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Ein Schritt zu viel
Vom Strohhalm, der dem vollbepackten Kamel das Rückgrat brach, ist in einem arabischen Sprichwort die Rede. Die rechten Kräfte in der LINKEN, die alles aus dem Weg zu diffamieren versuchen, was für eine Regierungsbeteiligung hinderlich sein könnte, haben ihrer Partei einen Strohhalm zu viel zugemutet und damit einen Sturm von veröffentlichten Protesten innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen ausgelöst. Die inhaltliche Auseinandersetzung, der sie ausweichen wollten, indem sie missliebige Positionen ins Reich des „Antisemitismus und Rechtsextremismus“ hinüber definierten, wird nun unumgänglich in der gesamten Partei geführt werden müssen.
Stein des Anstoßes ist ein Text, der am 7. Juni von der Fraktion DIE LINKE im Bundestag verabschiedet wurde. Formal fiel die Entscheidung nach mehrstündiger, teilweise hitziger Diskussion einstimmig, weil die Gegner der Resolution – die Angaben über ihre Zahl variieren – es vorzogen, sich an der Abstimmung nicht zu beteiligen. Bei diesem Verhalten soll die angebliche Rücktrittsdrohung des Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi eine zentrale Rolle gespielt haben.
Der Beschluss hat folgenden Wortlaut: „Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE werden auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz. Die Fraktion DIE LINKE tritt daher entschieden gegen antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen auf. Die Mitglieder der Bundestagsfraktion erklären, bei all unserer Meinungsvielfalt und unter Hervorhebung des Beschlusses des Parteivorstandes gegen Antisemitismus vom 21. Mai 2011: Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staat-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer 'Gaza-Flottille' beteiligen. Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Positionen einzusetzen.“
Der letzte Satz bedeutet eine knallharte Kündigungsdrohung, wie die Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, Dagmar Enkelmann, schon eine Woche vorher dem Berliner Tagesspiegel (31.5.2011) anvertraut hatte: „Explizit will sie auch die Aktivitäten von Fraktionsmitarbeitern unter die Lupe nehmen. 'Wenn die Grundwerte der Partei und der Fraktion negiert werden, muss das Konsequenzen haben – bis zur Trennung.'“
Die am 7. Juni verabschiedete Resolution enthält zu den aufgezählten drei Punkten linker Nahost-Politik kein Wort der Begründung. Das wäre auch schwierig, da es dazu bisher keine in der Partei diskutierten und verbindlichen Positionierungen gibt. Lediglich zur Boykott-Kampagne ist eine knappe inhaltliche Aussage in der Erklärung des Parteivorstandes vom 21. Mai zu finden, die im Fraktionsbeschluss erwähnt wird. Diese Stellungnahme trägt übrigens keineswegs die Überschrift „Gegen Antisemitismus“, sondern „LINKE weist Antisemitismus-Vorwürfe zurück“, was in der aktuellen Debatte einen riesigen Unterschied bedeutet. In der einstimmig verabschiedeten Erklärung heißt es, der Parteivorstande halte eine Boykott-Kampagne gegen israelische Waren in Deutschland „vor dem Hintergrund unserer spezifischen Geschichte für ein völlig ungeeignetes Mittel der Auseinandersetzung mit israelischer Regierungspolitik“.
Trotzdem wurde die Boykott-Kampagne aber damals keineswegs als antisemitisch und rechtsextremistisch bezeichnet. Im Gegenteil folgten in der Stellungnahme des Parteivorstandes unmittelbar die Sätze: „Wir weisen zurück, wenn berechtigte Kritik an der Politik der israelischen Regierung in Antisemitismus umgedeutet wird. Ebenso weisen wir Vorwürfe eines angeblichen Vormarsches antisemitischer Positionen in der LINKEN zurück.“
Im Unterschied dazu hat die Parteiführung mit der am 7. Juni beschlossenen Fraktionsresolution offenbar ganz bewusst das mächtigste Geschütz eingesetzt, das überhaupt auf dem Markt ist: den Antisemitismus-Vorwurf. Dadurch werden erhebliche, ernst zu nehmende Teile der internationalen Friedensbewegung, einschließlich der israelischen, auf schwerste diffamiert.
