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Anmerkungen zur Geschichte des Staates Israel - Teil 3
"Die Soldaten der Israelis haben den Frieden gerettet. Durch ihren schnellen militärischen Vormarsch. Durch ihre überlegene Kampfkraft.
So schön der Traum ist von der Welt ohne Waffen - die Wirklichkeit ist anders.
De Gaulle, Adenauer und Strauß haben recht getan, als sie den Israelis moderne Waffen lieferten. Ohne diese Waffen gäbe es kein blühendes Israel mehr, sondern nur verbrannte Erde.
Mit hervorragenden russischen Waffen ausgerüstet, hätte Nasser vollendet, was Hitler begann: Das Volk der Juden wäre total vernichtet.
Zweieinhalb Millionen Israelis haben die Welt gelehrt, daß man sich in der Not zuerst auf sich selbst verlassen muß. Und nicht auf den großen Bruder.
Ob die Europäer das jemals begreifen werden? Oder ob viele von ihnen auch weiterhin die kommunistischen Friedenstauben streicheln und vor den kommunistischen Panzern und Raketen die Augen zukneifen?" (BILD, 10. Juni 1967)
Die Solidarität mit Israel hat viele Gesichter. Zwischen deutschnational und "antideutsch", zwischen stockreaktionär und "linksradikal", ist so ziemlich alles drin, was jemand Interesse halber hineinlegen möchte.
Palästinenser haben aus aktuellem Anlaß die Frage gestellt, wodurch sich nach internationalem Recht die Besetzung Kuwaits durch den Irak unterscheidet von der Besetzung der Westbank und des Gasastreifens durch Israel. Ihnen ist nicht klar zu machen, warum die eine Sache von den USA mit Krieg bestraft, die andere aber mit Milliardenbeträgen unterstützt wird, und wie dazu die UNO samt Sowjetunion auch noch ihren Segen geben konnten.
Ihnen, die so fragen, wird zumeist geantwortet: Israel kam im Juni 1967 nicht als Aggressor, sondern in gerechtfertigter Notwehr. Wieweit diese Antwort zutreffend ist, soll hier näher betrachtet werden.
"Maßnahmen der Abwehr"
Am Vormittag des 5. Juni 1967 erfuhr die Welt aus Israel: "Seit dem heutigen frühen Morgen finden an der Südfront heftige Kämpfe zwischen ägyptischen Panzer-und Luftstreitkräften, die sich gegen Israel in Bewegung gesetzt haben, und unseren Streitkräften statt, die Maßnahmen zur Abwehr ergriffen."
Heute, vierundzwanzig Jahre später, wissen wir, daß das eine Propagandalüge war. Israel hatte um 7 Uhr 45 Ortszeit den Krieg mit vernichtenden Luftangriffen gegen Ägyptens Militärflughäfen eröffnet, ohne daß eine ägyptische Aktion vorausgegangen war. Von den 254 Kampfflugzeugen, die Ägypten während des Juni- Kriegs verlor, wurden 240 gleich am ersten Tag zerstört, die meisten noch am Boden. Es ist nicht zuviel gesagt, daß die ägyptische Luftwaffe am ersten Tag des Krieges ausgeschaltet wurde. Die so gewonnene totale Luftüberlegenheit war eine wesentliche Voraussetzung für das rasche Vorrücken der israelischen Panzertruppen.
Es sei daran erinnert, daß Israel seinen Überfall auf Ägypten 1956 mit einer ähnlichen Propagandalüge eingeleitet hatte: "Die israelische Aktion folgte auf militärische Angriffe ägyptischer Streitkräfte gegen israelische Verbindungswege zu Land und zur See..."
Es gab im Juni 1967 keinen ägyptischen Angriff, und es gibt heute niemanden mehr, der etwas anderes behauptet. Es hat im Juni 1967, auch das steht fest, kein einziger arabischer Soldat einen Quadratmeter israelischen Boden betreten, es wäre denn vielleicht als Kriegsgefangener. Es drohte, wie die meisten israelischen Politiker und Historiker inzwischen zugeben, auch kein arabischer Angriff auf Israel. Dazu hätten die vorhandenen Kräfte keinesfalls ausgereicht. Darauf soll noch eingegangen werden. Auch die friedensmäßige und sorglose Art, wie Ägyptens Kampfflugzeuge am Boden ordentlich aufgereiht für Israels vernichtenden Schlag bereitstanden, ist ein Indiz, daß man nicht auf Krieg eingestellt war. Dasselbe gilt für Syrien und Jordanien, deren Luftwaffen etwas später in gleicher Weise am Boden dezimiert wurden. In diesem Fall behauptet die israelische Version jedoch, daß Bombenangriffe jordanischer und syrischer Flugzeuge vorausgegangen seien, und zwar auf einen israelischen Militärflugplatz und auf Ölraffinerien in Haifa. Dennoch stieß die israelische Luftwaffe offenbar auch hier auf einen überraschten, unvorbereiteten Gegner: Syrien verlor am ersten Kriegstag am Boden 45 seiner 142 besten Kampfflugzeuge, und Jordanien 18 von 22.
