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Gregor Gysi greift ein
Wenn der "Spiegel"-Journalist Henryk Broder von der Linkspartei spricht, hat er meist Schaum vorm Mund. "Angeber, Knalltüten und Wichtigtuer", ist noch das Harmloseste was ihm einfällt, wenn er zuvor gut und reichlich gegessen hat. Doch wenn Broder schlecht gelaunt ist, setzt es auch schon mal härtere Worte wie "Antisemiten" und "Nationalbolschewisten". Aber den Gregor Gysi mag Broder, wie er am 29. Oktober auf der Website der "Achse des Guten" bekannt gab. Diesen Namen, unter dem der Broder-Freundeskreis firmiert, könnte man naiver Weise für Selbstironie halten. Tatsächlich hat dieser Zirkel aber ein äußerst schlicht gestricktes Weltbild, das kaum intelligenter als das von George W. Bush ist und sich auch inhaltlich von jenem nicht wesentlich unterscheidet.
Wie erwirbt man sich als Linker die Wertschätzung eines solchen Mannes? Gregor Gysi hatte sich in den Streit um den Auftritt Broders bei einem Podiumsgespräch in Zürich eingeschaltet, das am Sonntag stattfand. Der "Spiegel"-Journalist war erst nachträglich auf die Teilnehmerliste gesetzt worden. Ursprünglich war an seiner Stelle die israelische Rechtsanwältin Felicia Langer vorgesehen gewesen. Sie ist bekannt durch ihr anwaltliches und politisches Eintreten für die Rechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten. Ein größerer Gegensatz als der zwischen Langer und Broder ist in dieser Frage kaum denkbar.
Die Veranstalter begründeten die Ausladung von Felicia Langer mit der Behauptung, sie habe für ihre Teilnahme zu viel Geld gefordert. Das wird von Insidern als "glatte Lüge" bezeichnet. Dass es in Wirklichkeit um eine politische Weichenstellung ging, geht jedenfalls eindeutig daraus hervor, dass die Veranstalter nicht nach einem annähernd adäquaten Ersatz aus dem israelischen Friedenslager suchten, sondern ausgerechnet Broder einluden, für den israelische Gegner der Besatzungspolitik "jüdische Selbsthasser" sind.
Das Vorgehen der Zürcher Veranstalter stieß auf Protest. Über 200 Journalisten, Autoren, Politiker und andere Menschen unterzeichneten eine Petition, in der gefordert wurde, die Ausladung von Felicia Langer und die Teilnahme Broders rückgängig zu machen. Zu den Unterzeichnern des Appells gehörten mit Heike Hänsel und Norman Paech auch zwei Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Broder wandte sich daraufhin an Gregor Gysi, um ein Machtwort gegen die "beiden Tupamaros" (O-Ton-Broder) zu erreichen. Broder beschimpfte in diesem Zusammenhang die Unterzeichner als "megalomanische Irre, Halbanalphabeten und Hobby-Antisemiten".
Das wollte Gysi offenbar auf seiner Partei nicht sitzen lassen. Was er den beiden Abgeordneten gesagt hat, ob er sie sich wirklich "vorgeknöpft" und ihnen "eine kleine fraktionsinterne Standpauke über die Aufgaben und Verpflichtungen eines Abgeordneten gehalten" hat, wie Broder am 29. Oktober genüsslich auf seiner Webseite behauptete, sei dahingestellt. Jedenfalls bekam der "Spiegel"-Journalist ein Schreiben Gysis, in dem es hieß:
"Lieber Henryk, inzwischen habe ich die Antwort von Norman Paech, der nun einsieht, dass es besser gewesen wäre, für eine Podiumsdiskussion mit Dir und Frau Langer zu streiten. Frau Hänsel will Dir selbst antworten. Mit herzlichen Grüßen Gregor"
Eine vielleicht gut gemeinte Idee. Sie geht jedoch an der Realität vorbei, dass zwischen der Ausladung von Felicia Langer und der Einladung von Henryk Broder ein unmittelbarer Zusammenhang bestand. Darüber hinaus wirft der Vorgang einige Fragen über die Strukturen in der Linkspartei auf.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 3. November 2006