Wenn es lediglich um eine „freiwillige Selbstverpflichtung“ der Abgeordneten im Stil vergangener Zeiten gegangen wäre, könnte man die Nichtbeteiligung an dieser Abstimmung als akzeptablen individuellen Ausweg respektieren. In dem gewählten Kontext der Resolution, ihrer Überschrift - „Entschieden gegen Antisemitismus“- und ihrer pseudo-antifaschistischen Präambel kann dieses Verhalten aber nur mit der Note „ungenügend“ bewertet werden. Einige Abgeordnete, so Annette Groth, Andrej Hunko, Christine Buchholz und Nicole Gohlke, haben ihre Position nachträglich durch öffentliche Stellungnahmen geklärt.
An eine versehentliche Ungeschicklichkeit der Antragsteller bei der Konstruktion des Zusammenhangs zwischen Gaza-Hilfsflottille, Boykottbewegung und Ein-Staat-Diskussion einerseits, „Antisemitismus und Rechtsextremismus“ andererseits wird hoffentlich niemand glauben? Falls doch: An der Spitze des Unternehmens stand mit Gregor Gysi ein erfahrener Anwalt und Politiker. Man kann ihm manches vorwerfen und zutrauen, aber ganz gewiss nicht fehlenden Blick für kontextuelle Zusammenhänge oder gar Artikulationsprobleme.
Einer, der trotzdem so tut, als hätte er gar nicht verstanden, was man gerade beschlossen hat, ist ausgerechnet der Abgeordnete Stefan Liebich, einer der Wortführer der Parteirechten. In einem Interview mit dem Neuen Deutschland (11.6.2011) antwortete Liebich auf die Frage, ob er die Unterstützung der Gaza-Flottille für antisemitisch halte: „Nein. Ob es auch Antisemiten auf den Schiffen gab, will ich nicht beurteilen. Den Vorwurf, dass Bundestagsabgeordnete der LINKEN Antisemiten seien, habe ich immer zurückgewiesen, denn wenn das stimmte, müsste ich ihren Ausschluss fordern.“ Und etwas später: „Ich sage nicht, dass man den Schiffskonvoi nicht für richtig halten kann. Aber es gibt auch andere Mittel.“
WELT Online hatte Liebich allerdings am 8. Juni noch mit der Aussage zitiert, es mache ihm „absolute Freude“, dass sich die Partei endlich klar gegen Antisemitismus positioniert habe.
Nachträglich scheint auch Gregor Gysi angesichts des von ihm selbst mitverschuldeten Schlamassels nicht ganz glücklich zu sein. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd (13.6.2011) verwahrte er sich gegen die imaginäre – von niemandem explizit formulierte – Behauptung, wer Israel kritisiere, sei antisemitisch. Mit dieser Unterstellung geschehe „grobes Unrecht“. Mit Blick auf die LINKE sprach der Fraktionschef plötzlich nur noch von der einen oder anderen deplazierten Äußerung, die aber „gar nicht antisemitisch gemeint“ gewesen sei.
Selbstverständlich ist mit dem Fraktionsbeschluss vom 7. Juni das Theater um die „Antisemiten in der LINKEN“ nicht beendet, sondern wird jetzt erst richtig losgehen. Nachdem die Fraktion, ob nun bewusst oder aus panischer Feigheit, Hilfsflottille, Boykott und Ein-Staat-Diskussion als antisemitisch und rechtsextremistisch gebrandmarkt hat, wird die Führung der LINKEN künftig permanent mit Fragen der Mainstream-Medien und der konkurrierenden Parteien bombardiert werden, wann sie endlich „konsequent“ gegen Mitglieder vorgeht, die immer noch aus der Reihe tanzen. Der schon seit einigen Jahren strapazierte Vorwurf, die Partei distanziere sich nur aus taktischen Gründen, dulde aber in Wirklichkeit Antisemitismus in ihren eigenen Reihen, kann sich künftig auf den Fraktionsbeschluss berufen. Das einzige noch halbwegs taugliche Notmittel wäre, die Resolution als total missglückt aufzuheben, ihre praktischen Inhalte vernünftig zu diskutieren – im Kontext linker Nahost-Politik und nicht im Antisemitismus-Zusammenhang -, und anschließend über eine völlig neue Vorlage abzustimmen, falls das dann noch für notwendig gehalten würde.