Nicht umstritten ist, daß Israel mit dem "Blitzschlag" gegen die ägyptische Luftwaffe den Juni-Krieg begonnen hat. Läßt sich das von der Vorgeschichte des Krieges her rechtfertigen?
Permanenter Kleinkrieg
Der erste arabisch-israelische Krieg 1948/49 hatte nicht mit Friedensschlüssen, sondern nur mit Waffenstillstands-Vereinbarungen geendet. Israel weigerte sich, über die Räumung der in diesem Krieg besetzten Gebiete und über die Rückkehr der Hunderttausende von palästinensischen Flüchtlinge auch nur zu verhandeln. Alle konträren UN-Resolutionen wurden von Israel mißachtet. Auf der anderen Seite weigerten sich die arabischen Staaten, die Existenz Israels zu akzeptieren. Von ihrem Boden aus operierten palästinensische "Kommandos". Das war Anlaß für israelische "Gegenschläge", deren Ausmaß in keinem adäquaten Verhältnis zu den "Kommando-Aktionen" stand. Auch der Überfall auf Ägypten 1956, bei dem die israelische Armee bis zum Suez-Kanal vorstieß, war mit der Absicht begründet worden, dem palästinensischen Terror das Hinterland zu entziehen.
Stand in den 50er Jahren Ägypten im Zentrum der "Kommando-Aktionen" und "Gegenschläge", so hatte sich in den sechziger Jahren der Schwerpunkt mehr auf Jordanien und Syrien verschoben. Ab 1965 steigerte sich die Zahl der palästinensischen Aktionen und israelischen Reaktionen. Seit dem Suez-Krieg 1956 bestand auf arabischer Seite die permanente Furcht, daß eine scheinbar begrenzte israelische "Strafexpedition" sich als Auftakt für einen großen Krieg herausstellen könnte. Als besonders schwerwiegend wurde in der arabischen Welt der Angriff israelischer Einheiten auf das jordanische Dorf Samu am 13. November 1966 interpretiert. Nach Angaben der UNO wurden dort als "Repressalie" 125 Häuser, eine Klinik und eine Schule total zerstört. Mindestens 20 Menschen wurden getötet, 54 verletzt. Nach Aussagen der örtlichen Bevölkerung hatten die israelischen Soldaten wahllos auf jeden geschossen, der sich blicken ließ.
Auf die Aktion von Samu folgte ein saudi-arabisches Angebot, 20.000 Soldaten in Jordanien zu stationieren. Dies wurde anscheinend von König Hussein zum damaligen Zeitpunkt ausgeschlagen, der sich ungern in die Rolle des "Frontstaat Nr. 1" drängen lassen wollte. Zweitens heizte die Aktion von Samu die Widersprüche zwischen den arabischen Staaten an, was eine übliche Folge (und vermutlich auch eine Absicht) der israelischen "Gegenschläge" war. Jordanien erhob nach Samu heftige Vorwürfe gegen Ägypten: es sei seiner Pflicht nicht nachgekommen, Jordanien gegen solche Angriffe Israels beizustehen. Ägyptens Präsident Nasser gab zwar gern radikale Verlautbarungen von sich, agierte aber in der Praxis zu dieser Zeit sehr zurückhaltend. Ergebnis war, daß sich israelische "Vergeltungsschläge" 1965/66 zwar gegen Jordanien, Syrien und Libanon richteten, aber in keinem Fall von Bedeutung gegen Ägypten. Nasser forderte zwar von Jordanien und Syrien, die palästinensischen "Kommandos" von ihrem Boden aus gegen Israel operieren zu lassen, hütete sich aber, selbst in die israelische Schußlinie zu geraten. Das alles wirkte sich für den ägyptischen Führungsanspruch in der arabischen Welt negativ aus. Aus diesem Problem ergab sich dann das "Vorpreschen" Nassers im Mai 1967, mit dem er seinen Mut und seine Radikalität zu beweisen versuchte.
