im größten Teil des Landes gering oder nicht vorhanden.
Ohne dass es schon offen ausgesprochen wurde, ist das aufgenötigte „Einigungsabkommen“ vom Dezember 2015 praktisch gegenstandslos geworden. Neben den offenen Unterstützern der ostlibyschen Gegenregierung geben sich vor allem Vertreter Italiens und Großbritanniens sowie der deutsche Sonderbotschafter der UNO, Martin Kobler, bei Haftar und dem Vorsitzenden des Tobruker Gegenparlaments, Agila Saleh, die Klinke in die Hand.
Sogar in der „international anerkannten“ Tripoli-Regierung findet Haftar Zuspruch. Ihr Außenminister Mohammed Sijala sagte am Montag am Rande einer internationalen Libyen-Konferenz in Algier: Haftar sei vom Parlament in Tobruk ernannt worden und sei „ohne Zweifel“ der rechtmäßige Oberkommandierende der nationalen Streitkräfte. Allerdings müsse er sich der Zivilmacht unterordnen und das Abkommen vom Dezember 2015 anerkennen.
Dagegen spricht, dass das Tobruker Abgeordnetenhaus im Juni 2014 nur mit einer international rekordverdächtigen Niedrigstwahlbeteilung von 18 Prozent gewählt wurde. Wichtige politische Akteure hatten zum Wahlboykott aufgerufen. Außerdem besagt das im Dezember 2015 geschlossene „Einigungsabkommen“, dass der in Tripoli amtierende Präsident Oberkommandierender der Streitkräfte ist.
Sijala war eindeutig zu weit gegangen. Mindestens zwei der Milizen in Tripoli, auf deren bewaffneten Rückhalt die „international anerkannte“ Regierung angewiesen ist, rebellierten und forderten den Rücktritt des Außenministers. Die vermutlich stärkste unter den rivalisierenden Söldnertruppen in der Hauptstadt, die „Brigade der Revolutionäre“, unter deren Schutz das Außenministerium steht, verkündete die Einstellung der Arbeiten in dem Gebäudekomplex. Auch der Präsidialrat, das oberste Gremium der Tripoli-Regierung, distanzierte sich von Sijalas Aussage.
Der aber verweist darauf, dass er genau das Gleiche zur Rolle Haftars auch schon im März gesagt hatte. Den damaligen Empörungssturm überbestand er unbeschadet.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 12. Mai 2017