Was hat den rasanten Kurswechsel der LINKEN-Führung zwischen der vergleichsweise ausgewogenen Erklärung des Parteivorstandes vom 21. Mai und dem katastrophal dummen, mit nichts zu verteidigenden Fraktionsbeschluss vom 7. Juni bewirkt? Es scheint, dass hauptsächlich das als „Aktuelle Stunde des Bundestages“ inszenierte Tribunal der etablierten Parteien gegen die LINKE am 25. Mai bei den zentristischen Kräften, denen wohl auch Gregor Gysi zuzurechnen ist, die panische Vorstellung produzierte, man müsse unbedingt ganz schnell einen Befreiungsschlag landen, indem man einfach der von Allen anderen Parteien erhobenen Forderung nachkam, die LINKE solle sich endlich von den „Antisemiten“ in ihren eigenen Reihen abgrenzen. Gleichzeitig waren die pro-zionistischen Kräfte in der Partei um BAK Shalom, Petra Pau, Bodo Ramelow, Halina Wawzyniak und andere offenbar der Meinung, dass die günstigste Stunde für eine Entscheidungsschlacht gekommen sei.
Das Allparteien-Tribunal vom 25. Mai gehört unter den zahlreichen Beispielen einer Instrumentalisierung der deutschen Verbrechen am jüdischen Volk für kleinkarierte, selbstsüchtige Zwecke zu den ekelhaftesten. Es ist schade, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland darauf verzichtete, sich von diesem selbstgefälligen, scheinheiligen Theater deutscher Dummschwätzer und Schaumschläger mit einem klaren „Nicht in unserem Namen!“ zu distanzieren.
Was hatte den etablierten Parteien Anlass geboten, gegen die LINKE eine „Aktuelle Stunde“ anzusetzen, als sei plötzlich der nationale Notstand ausgebrochen? Der offizielle Titel des Tribunals lautete: Debatte über "Aktuelle sozialwissenschaftliche Untersuchungen zu möglichen antisemitischen und israelfeindlichen Positionen und Verhaltensweisen in der Partei Die Linke“. Schon die Pluralform „Untersuchungen“ war eine platte Lüge, die Substanz suggerieren sollte, wo sie einfach nicht vorhanden war. Tatsächlich ging es nur um ein einziges Papier, das hochtrabend als „wissenschaftliche Studie“ bezeichnet und schlagartig in sämtlichen Mainstream-Medien zum Heißluftballon aufgeblasen worden war.
Selbst bei der heute erreichten Gleichschaltung der Medien und der Absenkung journalistischer Standards ist schwer vorstellbar, dass man mit ähnlicher Einstimmigkeit und absoluter Kritiklosigkeit eine „wissenschaftliche Studie“ bekennender Atomkraft-Fans hochjubeln würde, in der gegen den Ausstieg aus der Atomenergie polemisiert wird. Um nichts anderes handelt es sich aber bei dem 16-Seiten-Papier von Samuel Salzborn und Sebastian Voigt unter dem Titel „Antisemiten als Koalitionspartner? Die Linkspartei zwischen antizionistischem Antisemitismus und dem Streben nach Regierungsfähigkeit“. Das Pamphlet wurde inzwischen von der Frankfurter Rundschau ins Internet gestellt.