Unmittelbarer Auslöser der Nahostkrise vom Mai, die dem Juni-Krieg voranging, war ein Luftgefecht am 7. April 1967: israelische Kampfflugzeuge schossen dabei über syrischem Territorium sechs syrische MIG 21 ab. Am folgenden Tag verpflichteten sich Ägypten, der Irak, Jordanien, der Libanon und Kuwait mit einer gemeinsamen Erklärung, Syrien gegen weitere israelische Angriffe zu unterstützen.
Am 9. Mai gab die Knesset der israelischen Regierung Vollmachten für Operationen gegen Syrien. Am 16. Mai gab Ägypten bekannt, es sei wegen der israelischen Kriegsdrohungen gegen Syrien gezwungen, seine Truppen in Alarmzustand zu versetzen. Im Falle eines israelischen Angriffs auf Syrien werde man diesem beistehen. Ägyptens Stabschef teilte der zwischen Israel und Ägypten stationierten UN-Friedenstruppe mit: seine Streitkräfte seien angewiesen, "sich zur sofortigen Aktion gegen Israel bereitzuhalten, sobald es einen Aggressionsakt gegen einen arabischen Staat unternimmt." Zugleich verlangte er den sofortigen Abzug der UN-Friedenstruppe.
Zum Verständnis: Die "Blauhelme", etwa 3400 Mann, waren nach dem Suez- Krieg von 1956 an der Grenze, aber auf ägyptischem Gebiet stationiert worden. Mitte der sechziger Jahre hatten sich die Vorwürfe von arabischer Seite an die Adresse Nassers gehäuft, er sei ein großmäuliger Feigling, der sich hinter der UN-Friedenstruppe verstecke. Als Hintergrund solcher Polemiken ist erstens die damalige scharfe Konkurrenz zwischen den nationalistischen Regimes von Ägypten und Syrien zu sehen. Es ist zweitens zu berücksichtigen, daß auch die reaktionären Regimes von Saudi-Arabien und Jordanien, die ständig den verbalen Angriffen Nassers ausgesetzt waren, gern jede Gelegenheit wahrnahmen, in gleicher Münze zurückzuzahlen. Die Forderung Ägyptens nach Abzug der "Blauhelme" war im wesentlichen eine propagandistische Angelegenheit im innerarabischen Spiel. In der israelischen Propaganda wurde sie allerdings so interpretiert, als wolle sich Ägypten freies Feld für einen Angriff schaffen.
Aufmarsch der Gegner
Am 19. Mai wurden die UN-Truppen abgezogen, nachdem Ägypten seine Forderung noch einmal wiederholt hatte. Am 21. Mai begannen Israel und Ägypten mit der Mobilisierung ihrer Reservisten. Der beidseitige Truppenaufmarsch war aber schon seit Mitte des Monats in Gang. Israel kann eine im Verhältnis zu seiner Bevölkerung sehr große Zahl von Reservisten mobilisieren. Der Nachteil ist, daß die Volkswirtschaft eine solche Mobilisierung nicht lange aushält. Die israelische Regierung ist also "gezwungen", nach einer Vollmobilisierung innerhalb weniger Tage entweder Krieg zu führen oder das Ganze abzublasen. (Dies beschreibt die Situation von 1967. Wieweit das heute noch gilt, ist fraglich.)
Am Abend des 22. Mai gab Nasser bekannt, der Golf von Akaba sei für israelische Schiffe gesperrt. Nicht durchgelassen würden auch andere Schiffe, die "strategische Materialien" für Israel transportierten. Von allem, was damals geschah, gibt diese ägyptische Maßnahme noch am ehesten einen plausiblen, wenn auch nicht unbedingt gerechten Kriegsgrund für Israel ab.
Über den Hafen Eilat am Golf von Akaba wickelt Israel einen erheblichen Teil seines Handels ab, nämlich den mit Mittelost, Asien und Ostafrika. Laut Statistik liefen in 1965 etwa 15% seiner gesamten Importe und 90% seiner Ölimporte über Eilat. Die Alternative bestand, da israelische Schiffe nicht durch den Suez-Kanal gelassen wurden, in Umwegen von vielen tausenden Kilometern um Afrika herum, mit entsprechender Verteuerung. (Der Seeweg von Indien beispielsweise würde sich nach Israel auf diese Weise vervierfachen.)
Die freie Fahrt durch den Golf von Akaba hatte schon beim Suez-Krieg 1956 eine große Rolle gespielt. Israel hatte sich damals als Preis für seinen Rückzug von den USA die Zusicherung geben lassen, daß eine Sperrung der Durchfahrt Israels legitime Verteidigungsinteressen berühren würde. Deutlicher gesagt: die US-Regierung hatte versprochen, dies als Kriegsgrund zu akzeptieren.
