KNUT MELLENTHIN

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Nach dem Mord an ihrem Militärchef wollen die libyschen Rebellen ihre Gegenregierung umbilden

Die Konflikte unter den von der NATO unterstützten libyschen Rebellen nehmen zu. Am Montag erklärte das Führungsorgan der Aufständischen, der Nationale Übergangsrat (NTC), die von ihm eingesetzte Gegenregierung für aufgelöst. Deren Chef, Mahmud Dschibril, soll dem Rat innerhalb der nächsten Tage einen neuen Personalvorschlag präsentieren.

Rebellenführer Abdul Dschalil begründete die Maßnahme mit „administrativen Fehlern“ des alten Gremiums, ohne diese konkret zu benennen. Allerdings kündigte er an, die neu formierte Gegenregierung werde mit der Untersuchung der „Verschwörung“ zur Ermordung von General Abdel Fattah Junes beauftragt werden. Der Militärchef der Rebellen war am 28. Juli unter immer noch ungeklärten Umständen zusammen mit zwei Mitarbeitern erschossen worden, nachdem er zuvor aus ebenfalls unbekannten Gründen festgenommen worden war.

Junes, ein langjähriger Kampf- und Weggefährte Muammar Gaddafis, war zuletzt libyscher Innenminister gewesen, aber nach Ausbruch der Revolte im Februar zu den Aufständischen übergelaufen. Der Übergangsrat behauptet, der Mord komme auf das Konto einer abtrünnigen Rebellengruppe, bei der es sich in Wirklichkeit um Agenten Gaddafis gehandelt habe und die inzwischen zerschlagen worden sei. Die Familie von Junes und der Stamm der Obeidi, dem er angehörte, haben jedoch öffentlich den Verdacht geäußert, dass Mitglieder der Gegenregierung an dem Mordkomplott gegen den General beteiligt waren. Die Obeidi machen ihre weitere Beteiligung am Aufstand von der Aufklärung der Bluttat abhängig.

Die New York Times berichtete am Montag, dass schon früher mehrere ehemalige Mitarbeiter der libyschen Regierung, die sich den Rebellen angeschlossen hatten, unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen seien. So seien vor mehreren Monaten mindestens drei frühere Sicherheitsoffiziere erschossen worden. Dem Blatt zufolge gelten Islamisten in den Reihen der Aufständischen als mögliche Täter.

Die Absetzung der bisherigen Gegenregierung kam vor diesem Hintergrund nicht völlig überraschend. Bereits am 4. August hatte die New York Times gemeldet, dass eine einflussreiche Gruppe von Anwälten und Richtern, die „Koalition für die Revolution vom 17. Februar“, im Zusammenhang mit der Ermordung von Junes personelle Umbesetzungen gefordert habe. Unter anderem hätten sie die Entlassung von Verteidigungsminister Dschalal el-Digheily und von Dschibrils Stellvertreter Ali al-Essawi verlangt. Die Gruppe habe darüber hinaus die Auflösung der zahlreichen autonomen Milizen gefordert, die in den von den Rebellen gehaltenen Gebieten operieren.

Durch eine Veröffentlichung in der britischen Tageszeitung Times war am Montag ein 70 Seiten umfassender Arbeitsplan der Aufständischen und ihrer westlichen Hintermänner für die Zeit „nach Gaddafi“ bekannt geworden. Anders als im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins soll diesem Papier zufolge in Libyen ein Zerfall der bestehenden Strukturen vermieden werden, indem massenhaft Angehörige des bestehenden Sicherheitsapparats rekrutiert und eingegliedert werden. Unter anderem sollen rund 5000 Polizisten in den Dienst des neuen Regimes übernommen werden. Zur Besetzung der Hauptstadt Tripoli soll eine 10.-15.000 Mann starke, von den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgerüstete und „unterstützte“ Truppe gebildet werden.

Ebenfalls am Montag hat die Generaldirektorin der UNESCO, Irina Bokowa, den Luftangriff der NATO auf Anlagen eines libyschen Fernsehsenders verurteilt. Der Militärschlag verstoße gegen die Sicherheitsratsresolution 1738, die Gewalttaten gegen Journalisten und andere Medienarbeiter verbietet. Bei der Attacke waren am 30. Juli drei Mitarbeiter des Senders getötet und 21 verletzt worden. Die NATO hatte ihr Vorgehen wie üblich mit dem „Schutz der Zivilbevölkerung“ gerechtfertigt. Medien gelten den westlichen Militärs explizit als „legitime Ziele“. So zerstörten sie am 23. April 1999 während des Luftkriegs gegen Jugoslawien einen Fernsehsender in Belgrad, wobei 16 Mitarbeiter getötet wurden.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 10. August 2011