Sebastian Voigt, der sich NATO-Bodentruppen nach Libyen wünscht (Jungle World, 28.4.2011), ist Gründungsmitglied des Bundesarbeitskreises (BAK) Shalom innerhalb der LINKEN-Jugendorganisation „solid“. Diese äußerst agile und aggressive Kampftruppe beschäftigt sich, wenn sie nicht gerade „Antisemiten“ in den eigenen Reihen jagt, hauptsächlich mit dem Schwenken israelischer und US-amerikanischer Fahnen und dem Bejubeln der militärischen Heldentaten ihrer Idole. Ob Gaza-Feldzug (Januar 2009) oder gezielte Todessschüsse auf unbewaffnete Demonstranten an einer von keinem Staat der Welt anerkannten „Grenze“ auf dem Golan: für BAK Shalom ist alles, was die israelischen Streitkräfte tun, legitime Selbstverteidigung. Susanne Witt-Stahl hat dieses abstoßende Phänomen punktgenau auf den Begriff gebracht, als sie von „einer schaurigen Freude am Tanz auf den Gräbern der ausgemachten Feinde“ sprach. (Semit, Januar 2011)
Samuel Salzborn publiziert unter anderem in der Jungle World, die den „Antideutschen“ nahesteht, und auf Henryk Broders Blog „Achse des Guten“. Inzwischen ist er durch seine ständigen Attacken gegen die LINKE auch für die Mainstream-Medien interessant geworden. Über seinen Geisteszustand gibt ein Artikel Auskunft, den Salzborn am 29. April 2010 auf der „Achse des Guten“ veröffentlichte. Gegenstand war ein als „Podiumsdiskussion“ deklariertes Tribunal, das die Jüdische Gemeinde Berlin in der Neuen Synagoge gegen die jüdisch-israelische Journalistin Iris Hefets veranstaltet hatte. Dabei waren einige Personen, mehrheitlich anscheinend ebenfalls jüdische Israelis, aufgestanden, hatten Plakate hochgehalten und gefordert, die Angegriffene aufs Podium zu lassen. Salzborn schätzt ihre Zahl, im Einklang mit den meisten Berichten, auf etwa 20 – in einem stramm pro-zionistisch eingestellten Publikum von mehreren hundert Menschen. Das hinderte Salzborn aber nicht, hemmungslos zu halluzinieren: „Der Schritt zu massiven Handgreiflichkeiten in der Synagoge war nicht weit, das Überschwappen einer solchen gegen die Jüdische Gemeinde zu Berlin gerichteten Eskalation zum Pogrom lediglich eine Gratwanderung. Man sollte sich nicht ausmalen, zu welchen Szenen es gekommen wäre, hätte es vor Ort keine Polizeipräsenz gegeben. Die antisemitische Stimmung, die sich schwerlich als 'nur' antizionistisch zu tarnen vermag, bewegt sich am Rande des Ausnahmezustandes...“. Klare Schlussfolgerung: „Damit tritt als eine zentrale Aufgabe der polizeilichen Tätigkeit der nächsten Jahre auf die Agenda: Antisemiten daran zu hindern, ihren Aggressionen freien Lauf zu lassen.“
Schon vor einem Jahr beschrieb Salzborn in der Welt (8.6.2011) die Situation der LINKEN so: „Die Vorfälle in der Partei, die einem nur mühsam als antiisraelisch kaschierten antisemitischen Weltbild entspringen, nehmen seit Jahresbeginn dramatisch zu. (…) Dass Linksparteifunktionäre inzwischen gemeinsame Sache mit radikalen Islamisten machen, die noch nie einen Hehl aus ihren antisemitischen Motiven gemacht haben, ist Folge eines rasanten Radikalisierungsprozesses der Partei.“ „Die Linkspartei steht nun vor einer einfachen, aber folgenschweren Entscheidung: Entweder werden die Antizionisten und Antisemiten aus der Partei gedrängt, oder die Linkspartei wird zur originären parteipolitischen Heimat des Antisemitismus. Den bisherigen Eiertanz fortzusetzen ist nicht mehr möglich, die Linkspartei muss sich entscheiden: für die Demokratie oder für den Antisemitismus.“
Nach dem selben wahnhaften Weltbild ist auch die hochgejubelte „Studie“ gestrickt, von der in einigen pro-zionistischen Blogs sogar wahrheitswidrig behauptet wird, sie sei „universitär“. In Wirklichkeit erreicht sie kaum das durchschnittliche intellektuelle Niveau einer Propagandabroschüre des israelischen Außenministeriums. Gregor Gysi soll gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung (19.5.2011) geäußert haben: „Die in der Studie aufgestellten Behauptungen sind schlicht Blödsinn“. Falls er das wirklich gesagt hat, hätte er Recht.