Als Einschub sei festgehalten: Die völkerrechtliche Situation ist umstritten. Die Fahrtlinie nach Eilat führt tatsächlich und unstrittig durch ägyptische Hoheitsgewässer. Das Gegenargument besagt, daß dies nicht in Betracht kommt, wenn es um die freie Zufahrt zu einem Hafen geht; diese habe unbedingt Vorrang. Richtig ist, daß nach vorherrschender Rechtsinterpretation die Sperrung der Durchfahrt durch eine Meerenge in Friedenszeiten unzulässig ist. Jedoch befanden sich Ägypten und Israel offiziell seit 1948 im Kriegszustand.
Am 24. Mai teilte Jordanien mit, daß wegen der ernsten Krise saudi-arabische und irakische Truppen im Land stationiert würden. Irakische Hilfskontingente sollten auch nach Syrien und Ägypten geschickt werden. Am 25. Mai führte der israelische Außenminister Abba Eban Gespräche in den USA. Über die Ergebnisse wurde wenig bekannt. Interessant ist jedoch, daß in der Presse damals, also mehrere Tage vor dem Krieg, auch folgendes zu lesen war: Eban habe der US-Regierung definitiv versichert, daß Israel in fünf Tagen mit seinen Gegnern fertig werden würde. Damit sei gewährleistet, daß Israel nicht auf direkte amerikanische Hilfe angewiesen sein würde. Die USA könnten es sich also ohne Risiko leisten, in dem kommenden Krieg offiziell "neutral" zu bleiben. Für die US-Regierung war diese Zusicherung eine Voraussetzung, Israel für den Angriff freie Hand zu geben. Eine Sorge der US-Regierung war nämlich, wider Willen in eine Situation gebracht zu werden, wo sie vor der Alternative stehen würde, entweder Israel offen beizuspringen (und einen Konflikt mit der UdSSR und der arabischen Welt zu riskieren), oder als Verräter an den "besonderen Beziehungen" zwischen USA und Israel dazustehen.
Am 30. Mai wurde zwischen Ägypten und Jordanien ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit im Kriegsfall geschlossen. Damit waren die tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Staaten vorübergehend überbrückt. Das Regime König Husseins war bis dahin die bevorzugte Zielscheibe von Nassers Polemiken gegen die "Lakaien des Imperialismus" gewesen. Eine Verpflichtung, wie Jordanien sie jetzt eingegangen war, hatte Hussein lange Zeit zu vermeiden versucht.
Am 1. Juni bildete der sozialdemokratische Ministerpräsident Israels, Levi Eschkol, eine Kriegskoalition, genannt "Kabinett der Nationalen Einheit". Neu aufgenommen wurde erstens der frühere Stabschef Mosche Dajan als Verteidigungsminister. Er gehörte zur Rafi, einer um Ben Gurion gebildeten Rechtsabspaltung der sozialdemokratischen Arbeitspartei. Neu aufgenommen wurden zweitens Menachem Begin und Josef Sapir von der Rechtspartei Gahal, Vorläuferin des späteren Likud.
Am 4. Juni gab König Hussein bekannt, daß der Irak sich dem ägyptisch-jordanischen Abwehrpakt angeschlossen habe. Hussein begründete das mit der Sorge, daß Israel "schon in den nächsten Tagen losschlagen könnte". Am folgenden Morgen war es soweit.
"Blitzkrieg"
Der Krieg Israels gegen Ägypten begann am 5. Juni und endete am 9. Juni. Ägypten hatte schon am 8. Juni den von der UNO vorgeschlagenen Waffenstillstand akzeptiert, aber Israel hatte es vorzogen, seine Positionen schnell noch etwas zu verbessern. Bei Kriegsende stand die israelische Armee in ganzer Breite am Suez-Kanal. Einem großen Teil der ägyptischen Truppen auf der Sinai-Halbinsel war bei dem raschen Vormarsch der Israelis der Rückweg abgeschnitten worden. Es wurden etwa 10.000 ägyptische Soldaten getötet, 20.000 verletzt, 5.500 gefangengenommen. Israels Verluste: 275 Tote, 800 Verletzte.
Der Krieg Israels gegen Jordanien begann am 5. Juni gegen Mittag und endete am Abend des 7. Juni. Insgesamt hatte er 57 Stunden gedauert. Das ganze Gebiet westlich des Jordan war nun unter israelischer Kontrolle. Jordanien verlor nach eigenen Angaben rund 6.000 Mann als tot oder vermißt. Israels Verluste: 550 Tote, 2.500 Verletzte. (Die zahlenmäßig nicht sehr große jordanische Armee galt damals noch als bestgerüstete und bestausgebildete der arabischen Welt. Sie verfügte im Gegensatz zu Ägypten und Syrien über moderne westliche Waffen, wie sie auch Israel hatte.)
Israel hatte zwar gleich am Vormittag des 5. Juni die syrische Luftwaffe weitgehend ausgeschaltet, danach aber an dieser Front Ruhe gehalten. Israel besaß einfach nicht genug Soldaten, um gleichzeitig an drei Fronten einen schnellen offensiven Bewegungskrieg zu führen. Die syrische Armee selbst unternahm auch nichts, um Ägypten und Jordanien zu Hilfe zu kommen. Israel griff an der von Syrien stark befestigten Golan-Front erst am Morgen des 9. Juni an. Am Abend des 10. Juni wurde ein Waffenstillstand geschlossen. Israels Truppen waren nur etwa 20 Kilometer über die Grenze vorgedrungen, aber das war eine entscheidende Strecke, denn damit hatte Syrien erstens seine starke Position auf den Golan-Höhen verloren und zweitens einen Großteil seines Kriegspotentials eingebüßt. Syriens Verluste: 2500 Tote und 5000 Verletzte. Auf israelischer Seite wurden 115 Mann getötet und 306 verletzt.
"Rettet Israel!"
Der Vergleich der Opfer auf beiden Seiten ebenso wie der schnelle Kriegsverlauf deuten auf eine hohe israelische Überlegenheit hin. Dennoch wurde vor dem Krieg weithin so getan, als stünde die Existenz Israels auf dem Spiel, als stünde der jüdische Staat "wieder einmal" ganz auf sich allein gestellt mit dem Rücken an der Wand einer riesigen Übermacht von Feinden gegenüber. Das Exempel von 1956, als Israels Armee schon einmal in wenigen Tagen zum Suez-Kanal durchgerollt war, schien nicht im Gedächtnis geblieben zu sein. "Rettet Israel!", war die Parole des Tages, der sich auch viele Linke nicht entziehen mochten.
In einem Aufruf der Deutsch-Israelischen Gesellschaft vom 2. Juni liest sich das so: "Helft mit, den Frieden in Nahost wiederzugewinnen und Israel vor dem Untergang zu bewahren ... Wir können nicht schweigen, wenn das israelische Volk mit Völkermord bedroht wird ... Wir rufen alle: Seid auf friedliche Weise solidarisch mit Allen bedrohten Menschen, die durch Bomben und Raketen verbrannt oder durch Verhungern ausgerottet werden sollen." - Kein Zweifel, daß damit weder Vietnamesen noch Araber gemeint waren.
Vom Untergang war Israel 1967 ganz sicher nicht bedroht, nicht einmal von einer Niederlage. Selbst in reiner Quantität ausgedrückt war Israel nur auf der Sinai-Halbinsel im Rückstand, während es an den Fronten gegen Syrien und Jordanien sogar zahlenmäßig einen Vorsprung hatte. Dazu trug bei, daß Israel nicht gezwungen war, gleichzeitig an Allen drei Fronten Krieg zu führen, und daß es die Fähigkeit hatte, seine Truppen sehr schnell zu verschieben.
Vier arabische Staaten mit einer Bevölkerung von insgesamt 41,7 Millionen (Ägypten, Syrien, Jordanien und Irak) hatten nicht einmal doppelt so viele Soldaten zur Verfügung wie Israel mit seinen 2,5 Millionen Menschen: 395.000 Mann die einen, 275.000 die anderen. Für Länder, die sich angeblich seit Jahrzehnten darauf vorbereiteten, Israel zu "verschlingen", war der arabische Militarisierungs-und Mobilisierungsgrad wirklich erstaunlich niedrig. Außerdem hatte Ägypten zu dieser Zeit einen nicht geringen Teil seiner Streitkräfte im Jemen stationiert, um in den dortigen Bürgerkrieg einzugreifen.
Bei den Waffen sah das Zahlenverhältnis im Juni-Krieg so aus: Israel 1.000 Panzer (davon modern 450), die arabischen Gegner 2.450 (davon modern 1.350). Artillerie: Israel 200 Geschütze, auf arabischer Seite 1.550. Kampfflugzeuge: 260 und 760.