Salzborn und Voigt behaupten in ihrer „Studie“, dass die LINKE nicht nur antisemitische Positionen toleriere, sondern dass diese „innerparteilich immer dominanter“ würden und heute schon „die äußere Wahrnehmbarkeit der Partei“ prägen. Dämonisierung Israels, einseitige Parteinahme zugunsten der Palästinenser, „bis hin zu einer offenen Solidarisierung mit den terroristischen Kräften innerhalb dieses Spektrums“, seien „seit Anfang des Jahres 2010 zunehmend zur konsensfähigen Position“ der LINKEN geworden. Heute dominiere „ein antizionistischer Antisemitismus“ die „öffentlichkeitswirksamen Positionierungen“ der Partei. Damit sei zum allerersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte eine Partei, „die sich explizit zu einer Artikulationsform des Antisemitismus bekennt“, in den Vorhof bundesweiter Regierungsverantwortung gelangt. Dafür muss man den Autoren neben hysterischen Wahnvorstellungen auch völlige Ignoranz gegenüber der deutschen Nachkriegsgeschichte attestieren.
Mit dem Gysi zugeschriebenen Wort „Blödsinn“ wäre unter normalen Verhältnissen eigentlich alles Notwendige über dieses primitive Polit-Pamphlet gesagt. Die Dramatik der Lage der Linken mit und ohne Großbuchstaben drückt sich jedoch darin aus, dass ein derart flacher, sachlich unhaltbarer Mist offenbar völlig ausreicht, um eine mehrwöchige Hexenjagd sämtlicher Mainstream-Medien und etablierten Parteien zu entfesseln. Diesen Kräften scheint selbst der dümmste Anlass recht, um die LINKE in die Enge zu treiben – und das anscheinend sogar mit öffentlichem Erfolg.
Dieses beachtliche und erschreckende Phänomen hat sehr viel zu tun mit dem, was Gregor Gysi in seiner Rede auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (14.4.2008) durchaus zustimmend mit der Formel bezeichnete, die „Solidarität mit Israel“ sei „deutsche Staatsräson“. Was „Solidarität mit Israel“ genau bedeutet, weiß in Wirklichkeit kein Mensch, und auch Gysi hat es in seiner Rede mit keinem Wort konkretisiert. Sicher ist nur, dass diese „Solidarität“ ganz allgemein mit beängstigenden Zusätzen wie „bedingungslos“ und „ohne Wenn und Aber“ verbunden wird. In erster Linie bedeutet sie, neben Gefügigkeit gegenüber den Wünschen der jeweiligen israelischen Regierung, die Bereitschaft der Mainstream-Medien und Parteipolitiker – bisher mit Ausnahme der LINKEN – sich zur blutgierigen Meute zu formieren, sobald scheinbar zentrale Interessen Israels auf dem Spiel stehen.
Selbstverständlich gilt das erst recht, wenn die eine deutsche Staatsräson sich mit einer mindestens ebenso wichtigen zweiten verbindet, nämlich dem Prinzip, dass Linke unbedingt von der Regierungsmacht ferngehalten werden müssen und dass eine Partei erst dann in den Wartesaal zum großen Glück eingelassen werden darf, wenn ihre führenden Politiker die Gewähr dafür bieten, innerhalb und außerhalb des Dienstes jederzeit für die aggressive Politik der westlichen Allianz einzutreten. Um die sachliche Richtigkeit der Vorwürfe und der daran geknüpften Artikel wird sich unter solchen Umständen kaum noch ein verantwortlicher Redakteur kümmern. Oft ist das Thema ohnehin fest von Autoren besetzt, die extrem pro-zionistisch eingestellt sind und es mit den Tatsachen nicht immer hundertprozentig genau nehmen. Einige von ihnen kommen ganz offensichtlich aus dem Spektrum der „Antideutschen“ und von BAK Shalom.
Für diejenigen in der LINKEN, denen internationale Solidarität und Antiimperialismus noch nicht „obsolet“ sind, ergeben sich daraus extrem schwierige Arbeitsbedingungen. Die Mainstream-Medien werden immer als mächtige Verstärkeranlage der Parteirechten wirken, während sie alle Gegenargumente bis zur Unkenntlich verdrehen und diffamieren werden. Die Diskussion um eine linke Nahost-Politik ist in der deutschen Öffentlichkeit überhaupt nicht rational zu führen, wie sich soeben wieder gezeigt hat. So lange die maßgeblichen Kräfte in der Parteiführung danach streben, sich in absehbarer Zeit in irgendeine Regierungskoalition auf Bundesebene einzubringen, stehen im Grunde sämtliche zentralen außenpolitischen Koordinaten der LINKEN zur Disposition.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 15. Juni 2011