Zahlen an sich bedeuten aber für einen militärischen Kräftevergleich noch nicht viel. Erstens verschaffte sich Israel gleich zu Beginn des Krieges absolute Überlegenheit in der Luft. Damit war die quantitative Überlegenheit der Gegenseite bei Panzern und Geschützen schon stark relativiert. Jeder Versuch, Kräfte zu bewegen, setzte sie Angriffen aus der Luft aus, gegen die kein adäquates Gegenmittel vorhanden war. Absolute Luftüberlegenheit bedeutet auch, daß die Aufklärung des Feindes stark behindert ist. Er muß nahezu "blind" operieren, während die überlegene Seite genau weiß, wo die feindlichen Einheiten verteilt sind und wo sie sich bewegen.
Außerdem stecken hinter Zahlen ungleiche Qualitäten. Beim Ausbildungsstand seiner Soldaten und bei der Wartung der Waffen hatte Israel einen riesigen Vorsprung. Auf arabischer Seite lagen rund 20% der Waffensysteme schon bei Kriegsbeginn aufgrund von Defekten still. Es fehlte an ausreichendem ausgebildetem Personal, um die Systeme "rund um die Uhr" einzusetzen. Der modernste Panzer der israelischen Armee, der britische Centurion, war dem sowjetischen Gegenstück T 54/55 in einem entscheidenden Punkt überlegen: Seine Reichweite als panzerbrechende Waffe lag bei 2000 m, die des T 54/55 nur bei 1000 m. Einfach formuliert: der T 54/55 war schon außer Gefecht gesetzt, bevor er einen Schuß abgeben konnte. Diesen israelischen Vorteil konnten die arabischen Panzer allenfalls etwas kompensieren, wenn sie gut getarnt auf den Gegner warteten, also aus der Defensive heraus. Ihre große numerische Überlegenheit bei den Geschützen konnten die Araber gleichfalls nur in der Abwehr nutzen.
Die arabischen Staaten verfügten 1967 nicht über ein Offensivpotential gegen Israel. Sie hatten keine Angriffsplanung, und sie hatten nicht einmal ein Konzept für eine gemeinsame, geschweige denn eine koordinierte Abwehr. Syrien, dessen Regime die radikalsten Töne anzuschlagen pflegte, hätte sich aus dem Krieg offensichtlich am liebsten herausgehalten und Ägypten und Jordanien ihrem Schicksal überlassen.
Aber war die Lage der Dinge den israelischen Politikern und Militärs vielleicht nicht ausreichend bekannt? Überschätzten sie die militärischen Kräfte der Gegner? Verstanden sie deren politische Signale falsch? - Die hervorragende Planung und Durchführung des "Blitzkriegs" zeigt, daß man auf israelischer Seite bestens über jedes Detail des gegnerischen Aufmarsches informiert war und adäquate Antworten vorbereitet hatte. Hierzu ein kleines Beispiel: Die israelischen Planer wußten nicht nur exakt, wo sie die ägyptische Flugzeuge antreffen würden. Sie wußten auch, daß die Ägypter einen Angriff im Morgengrauen erwarteten und um diese Zeit Erkundungsflüge unternahmen. Sie berechneten also den Erstschlag gegen die ägyptischen Flughäfen so, daß zu diesem Zeitpunkt alle Maschinen des Gegners gerade wieder am Boden waren und die trügerische Ruhe der Entwarnung herrschte. Israel leistete sich sogar das "Extra", zwei ägyptische Flugplätze südlich des Gasastreifens nicht zu zerstören, weil man sich sicher war, diese demnächst selbst benutzen zu können.
"Auf nach Tel Aviv!"
Aber die arabischen Kriegsdrohungen gegen Israel?! Da davon auszugehen ist, daß hinter diesen Drohungen weder materielle Absichten noch Möglichkeiten standen, könnte zugunsten Israels allenfalls auf "Putativnotwehr" plädiert werden. Diese ist aber im völkerrechtlichen Sinn schwerlich ein akzeptabler Kriegsgrund, und sie rechtfertigt erst recht nicht die Annexion oder die permanente Besetzung eroberter Gebiete. Im Übrigen steht wohl, siehe oben, fest, daß die israelische Führung sich durchaus nicht in einer akuten Notwehrsituation wähnte. Allenfalls lautete ihr Argument, man müsse die Araber schlagen, solange sie noch zu schwach sind, um Israel gefährlich zu werden. Also ein "Präventivkrieg" nicht im akuten Sinn, sondern höchstens im strategischen, langfristigen Sinn.
Dennoch gab es die arabischen Kriegsdrohungen gegen Israel. Einige seien hier beispielhaft zitiert. Am 22. Mai sagte Nasser in einer Rede zur Sperrung des Golfs von Akaba: "Wenn Israel uns mit Krieg droht, werden wir antworten: 'Löst ihn doch aus'." Die militärische Lage sei ganz anders als die von 1956. Damals seien die Ägypter eigentlich nicht von den Israelis geschlagen worden, sondern durch die Intervention Großbritannien und Frankreichs. - Am 26. Mai sagte Nasser in einer Rede: "Der Kampf mit Israel wird ein totaler Kampf sein. Die Schlacht wird nicht auf Syrien oder die VAR (d.h. Ägypten) beschränkt bleiben. Unser grundlegendes Ziel in dieser Schlacht wird die Zerstörung Israels sein." - Am 28. Mai sagte Nasser auf einer Pressekonferenz: "Wir werden Zeit und Ort wählen, um der Konfrontation mit Israel zu begegnen. Wenn die USA mit Israel gemeinsame Sache machen, um die Durchfahrt durch die Straße von Tiran (Golf von Akaba) zu erzwingen, dann sind wir stark genug, es auch mit den USA aufzunehmen." "Wir bekämpfen nicht nur Israel, sondern auch jene, die Israel geschaffen haben und dahinter stehen, das heißt den Westen ... Nunmehr sind wir bereit zur Konfrontation. Wir sind bereit, das palästinensische Problem in seiner Gesamtheit zu lösen. Heute geht es nicht mehr nur um die Frage von Akaba oder den Rückzug der UN-Sicherheitstruppe, sondern um die Aggression gegen Palästina, die 1948 mit Hilfe von Großbritannien und den USA begangen wurde."
Nach dem Beginn des israelischen Angriffs sendete Radio Kairo Aufrufe wie diesen: "Arabische Soldaten in Jordanien und Syrien, eure Zeit ist gekommen. Greift an, zerstört und befreit Palästina, und setzt euch gegen Tel Aviv in Marsch!" Und Radio Damaskus am 8. Juni, nachdem Ägypten und Jordanien schon aus dem Krieg ausgestiegen waren: "Die Schlacht geht weiter, arabische Brüder. Der Kampf wird nicht eingestellt, bevor wir nicht die palästinensische Flagge in den Himmel über Tel Aviv gehißt haben!" - Dies angesichts der Tatsache, daß die syrische Armee bis dahin nichts getan hatte, um Ägypten und Jordanien zu entlasten, und daß Syrien nicht mehr als 35.000 Soldaten auf den Golan-Höhen stationiert hatte.
Ähnlichkeiten mit den rhetorischen Höhenflügen eines Saddam Hussein sind wahrscheinlich alles andere als zufällig. Arabische Politiker sind sicher keine Idioten, aber die Kluft zwischen Realität und Rhetorik ist offensichtlich. Beispielsweise anzunehmen, daß die syrische Führung nach der Zerschlagung der Armeen Ägyptens und Jordaniens den extremen Ernst ihrer Lage nicht begriffen hätte, scheint mir nicht angemessen. Die militärischen Fakten waren ihnen im Großen und Ganzen zweifellos bekannt. Der Selbsttäuschung waren insofern recht enge Grenzen gesetzt. Und dennoch dieses aggressive Muskelspiel, diese überdrehte Siegeszuversicht, diese Farce des "Gesichtwahrens" als starker, furchtloser Mann. Es ist ein Teil der arabischen Tragödie, daß die israelischen Politiker und Militärs dieses machistische Ritual nicht nur vollständig durchschauen, sondern es auch wunderbar zu instrumentalisieren verstehen.
Im Übrigen ist festzustellen, daß in den arabischen Kriegsdrohungen von 1967 nicht von einem Angriff auf Israel die Rede war. Die ständig wiederkehrende Aussage lautete: Wenn Israel uns angreift, werden wir den Krieg in eine Schlacht zur Zerstörung Israels und zur Befreiung Palästinas verwandeln. Allenfalls kann in diese Drohungen hineininterpretiert werden, die arabischen Regimes hätten auf einen Angriff Israels gehofft, ihn vielleicht sogar provoziert, weil sie sich davon relativ günstige Ausgangsbedingungen für einen Krieg versprachen. Nämlich dadurch, daß sich Israel in einem solchen Krieg an der arabischen Abwehr "festrennen" und seine Kräfte schließlich erschöpfen würde.
Ebenso plausibel ist aber in Kenntnis der entsprechenden Rituale, daß die arabischen Regimes nach den Niederlagen von 1948 und 1956 und angesichts der offenen Kriegsvorbereitungen Israels 1967 ganz einfach Riesenangst vor einem Krieg hatten. Und daß sie sich der Illusion oder der schwachen Hoffnung hingaben, sie könnten Israel durch Prahlen mit der eigenen Stärke und durch Ausmalen der katastrophalen Folgen eines Krieges vom Angriff abschrecken.
Nachtrag
Nach den ersten beiden Teilen der "Anmerkungen zur Geschichte des Staates Israel" (AK 330 und AK 331) ist das Fehlen von Quellen-Verweisen kritisiert worden. Diese sollen hier nachgetragen werden.
Dem ersten Teil wurde das Buch "The Balfour Declaration" von Leonard Stein (London 1961) zugrundegelegt, das mit rund 700 Seiten die wohl umfassendste Darstellung zu diesem Thema ist und nicht von einer parteiischen Wertung ausgeht. Die meisten Zitate im Zusammenhang der Entstehung der Declaration wurden dieser Arbeit entnommen.
Benutzt wurden ferner u.a. "The Unromantics - The Great Powers and the Balfour Declaration" von Jon Kimche (London 1986) und "The Triangular Connection: America, Israel, and American Jews" von Edward Bernard Glick (London/Boston 1982). Außerdem das von H. Mejcher und A. Schölch herausgegebene Buch "Die Palästina-Frage 1917- 48" (Paderborn 1981).
Für die zionistische Sicht auf die arabische Bevölkerung Palästinas ist das Buch "Zionism and the Arabs, 1882 - 1948" des israelischen Historikers Yosef Gorny (Oxford 1987) eine wichtige Quelle. Zum gleichen Thema außerdem aus zionismuskritischer Sicht: "Der deutsche Zionismus und die Araber Palästinas" von Judith Klein (Frankfurt 1982).
Als Hintergrund für die beiden ersten Teile, insbesondere aber zur Vor-und Frühgeschichte des Zionismus, wurden u.a. auch zugrundegelegt der Band 3 der "Geschichte des jüdischen Volkes", herausgegeben von Haim Hillel Ben-Sasson (München 1980), und "A History of Zionism" von Walter Laqueur (New York 1972). Eine wichtige und sehr handliche Informationsquelle ist ferner die in Jerusalem erscheinende "Encyclopaedia Judaica". Von dort übernommen wurden Zahlenangaben zur Entwicklung der zionistischen Bewegung weltweit und in einzelnen Ländern. (Zahlen wurden jedoch in der Regel, soweit möglich, immer mit mehreren verschiedenen Quellen verglichen.) - Für Kartenmaterial sei auf den "Jewish History Atlas" von Martin Gilbert verwiesen.
Zum zweiten Teil wurden vor allem folgende Quellen benutzt:
- Simha Flapan: "The Birth of Israel" (New York 1987) zum Krieg von 1948 und seiner Vorgeschichte. Die Haltung Ben Gurions zum ersten Teilungsplan 1937 habe ich zusammengefaßt nach Zitaten aus offiziellen Quellen, die Flapan anführt (S. 21-22); im gleichen Sinn auch Gorny (S. 259-261).
- David Ben Gurion: "Israel, Die Geschichte eines Staates" (Frankfurt 1973). U.a. zur militärischen Stärke der arabischen Staaten 1948 (S. 91-92), zum Konflikt mit der revisionistischen Strömung (S. 90-297), zur Lavon-Affäre (S. 420-425 und S. 530-540), sowie zur Vorgeschichte des Suez-Kriegs von 1956 (S. 442-499).
- Harold Wilson (der ehem. britische Labour-Premier): "The Chariot of Israel" (London 1981) zur Geheimdiplomatie im Dreieck Großbritannien-Frankreich-Israel 1956 (S. 243-328).
- Arthur Goldschmidt Jr.: "A Concise History of the Middle East" (USA 1979/1983).
- Cheryl A. Rubenberg: "Israel and the American National Interest" (Urbana/Chicago 1986) zur Vorgeschichte des Suez-Kriegs 1956 und zu den amerikanisch-israelischen Geheimverhandlungen nach dem Krieg über den israelischen Truppenrückzug. Zu diesem Thema auch der Aufsatz von Benny Morris: "Creeping Withdrawal" in der Jerusalem Post International vom 10.12.88, der neu zugängliches Material auswertete.
- Zum Kriegsverlauf 1948, 1956 und 1967 u.a. auch "Keesing's Archiv der Gegenwart" sowie die entsprechenden Bände der Reihe "War in Peace". Für den dritten Teil wurde ebenfalls das Buch von Ch. Rubenberg benutzt, wo der Entscheidungsprozeß der israelischen Regierung zum Juni-Krieg genauer referiert wird. Über die deutschen Reaktionen zum Krieg 1967 informiert sehr ausführlich Rolf Vogel (Hrg.), "Deutschlands Weg nach Israel", Stuttgart 1967.
Knut Mellenthin
analyse & kritik, 1. Juli 1991